Die EU will Flüchtlinge weltweit stoppen
Vor ziemlich genau einem Jahr stellte Italien seine Marineoperation "Mare Nostrum" ein. Es war der letzte Versuch, die Flüchtlinge davon abzuschrecken, per Boot nach Europa zu kommen. Anstatt Menschen in Seenot zu helfen, wollten die Europäer fortan nur noch ihre Grenzen absichern. Doch die Maßnahme scheiterte. Weiterhin machten sich Tausende Menschen auf den Weg, Hunderte starben. Allein bei einem Unglück Mitte April 2015 waren es über 800.
Nun versucht die EU darum etwas Neues. Um die Afrikaner von der Flucht abzuhalten, will die EU intelligentere Maßnahmen anwenden als die Abschreckung.
Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Valletta einigte sich die EU mit den Afrikanern auf ein Paket: Projekte sollen Arbeit schaffen, mehr afrikanische Studenten sollen nach Europa kommen dürfen, am Horn von Afrika, rund um die Krisenländer Somalia und Eritrea, soll es mehr Entwicklungshilfe geben.
Was passiert in der Sicherheitszone in Niger?
Vieles bleibt vage, doch eine Maßnahme könnte erfolgreich sein: Die EU will sich mit afrikanischen Staaten auf Rücknahmeabkommen einigen. Dann könnten es die Flüchtlinge zwar nach Europa schaffen, müssten aber damit rechnen, wieder abgeschoben zu werden – möglicherweise auch in Länder, aus denen sie gar nicht stammen.
Helfen könnte dabei das Migrationszentrum in Agadez, einem Knotenpunkt mehrerer Fluchtrouten im westafrikanischen Niger. Auch dieses Zentrum wird in den Beschlüssen des Valetta-Gipfels erwähnt. Die Einrichtung existiert bereits und soll angeblich dafür sorgen, dass Menschen auf ihrer Fluchtroute schon früh über die Bedingungen informiert werden, nach denen man in der EU Asyl erhält. Viele hoffnungsvolle Migranten könnten so von ihren falschen Vorstellungen befreit werden, so der Gedanke. Doch in Agadez, so wird es diskutiert, könnten auch "Sicherheitszonen" entstehen. In diesen Flüchtlingslagern würden nicht nur Menschen Unterschlupf finden, die auf dem Weg nach Norden sind. Es könnten auch Menschen dorthin abgeschoben werden.
Abgesehen von Eritrea, wo der Diktator ein brutales Regime über seine Landsleute ausübt, spielen afrikanische Staaten derzeit keine besonders große Rolle, wenn man betrachtet, von woher derzeit Flüchtlinge nach Europa kommen. Kein anderes afrikanisches Land ist derzeit unter den zehn wichtigsten Herkunftsländern. Doch die Migrationsbewegungen könnten wieder stärker werden. Die EU war nicht darauf vorbereitet, dass so viele Menschen aus Syrien kommen, obwohl es deutliche Anzeichen gab. Nun versucht sie, möglichen Fluchtbewegungen aus anderen Regionen vorzubeugen.
Erfolgreiche Kampagnen auf dem Balkan
Für den Balkan wurden bereits viele Maßnahme umgesetzt, die auch schon Wirkung zeigen: Die Staaten wurden allesamt zu sicheren Herkunftsländern erklärt, die Asylverfahren in Deutschland so beschleunigt. Außerdem fahren die Botschaften vor Ort Kampagnen, die den Menschen jede Hoffnung auf Asyl in Deutschland nehmen sollen. Die deutschen Politiker sagten früher noch öffentlich, dass fast kein Migrant vom Balkan Asyl in Deutschland erhält. Dann verstanden sie, dass das Wort "fast" von vielen dort als Einladung verstanden wurde, es doch zu probieren. Mittlerweile wägen sie ihre Worte noch genauer.
In Albanien, wo besonders viele Menschen herkommen, gilt es auch nicht als Schande, es in Deutschland nicht geschafft zu haben. Im Gegenteil: Der Versuch, sich den korrupten Bedingungen in Albanien zu entziehen, gilt für junge Menschen als ganz normale Option. Mittlerweile sind die Kampagnen besser auf die Gegebenheiten abgestimmt und Zahl der Migranten sinkt. Ein wichtiger Faktor dabei ist auch, dass die Staaten sich kooperativ zeigen. Sie leiden ja auch selbst unter dem Brain-Drain, dem Wegzug der gebildeten Mittelschicht.
EU blickt auch nach Asien
In Afrika ist die Situation oft anders. Hier sammeln manchmal ganze Dorfgemeinschaften Geld, um einem jungen Menschen die Fahrt nach Europa zu finanzieren. Wer es schafft, ist dann verpflichtet, Geld nach Hause zu überweisen – was der Wirtschaft dort zumindest kurzfristig mehr hilft als schadet. Die Staaten haben darum kaum ein Interesse daran, der EU dabei zu helfen, die Migranten aufzuhalten. Außerdem gilt es vielerorts als Schande, es nicht geschafft zu haben und abgeschoben zu werden. Der Preis der Kooperation ist darum höher. Wie in Niger muss sich die EU wohl vielerorts selbst darum kümmern, die Abgeschobenen unterzubringen.
In eine ähnliche Richtung weisen derzeit die Verhandlungen mit der Türkei: Die EU soll die dortigen Flüchtlingslager massiv finanziell unterstützen und dafür das Recht erhalten, Nicht-Türken in die Türkei abzuschieben, wenn sie das Land auf ihrer Flucht durchquert haben. Auch in Afghanistan sollen "Schutzzonen" entstehen, in die abgelehnte Asylbewerber gebracht werden können. Mit Pakistan verhandelt die EU derzeit. Das Land setzte ein bestehendes Rücknahmeabkommen kürzlich aus – angeblich, weil die EU das Abkommen missbrauche. Vielleicht will das Land aber auch den Preis in die Höhe treiben, den es für die Rücknahme der Migranten erhält.
Von Pakistan nach Europa sind es 5000 Kilometer. Doch die EU nimmt schon das nächste Land in den Blick: Auch mit Bangladesch soll es bald ein Rücknahmeabkommen geben, obwohl es erst wenige Hundert Menschen von dort nach Europa geschafft haben. Die Menschen dort leben unter ärmsten Bedingungen. Nicht zufällig lassen hier die globalen Textilkonzerne ihre Kleidung nähen. Entwicklungshilfe soll die Situation verbessern, doch gegen das große Problem der Zukunft wird das nicht helfen: Ein Sechstel des dicht besiedelten Landes liegt weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel – und dieser steigt beständig an.