Wie viele Todesopfer würde ein Krieg zwischen den USA und Russland fordern?

  22 Februar 2017    Gelesen: 961
Wie viele Todesopfer würde ein Krieg zwischen den USA und Russland fordern?
Die amerikanische herrschende Klasse steckt in einem erbitterten internen Konflikt über die Ausrichtung der Außenpolitik und die Frage des Kriegs. Die Demokratische Partei, ein Teil der Republikaner und ein Großteil der Medien führen eine hysterische Kampagne gegen Donald Trump, dem sie eine versöhnliche Haltung gegenüber Russland und Präsident Wladimir Putin unterstellen. Diese Kräfte agieren als Werkzeuge des Geheimdienstapparats, der jedes Abrücken von dem aggressiven Konfrontationskurs der Obama-Regierung gegen Moskau verhindern will.
Trump hingegen spricht für Elemente der herrschenden Elite und des Staatsapparats, die den Iran und China als die kurzfristige Ziele amerikanischer Provokationen und Kriegsvorbereitungen betrachten. Diese Elemente wollen den Konflikt mit Russland vorerst dämpfen, um Teheran und Peking zu isolieren.
In diesem Kampf zwischen zwei reaktionären und kriegslüsternen Fraktionen des US-Imperialismus geht es auf keiner der beiden Seiten um Demokratie. Allerdings versuchen die Demokraten, den Widerstand der Bevölkerung gegen die Trump-Regierung für den Kriegskurs gegen Russland einzuspannen. Hierzu berufen sie sich auf die haltlose Beschuldigung, Russland habe die Wahl 2016 beeinflusst.
Die Titelseiten der führenden Zeitungen waren monatelang voll mit Artikeln über die angebliche Einmischung Russlands in die politischen Angelegenheiten der USA und anderer Länder. Als Grundlage dienten die angeblichen Aussagen anonymer Geheimdienstmitarbeiter. Putin wurde von bekannten Kolumnisten als Diktator, Tyrann und Mörder verunglimpft, der Europa beherrschen und die amerikanische Demokratie unterwandern wolle.
Einige Kongressabgeordnete bezeichneten Russlands angebliche Einmischung in die amerikanische Wahl als „kriegerischen Akt“ (John McCain) und versprachen, Russland „in den Arsch zu treten“ (Lindsey Graham).
Während diese Kampagne läuft, verlegen die USA und die Nato Soldaten, Panzer und schweres Kriegsgerät an die russische Westgrenze und bereiten eine baldige militärische Eskalation in Syrien vor, wo von den USA unterstützte „Rebellen“ gegen syrische Regierungstruppen kämpfen, die ihrerseits von iranischen Truppen und russischen Luftstreitkräften sowie Militärberatern unterstützt werden.
In den baltischen Ländern und im Nahen Osten herrschen Bedingungen, unter denen selbst ein unbeabsichtigter Zusammenstoß zwischen amerikanischen und russischen Truppen einen offenen Krieg zwischen den beiden größten Atommächten der Welt auslösen könnte.
Doch weder die Medien noch die Politiker, die für eine aggressivere Haltung gegenüber Moskau eintreten, diskutieren darüber, wohin diese Politik führt. Noch viel weniger diskutieren sie über die wahrscheinlichen Folgen eines Kriegs zwischen den USA und Russland.
Wie viele Todesopfer würde ein solcher Krieg fordern? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dabei Atomwaffen zum Einsatz kommen? Über diese existentiellen Fragen schweigen die Kommentatoren und Politiker, die sich ständig über Trumps angebliche Nachgiebigkeit gegenüber Putin auslassen.
Hinter den Kulissen führen die Geheimdienste, das Pentagon und ihnen angeschlossene geostrategische Denkfabriken jedoch heftige Diskussionen und entwerfen detaillierte Pläne. Sie gehen dabei von der Voraussetzung aus, dass ein größerer Krieg mit Russland möglich, ja sogar unausweichlich ist. Die Pläne und Vorbereitungen auf einen derartigen Krieg und einen „Sieg“ der USA sehen auch den Einsatz von Atomwaffen vor.
Man muss nicht lange suchen, um die Verantwortlichen für diese Kriegspläne zu finden. Am Montag ernannte Präsident Trump den Militärstrategen und Generalleutnant H.R. McMaster zu seinem neuen Nationalen Sicherheitsberater.
Trumps Entscheidung für McMaster gilt allgemein als Zugeständnis an seine antirussischen Kritiker aus Politik und Geheimdiensten. Er ist die führende Gestalt eines Projekts der US-Armee mit dem Namen „Russlands neue Generation der Kriegsführung“ (Russia‘s New Generation Warfare). Die Teilnehmer an diesem Projekt haben mehrfach die Schlachtfelder der Ostukraine besucht, um Russlands militärische Fähigkeiten zu studieren und Strategien sowie Waffensysteme zu entwickeln, um es zu schlagen. McMaster hat die Vorbereitung auf einen konventionellen Krieg hoher Intensitätsstufe gegen Russland gefordert, in dem nicht nur Langstreckenraketen und Tarnkappenflugzeuge zum Einsatz kommen würden, sondern in dem es auch zu „Nahkämpfen“ kommen würde.
Abgesehen von konventioneller Kriegsführung diskutieren die Strategen der amerikanischen Denkfabriken auch darüber, was notwendig wäre, um einen Atomkrieg zu „gewinnen“. Das Center for Strategic and Budgetary Assessments (CSBA) veröffentlichte vor Kurzem einen 140-seitigen Bericht mit dem Titel „Preserving the Balance: A US Eurasia Defense Strategy“ WAHRUNG des Gleichgewichts – eine amerikanisch-eurasische Verteidigungsstrategie). Darin wurde dieses Thema detailliert diskutiert. Der Vorsitzende des CSBA ist Andrew Krepinevich, der auch den Bericht verfasst hat. Im Vorstand der Organisation sitzen Personen wie der ehemalige Staatssekretär für die Armee, Nelson Ford, der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey und der ehemalige General Jack Keane.
Krepinevich schreibt: „Man muss das Problem eines begrenzten Atomkriegs überdenken, egal ob die USA direkt daran beteiligt sind, oder ob er zwischen Parteien stattfindet, an denen die USA aus sicherheitspolitischen Gründen interessiert sind … Im Kalten Krieg stellte man sich als Folge eines Atomkriegs zwischen den Supermächten eine weltweite Apokalypse vor. Doch nach einem Krieg zwischen kleineren Atommächten oder sogar zwischen den USA und einem atomar bewaffneten Iran oder Nordkorea würde die Welt höchstwahrscheinlich noch funktionieren. Daher müssen die amerikanischen Streitkräfte darauf vorbereitet sein, auf unterschiedliche strategische Kriegsführungen an der eurasischen Peripherie zu reagieren.“
In einem früheren Bericht mit dem Titel „Rethinking Armageddon“ (Armageddon neu durchdenken) hatte Krepinevich argumentiert, der Einsatz einer „geringen Zahl“ von taktischen Atomwaffen sollte zu den angemessenen Reaktionen eines amerikanischen Präsidenten auf konventionelle Drohungen aus Russland gezählt werden.
Während des Kalten Krieges galt der „begrenzte“ Einsatz von Atomwaffen als Auftakt zu einem uneingeschränkten Atomkrieg, der mit der Zerstörung des Planeten enden würde. Heute gelten solche Diskussionen als „ehrenwert“ und vernünftig.
Diese Pläne werden gegenwärtig in Bezug auf die amerikanischen Waffensysteme umgesetzt. Das amerikanische Atomarsenal wird für eine Billion Dollar modernisiert. Im Mittelpunkt dieses Programms, das noch von Obama in Auftrag gegeben wurde, steht der Erwerb von kleineren, manövrierfähigen Atomwaffen, die eher im Kampf eingesetzt werden. Allerdings hat das Defense Science Board, ein Beraterkomitee des Pentagon, die Trump-Regierung vor Kurzem zu weiteren Maßnahmen aufgefordert. Sie soll Waffen entwickeln lassen, die für einen „begrenzten Einsatz“ im Rahmen einer „maßgeschneiderten nuklearen Option“ geeignet sind.
Wie viele Todesopfer würde ein solcher Konflikt fordern? Während des Kalten Kriegs hat das Pentagon mehrere Planspiele durchgeführt und ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass der „begrenzte“ Einsatz von Atomwaffen nicht nur Millionen zivile Todesopfer fordern, sondern auch schnell zu einem uneingeschränkten Atomkrieg eskalieren würde, bei dem große Städte zerstört würden.
1955 fand ein Planspiel namens Carte Blanche statt, bei dem die Reaktion auf einen russischen Einmarsch in deutsches Staatsgebiet mit einer „kleinen Anzahl“ taktischer Atomwaffen simuliert wurde. Das unmittelbare Ergebnis waren 1,7 Millionen Todesopfer und 3,5 Millionen Verwundete in Deutschland; weitere Millionen würden durch radioaktiven Niederschlag sterben.
In einem weiteren Planspiel aus dem Jahr 1983 mit dem Titel Proud Prophet führte die Nato einen begrenzten Erstschlag auf militärische Ziele der Sowjetunion durch. Doch die UdSSR gab nicht nach und begann mit einem umfangreichen Vergeltungsschlag. Das veranlasste die USA auf die gleiche Weise zu reagieren. Am Ende waren mehr als eine halbe Milliarde Menschen tot und die europäische Zivilisation zerstört.
Modernere Studien kamen zu ähnlich katastrophalen Ergebnissen. Laut einem Gutachten der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs von 2007 würde ein „begrenzter“ Atomkrieg zu mehr als einer Milliarde Todesopfern führen, hauptsächlich aufgrund schwerer Klimaveränderungen. Laut der amerikanischen National Academy of Sciences würde ein „uneingeschränkter Atomkrieg“ direkt bis zu vier Milliarden Todesopfer fordern.
Die Gefahr, dass die atomaren Brandstifter an der Spitze des krisengeschüttelten amerikanischen Kapitalismus einen solchen Krieg auslösen, ist real und allgegenwärtig. Wenn eine unabhängige revolutionäre Intervention der Arbeiterklasse in den USA und auf der ganzen Welt ausbleibt, ist ein solcher Krieg angesichts der Hetzkampagne gegen Russland sogar unausweichlich.
Die herrschende Elite Amerikas und ihre politischen Vertreter in beiden Parteien sind durch und durch kriminell und rücksichtslos. Die eskalierenden Kriege sind eine Verschwörung der Eliten, in die die breite Masse der Bevölkerung hineingezogen und geopfert werden soll.
Wenn jemand daran zweifelt, dass die herrschende Klasse Amerikas zu solchen Taten fähig ist, sollte er einen Blick in die Geschichte werfen. Unter Präsident Truman haben die USA Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki geworfen, die man heute als „kleinere“ oder sogar „taktische“ Waffen bezeichnen würde, nur um der Sowjetunion zu drohen. 100.000 Menschen wurden sofort getötet, weiter 100.000 starben in den nächsten vier Monaten an den gesundheitlichen Folgen der radioaktiven Strahlung.
Heute stehen die USA vor noch viel größeren wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen als in früheren Zeiten. Sie werden daher noch rücksichtsloser und verantwortungsloser vorgehen.
Die wachsende Widerstandsbewegung gegen die Trump-Regierung muss gegen alle Versuche der Demokratischen Partei geimpft werden, sie mit dem Virus der imperialistischen Kriegstreiberei zu infizieren. Die gegenwärtigen Proteste gegen Trumps Kabinett aus Milliardären und seine Angriffe auf Immigranten und demokratische Rechte sind nur die Vorboten einer Bewegung der Arbeiterklasse. Diese aufkeimende Bewegung muss politisch mit dem Programm des sozialistischen Internationalismus und dem Verständnis bewaffnet werden, dass der Kampf gegen Krieg und Diktatur den Kampf gegen den Kapitalismus erfordert.
Andre Damon

Erschienen auf wsws

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