Kurdenmiliz kämpft offenbar mit deutschen Waffen gegen Jesiden

  07 März 2017    Gelesen: 869
Kurdenmiliz kämpft offenbar mit deutschen Waffen gegen Jesiden
Die von der Bundeswehr ausgestatteten und trainierten Peschmerga setzen offenbar deutsche Waffen gegen jesidische Kämpfer ein. Das zeigen Aufnahmen aus dem Nordirak. Die Bundesregierung verlangt Aufklärung.
Das Filmmaterial ist verwackelt, unscharf. Es stammt von der kurdischen Nachrichtenagentur ANF sowie dem Fernsehsender Rudaw und zeigt Peschmerga in der nordirakischen Stadt Khanasor. Ein lokaler Kommandeur der kurdischen Truppen ist darauf zu erkennen und aufgebrachte Jesidinnen. Sie wollen offensichtlich verhindern, dass die Peschmerga Gräben ausheben. Die Situation ist feindselig, denn seit Kurzem kämpfen Teile der Peschmerga gegen die Jesiden. Vor zweieinhalb Jahren wurden sie mit deutschen Waffen ausgerüstet, um genau jenes Volk vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zu retten.

Danach sieht es auf den Filmsequenzen auf YouTube jedenfalls aus. Für mehrere Sekunden sind ein Peschmerga-Kämpfer und sein Gewehr zu erkennen. Es lässt sich anhand seines charakteristischen Griffs oben auf dem Lauf leicht identifizieren: ein G36 der Firma Heckler & Koch. Auf anderen Sequenzen sind Waffen vom Typ G3, dem Vorgänger des aktuellen Standardgewehrs der Bundeswehr, zu erkennen und ein Maschinengewehr vom Typ MG3.

Damit könnte eine Befürchtung bestätigt werden, die Oppositionspolitiker immer geäußert hatten, als die Bundeswehr aus ihren Beständen Waffen, unter anderem 8000 G36-Gewehre, an die Peschmerga lieferte.

Seit zwischen den Volksgruppen im Norden des Iraks Kämpfe ausgebrochen sind, studiert der Linken-Parlamentarier Jan van Aken die Bilder von den Gefechten, die über Facebook, Twitter und YouTube verbreitet werden. Van Aken war einst Experte der Vereinten Nationen für Biologische Waffen und suchte im Irak nach Laboren des gestürzten Diktators Saddam Hussein. Er ist sich sicher: "Unsere schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden, der Nordirak benutzt jetzt die deutschen Waffen, um seine eigene Macht auszubauen, selbst gegen die Jesiden."

Damals, im Jahre 2014, schien es ein Gebot der Stunde zu sein, über Parteigrenzen hinweg: Die Peschmerga sollten deutsche Waffen bekommen, um damit Tausende Jesiden vor den vergewaltigenden, mordenden IS-Kämpfern zu retten. Sie bekamen dafür Sturmgewehre des Typs G3 und G36 sowie Panzerabwehrfäuste vom Typ Milan. Damit konnten sie in der Tat den IS empfindlich treffen. Insbesondere die Milans erwiesen sich als äußerst effektiv gegen die Pick-up-Trucks des IS.

Noch im Januar rechtfertigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Bundestag ihre Entscheidung, die Ausbildung der Peschmerga durch rund 150 deutsche Soldaten weiterzuführen. "Es war richtig, die Kurden, das heißt die Peschmerga, auszurüsten und dies mit Ausbildung, ganz eng begleitet, zu kombinieren", sagte die Ministerin im Parlament. "Die Peschmerga haben viel Mut bewiesen. Sie haben als Erste den IS gestoppt, sie haben ihn empfindlich zurückgeschlagen, und sie haben Territorium zurückgewonnen." Die Parlamentarier folgten ihr und verlängerten das Mandat.

Doch die Frage, was mit den Waffen passiert, blieb unbeantwortet. Es gab Berichte darüber, dass die G36 auf Waffenmärkten in der Region auftauchten, einzelne Milan-Panzerabwehrsysteme sollen auch in falsche Hände geraten sein. Jetzt haben sich die Machtkämpfe in der Region zugespitzt, und die Frage, wofür die deutschen Waffen eingesetzt werden, erhält große Bedeutung. Die Lage rund um Khanasor im nordirakischen Distrikt Sindschar ist seit Wochen verworren. Die meisten Einwohner des Ortes sind Jesiden. Sie sprechen die gleiche Sprache wie die Kurden, viele Jesiden betrachten sich jedoch als eigenständiges Volk.

Im Sommer 2014 hatte der IS die Kleinstadt erobert und Dutzende jesidische Familien ermordet oder verschleppt. Wer konnte, floh. Erst nach knapp anderthalb Jahren gelang es kurdischen Kämpfern, die Dschihadisten zu vertreiben.

Doch seit der Rückeroberung liefern sich rivalisierende kurdische Milizen einen Machtkampf in Khanasor und Umgebung. Da sind auf der einen Seite die Peschmerga der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak. Sie beanspruchen die Kontrolle über alle kurdischen und jesidischen Siedlungsgebiete im Nordirak für sich. Diese Truppen wurden von der Bundeswehr für den Kampf gegen den IS ausgerüstet und ausgebildet.

Ihnen stehen die sogenannten Verteidigungseinheiten von Sindschar (YBS) gegenüber. Sie gelten als lokaler Ableger der PKK. In den Reihen der YBS sind viele Jesiden. Die Truppe genießt bei der Minderheit in Sindschar breiten Rückhalt, denn es waren nicht die Peschmerga, sondern die Verbündeten der PKK, die sich dem IS in Sindschar einst am entschiedensten entgegengestellt hatten.

Die Peschmerga fordern die YBS auf, sich aus Khanasor zurückzuziehen. Doch die Miliz weigert sich. Am Freitag eskalierte der Streit. Bei Gefechten wurde mindestens ein YBS-Kämpfer getötet. Ein Video zeigt offenbar jesidische Kämpfer, die sich einem Radpanzer aus deutscher Produktion vom Typ Dingo entgegenstellen, der sie wegdrängt, bis sie fliehen.

Auf beiden Seiten gab es Verwundete, auch zwei Journalisten wurden verletzt. Beide Parteien machten sich gegenseitig für die Zusammenstöße verantwortlich. Am Samstag einigten sie sich auf eine vorläufige Waffenruhe, der grundlegende Konflikt zwischen den rivalisierenden Fraktionen über die Macht in Sindschar bleibt jedoch ungelöst.

Mittlerweile regt sich unter den Jesiden große Unruhe wegen des möglichen Einsatzes deutscher Waffen gegen sie. Das Nachrichtenportal "EzidiPress" behauptet: "Bei den Gefechten in Khanasor setzten die Peschmerga das G36 gegen die Jesiden ein." Es seien Landsleute durch dieses Gewehr getötet worden.

"Es ist eine fürchterliche Vorstellung, dass die Waffenlieferungen und Ausbildung durch die Bundeswehr jetzt dazu missbraucht werden, die Jesiden ein zweites Mal zu unterdrücken oder zu vertreiben", sagt van Aken. Er fordert den Stopp der Lieferungen und ein Ende der Ausbildung. In jedem Fall dürfte es in den nächsten Tagen, wenn die Bundestagsabgeordneten zu ihrer Sitzungswoche nach Berlin kommen, heftige Diskussionen darüber geben, ob der Beschluss der Bundesregierung damals richtig war - oder ob der Verbleib der damals gelieferten Waffen nicht hätte besser kontrolliert werden können.

Die Bundesregierung nimmt den möglichen Missbrauch der deutschen Waffenhilfe durch die Peschmerga ernst. Bereits Ende vergangener Woche sah der Verteidigungsattaché an der Botschaft in der irakischen Hauptstadt Bagdad die ersten Fernsehbilder über die Scharmützel im Norden des Landes.

Die Gefahr, dass Kämpfe zwischen den kurdischen Gruppen und im schlimmsten Fall gegen die Jesiden ausbrechen könnten, hielt er für so relevant, dass er einen kurzen Kabelbericht schrieb und nach Berlin schickte.

Drei Tage später ist man schon ein ganzes Stück weiter. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte dem SPIEGEL am Montag, die im Nordirak stationierten Bundeswehrsoldaten seien angewiesen worden, im Namen Berlins bei der kurdischen Regionalregierung "unverzüglich" Aufklärung über die Vorgänge einzufordern.

Recht deutlich erinnerte er die Kurden an den Deal mit Deutschland. "Die Regierung der Region Kurdistan-Irak hat sich per Endverbleibserklärung verpflichtet, die gelieferten Waffen nur für den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat und im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht einzusetzen", betonte der Sprecher.

Quelle : spiegel.de

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