Ihr naiver Satz Richtung USA holt Merkel jetzt ein

  16 Februar 2017    Gelesen: 1040
Ihr naiver Satz Richtung USA holt Merkel jetzt ein
„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!“, sagte die Kanzlerin einst über NSA-Spitzeleien – dabei betrieb der BND ganz ähnliche Aktivitäten. Nun muss sich Merkel im U-Ausschuss dazu äußern
Als Angela Merkel (CDU) dem Bundesnachrichtendienst (BND) zuletzt nahe kam, war einer kurz darauf seinen Job los. Vor etwa einem Jahr geschah das. Die Kanzlerin, die eigentlich Wert auf Distanz zu den Diensten legt, besuchte das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow. Zwei Stunden sprach sie mit den Spitzen der Sicherheitsbehörden. Volle Unterstützung, lautete ihre Devise. Und ein paar Stunden später war für den politischen Beamten Gerhard Schindler als BND-Präsident Schluss.

Ein Buch über Merkel und ihre Nachrichtendienste würde auch nach zwölf Jahren Kanzlerschaft mit wenigen Seiten auskommen. Die Abteilung 6 in ihrem Kanzleramt übt zwar die Dienst- und Fachaufsicht für den BND aus. Merkel selbst hat die Männer und Frauen in Pullach aber immer lieber von sich ferngehalten. Dorthin, zum Hauptsitz des Dienstes, hat sich Merkel nie aufgemacht.

Dieses Von-sich-Fernhalten brachte es dann aber wohl mit sich, dass die Kanzlerin auf dem Höhepunkt der internationalen Ausspähaffäre mit dem Finger auf die Amerikaner zeigte – und diesen einen Satz sagte, der vor Naivität nur so strotzte: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!“

Wenn Merkel an diesem Donnerstag zum Abschluss der Zeugenaufnahme im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags sitzt, dann dürfte es vor allem um dieses eine Zitat gehen. Denn natürlich zeigte sich schnell, dass auch der BND Gesetze im Ausland brach und sogar die Kommunikation von Europas Institutionen und Regierungen überwachte. Wie Merkel das entgangen sein kann, wird die Abgeordneten in besonderer Weise interessieren.

Allmähliche Biegung der Gesetze

Eines ist dabei schon jetzt klar: Ein solcher Satz wird der Kanzlerin nicht noch einmal entfahren. Und das ist vielleicht die größte Erkenntnis vier Jahre nach den ersten Enthüllungen von Edward Snowden: Worte wie „Internetknoten“ oder „Selektoren“ sind mittlerweile jedem politisch Interessierten ein Begriff. Niemand kann mehr sagen, er habe keine Ahnung davon gehabt, dass elektronische Kommunikation wie geschaffen erscheint fürs Sammeln, Auswerten und Beschädigen. Der Blick zurück auf die NSA-Affäre lässt daher auch den Schluss zu: Wir haben es mit einem globalen Volkshochschulkurs im Digitalen zu tun.

Doch das ist lediglich die niedliche Betrachtung von Vorgängen, die mit erheblichen Rechtsproblemen verbunden sind. Schon schnell nach dem Start des Untersuchungsausschusses krachte es: Die Union hatte den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, als Sachverständigen eingeladen. Seine Sätze jedoch wurden zum Bumerang für die Verteidiger der Abhörpraxis.

Papier war erschrocken über das, was der BND da anstellte. Er hielt die Überwachung von ausländischen Datenströmen etwa am großen Frankfurter Internetknoten DE-CIX schlichtweg für rechtswidrig. Nach diesem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss war klar, dass die Bundesregierung das Problem nicht weiter in der Manier des ehemaligen Kanzleramtschefs Ronald Pofalla (CDU) mit einem „Die Affäre ist beendet!“ vom Tisch wischen konnte.

Die Biegung der Gesetze hatte sich schleichend entwickelt. Der Aufstieg des Internets zur führenden Infrastruktur für Kommunikation bot den Nachrichtendiensten ungeahnte Möglichkeiten. Auf ihrer Seite bestand kein Interesse daran, sich dabei selbst an die Leine zu legen. Es passte ihnen daher ganz gut, die gesetzlichen Regeln aus der Zeit davor einfach mit ins Internetzeitalter zu übertragen. Für lange Zeit sollte das auch kaum jemandem auffallen.

BND-Gesetz legalisierte viel Umstrittenes

Laut dem Gesetz durfte der Auslandsnachrichtendienst lediglich Daten überwachen, die von Deutschland aus ins Ausland oder in die Bundesrepublik fließen. Das passiert mithilfe sogenannter Selektoren. Der sperrige Begriff fasst digitale Merkmale wie E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder bestimmte Suchbegriffe zusammen, nach denen man zum Beispiel an einem Internetknoten den Datenfluss abfischen kann.

Der BND operierte mit der Zeit allerdings im rechtlichen Graubereich. Das zeigte sich infolge der Arbeit des Untersuchungsausschusses: Man spähte nämlich auch die Kommunikation von Ausländern im Ausland aus. Und alles im großen Stil.

Nach Ansicht der Bundesregierung war das rechtlich gedeckt. Doch genau hier sehen viele einen Konflikt mit dem Grundgesetz: Wer massenhaft absaugt, wird kaum die genau formulierten rechtlichen Grenzen einhalten, die zum Beispiel das G-10-Gesetz für Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis vorsieht.

Irgendwann lenkte das Kanzleramt daher ein. Zu groß war der Druck vom Koalitionspartner SPD und der Opposition, aber auch aus den eigenen Reihen geworden. Selbst der BND wollte irgendwann neue festgeschriebene Regeln. Und so präsentierte die Regierung im vergangenen Jahr das BND-Gesetz, einen kommunikativen Coup von Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU).

Verschiedene rechtliche Grauzonen wurden damit beseitigt und die Kontrollen verschärft. Politische Verbündete sollen nicht mehr ausgespäht werden. Nach außen hin entstand für viele der Eindruck, der BND sei jetzt an die kurze Leine gelegt. Reform klingt ja auch nach Neustart. Viele Medien übernahmen diese Sicht. Schließlich waren selbst Sicherheitsexperten wie der heutige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) alarmiert gewesen und hatten den Prozess kurzfristig auf Eis gelegt.

Doch auch sie erkannten schnell, dass die Reform kein Eingeständnis von Fehlern darstellt oder gar die These vom Versagen untermauert. Im Gegenteil: Vieles von dem, was bislang still und heimlich geduldet wurde, ist jetzt sogar ganz offiziell legal.

Altmaiers positive Deutung des Ganzen

Das Kanzleramt richtete die Schuldfrage lieber nach außen. Als das ganze Ausmaß der Maßlosigkeit beim BND im April 2015 in die Öffentlichkeit drang, zeigte man auf den Geheimdienst: „Im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht“ habe man „technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert“.

Verantwortung dafür wurde aber nicht übernommen, auch wenn man die Dienst- und Fachaufsicht ausübt. Die Politik zog damit eine klare Grenze zu dem, was über die Jahre im BND vor sich hergegangen war. Der Skandal sollte in Pullach bleiben. Und tatsächlich ging die Taktik auf, wonach die Politik zwar gern die Informationen ihrer Dienste nutzt, aber von den Fouls dahinter nichts wissen möchte.

Vor allem die Befragung des BND-Vize zeigte das. Guido Müller war in den vergangenen Jahren zwischen Kanzleramt und BND hin- und hergewechselt. Er hatte damit Einblicke wie kaum ein anderer. Doch in der Befragung vor den Parlamentariern bestand er darauf, dass er Sachverhalte entweder durch die BND- oder die Kanzleramtsbrille betrachten könne. Beides zusammen – das ginge nicht. Als der Reformprozess dann in seine Schlussgerade ging, tauschte die Regierung den BND-Präsidenten aus. Schindler trat ab, Bruno Kahl – ein enger Weggefährte Schäubles – kam.

Im Kanzleramt stehen die Reihen weiterhin geschlossen. Am Montag erklärten Altmaier und Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche im Ausschuss, dass man erst spät von den Grenzüberschreitungen beim BND erfahren habe. Außerdem ebneten sie Merkel den Weg für ihren Auftritt an diesem Donnerstag: Hätte er bereits 2013 oder 2014 von den Überwachungsaktionen erfahren, hätte er sich so intensiv darum gekümmert, wie es dann geschehen sei, sagte Altmaier. Das ist die positive Deutung.

Die negative lautet: Ausgerechnet im Kanzleramt scheint es so etwas wie eine Amtsübergabe nicht zu geben. Denn bereits Ende Oktober 2013 hatte Altmaiers Vorgänger Pofalla dem BND eine Weisung gegeben. Derzufolge sollten die beim Dienst „eingesteuerten Botschaften von EU- und Nato-Staaten betrachtet“ und „deaktiviert“ werden.

Merkels berühmter Abhörsatz war da gerade erst ein paar Tage alt. Pofallas Anweisung darf daher als direkte Reaktion verstanden werden. Jeder kann sich jetzt überlegen, was das Kanzleramt tatsächlich über die BND-Praxis ahnte. Und das ist der Verdienst dieses Untersuchungsausschusses, der damit viel erfolgreicher geworden ist, als alle erwartet haben.

Quelle : welt.de

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