Medizinisches Cannabis

  20 Februar 2017    Gelesen: 1020
Medizinisches Cannabis
Schwerkranke Patienten in Deutschland können bald Cannabis auf Rezept erhalten, bezahlt von der Krankenkasse. Doch welche Nebenwirkungen gibt es? Und welche Dosis ist empfehlenswert?
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. In einigen Ländern ist die Pflanze aber auch als Medizin zugelassen, vor allem für chronische Schmerzpatienten, denen alle konventionellen Mittel nicht ausreichend helfen. Ab März gibt es dann auch in Deutschland Cannabis für Schwerkranke auf Rezept.

Doch es gibt viele Fragen: Wie sicher ist die Einnahme? Welche Nebenwirkungen drohen? Was sind mögliche Langzeiteffekte? Und welche Dosierung ist überhaupt empfehlenswert?

Auf all diese Fragen gibt es bisher nur unzureichende Antworten. Normalerweise durchlaufen Medikamente, ehe sie auf den Markt kommen, diverse Studien, in denen unter anderem die Sicherheit erforscht wird.

Besser als Placebo?

Medizinisches Cannabis aber hat oft einen anderen Weg genommen. In Kanada beispielsweise sind Bürger in den Neunzigerjahren vor Gericht gezogen, um ihr Recht auf Cannabis als Medikament einzuklagen. Inzwischen gilt das einem weiteren Gerichtsurteil zufolge nicht nur für getrocknetes Cannabis, sondern auch für Blüten oder Öle, die Kanadier mit einer entsprechenden Erlaubnis kaufen können.

Systematisch erforscht werden mögliche Nebenwirkungen und Wirkungen jedoch erst seit Kurzem. Gute wissenschaftliche Belege gibt es dafür, dass Cannabis bei chronischem Schmerz helfen kann und bei Übelkeit während einer Chemotherapie besser hilft als Placebo. Ebenso könne es die schmerzhaften Muskelanspannungen und Verkrampfungen bei Multipler Sklerose lindern, sagt Staci Gruber von der Harvard Medical School auf der US-Wissenschaftskonferenz AAAS in Boston.

Bei allen anderen Beschwerden ist die Datenlage dünn.

2015 hatte ein internationales Forscherteam 28 Datenbanken auf der Suche nach Studien durchgeforstet, die sich mit der Wirkung von Cannabis als Medikament auseinandergesetzt hatten.

Medizinisches Cannabis zu erforschen, ist komplizierter, als man denkt. Das beginnt schon mit der Definition, erklärt der Forscher Ryan Vandrey von der Johns Hopkins University in Baltimore. Es gebe extrem viele verschiedene Produkte auf dem Markt. Cannabis kann geraucht, verdampft, gegessen oder über die Haut zugeführt werden. Wie schnell und wie stark es wirkt und welche Nebenwirkungen zu erwarten sind, hängt davon ab, wie es eingenommen wird.

Falsche Angaben zum THC-Gehalt

Vandrey und Kollegen haben überprüft, ob medizinische Cannabis-Produkte zum Verzehr korrekt deklariert sind. Ihre Analyse von 75 verschiedenen Bonbons, Schokoladen, Backwaren und Getränken ist besorgniserregend: Nur 13 Prozent gaben den THC-Gehalt korrekt an. 60 Prozent enthielten deutlich weniger THC, 23 Prozent erheblich mehr. Beides ist problematisch: Bei einer zu geringen Dosis wirkt das Produkt nicht, es lindert also beispielsweise nicht den Schmerz. Bei zu großen Mengen können ernste Nebenwirkungen eintreten, etwa Angstzustände. Man brauche eine bessere Qualitätskontrolle in den USA, sagt Vandrey.

Mark Ware von der McGill University in Montreal, Kanada, hat es etwas leichter als sein US-Kollege: Wenn die Patienten in der großen Beobachtungsstudie, die er durchführt, sagen, von welchem der zugelassenen Händler sie ihr Cannabis beziehen, dann weiß er zumindest, welchen Gehalt an THC und CBD die Produkte haben. THC, Tetrahydrocannabinol, ist der wichtigste berauschende Wirkstoff in Cannabis, CBD, Cannabidiol, der wichtigste nicht berauschende. Je nach Züchtung unterscheiden sich die Konzentrationen beider Stoffe deutlich. Allerdings enthält Cannabis mehr als nur THC und CBD, in den Pflanzen stecken Dutzende sogenannter Phytocannabinoide.

Fast 200 Ärzte in Kanada liefern Daten für Wares Studie, an der momentan rund tausend Patienten teilnehmen. Ergebnisse dieser Untersuchung konnte er auf der Konferenz noch nicht vorlegen. Er betont, dass Cannabis nicht jedem Schmerzpatienten hilft. Bei etwa einem Drittel schlage es an, bei einem Drittel helfe es dagegen nicht und das letzte Drittel verspüre deutliche Nebenwirkungen.

Bessere Lebensqualität

Eine frühere, kleinere Studie zeigte aber, dass Menschen mit chronischen Schmerzen, die anfangen Cannabis zu konsumieren, nicht mehr schwere Nebenwirkungen erleiden als chronische Schmerzpatienten, die bei ihrer üblichen Medikation bleiben. Sie hatten aber häufiger mit leichten Nebenwirkungen wie etwa Kopfschmerzen zu kämpfen. Nach einem Jahr, in dem sie medizinisches Cannabis eingenommen hatten, berichteten die Probanden von einer besseren Lebensqualität und geringeren Schmerzen.

Wenn Schmerzpatienten medizinisches Cannabis konsumieren, brauchen sie zudem weniger Opioide - diese Schmerzmittel haben starke Nebenwirkungen und machen abhängig. Außerdem nehmen die Betroffenen weniger Antidepressiva ein.

Staci Gruber interessiert sich für die Langzeitwirkungen von medizinischem Cannabis. Konsumieren Menschen die Droge, um sich zu berauschen, dann wirkt sich das nicht gerade positiv auf einige Denkprozesse aus - besonders wenn der Konsum schon im Jugendalter einsetzt. Umso erstaunlicher sind Grubers erste Ergebnisse: Nehmen Patienten medizinisches Cannabis, verbessern sich ihre kognitiven Leistungen.

Noch lässt sich nur mutmaßen, worauf der Unterschied beruht. Eine Möglichkeit ist, dass Patienten andere Produkte bevorzugen, weil sie sich nicht unbedingt berauschen wollen. Auch der Altersunterschied zwischen den beiden Konsumentengruppen könnte eine Rolle spielen. Möglich ist auch, dass es schlicht ein Nebeneffekt der schmerzlindernden Wirkung ist, die bei den Studienteilnehmern eingesetzt hatte: Wer sich besser fühlt, kann sich auch besser konzentrieren. Sie betont, dass sich dieses Ergebnis nicht auf den Konsum von Cannabis ohne medizinischen Grund übertragen lässt.

Quelle : spiegel.de

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