Die Flüchtlings-Ablehnungsfront

  05 September 2015    Gelesen: 709
Die Flüchtlings-Ablehnungsfront
Die Staaten der Visegrad-Gruppe lehnen verbindliche Flüchtlingsquoten ab - und stehen damit keineswegs allein. Die Frage, wie sie mit Migranten umgehen soll, entzweit die EU wie kaum eine zuvor.

Es hat eine gewisse Ironie: Die Visegrad-Gruppe wurde 1991 nach dem Ende des Kommunismus gegründet unter anderem mit dem Ziel, das gemeinsame Interesse einer europäischen Integration zu vertreten. Inzwischen sind diese vier Länder - Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei - längst EU-Mitglieder, bilden aber heute eine gemeinsame Front gegen eine EU-weite Verteilung von Flüchtlingen - sie stehen also in dieser Frage für das Gegenteil von europäischer Integration. Dabei hat aus dieser Gruppe einzig Ungarn überhaupt mit größeren Flüchtlingszahlen zu tun, und auch das nur als Transitland. Um die anderen drei Staaten machen Flüchtlinge ohnehin einen großen Bogen.

Das ist auch der Grund, warum die Visegrad-Regierungen argumentieren, Flüchtlinge wollten sowieso nicht bei ihnen bleiben und stattdessen weiter nach Westen, vor allem nach Deutschland. Feste Zuteilungsquoten hätten deswegen keinen Sinn. Dass kaum ein Flüchtling freiwillig in einem dieser vier Staaten Asyl beantragt, hängt mit der - im EU-Maßstab - relativen Armut dieser Länder zusammen.

Yves Pascouau von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre bestätigt die starke Sogwirkung Deutschlands, aber nicht nur wegen des höheren Wohlstands. Im Gespräch mit der DW spricht er von "zwei Bildern", die Asylsuchende vor sich hätten: "Sie haben das Bild eines Deutschlands, das sie willkommen heißt, und auf der anderen Seite das Bild einer Staatengruppe, die sie nicht auf ihrem Boden haben will."

Quote eine "verrückte Idee"

Und daraus machen führende Politiker der Visegrad-Länder keinen Hehl. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico meinte kürzlich: "Quoten fördern nur die organisierte Kriminalität." Und offenbar mit einem Seitenhieb auf Deutschland: "Wir werden nicht bei der verrückten Idee mithelfen, alle mit offenen Armen aufzunehmen." Für den tschechischen Präsidenten Milos Zeman sind praktisch alle Migranten "Wirtschaftsflüchtlinge", "sie sollten sofort zurückgeschickt werden".

Noch deutlicher wurde kürzlich der frühere tschechische Präsident Vaclav Klaus: "Wenn Europa Selbstmord begehen will, indem es eine unbegrenzte Zahl an Einwanderern aufnimmt, soll es das tun, aber ohne unsere Zustimmung", so Klaus in der Online-Version der Zeitung "Dnes".

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hatte die Quotenidee bereits zu Beginn des Sommers "verrückt" genannt und gewarnt: "Die Masseneinwanderung könnte das Antlitz von Europas Zivilisation verändern. Es gibt keinen Weg zurück aus einem multikulturellen Europa, weder zu einem christlichen Europa, noch zu einer Welt nationaler Kulturen."

Unterstützung aus dem Baltikum

Doch mit ihrer Abwehrhaltung stehen die Visegrad-Länder nicht allein. Auch die baltischen Staaten wollen möglichst keine weiteren Flüchtlinge, obwohl sie bisher kaum welche haben. Die frühere estnische Außenministerin Kristiina Ojuland hat sogar auf Facebook ihre Sorge ausgedrückt, die "weiße Rasse" sei bedroht.

Und der Widerstand ist nicht nicht einmal auf den Osten Europas beschränkt: Der britische Premierminister David Cameron hat von "Schwärmen" von Migranten gesprochen, die es abzuwehren gelte. Auch Dänemark hat die Sozialleistungen für Asylbewerber drastisch gesenkt, um Flüchtlinge fernzuhalten. Beide Staaten wären aber bei einem Quotensystem ohnehin außen vor, weil sie sich einige Ausnahmeregelungen erstritten haben.

So bleibt das Problem bisher an wenigen Staaten hängen, die Flüchtlinge in großer Zahl aufnehmen, und dazu zählt Deutschland. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber appelliert "gerade an die mittelosteuropäischen Staaten, ihre Blockadehaltung endlich aufzugeben. Alle Mitgliedsstaaten müssen nach ihren Möglichkeiten helfen." Doch bisher sieht es nicht danach aus.

Den Wert der Union erkennen

Einige Befürworter eines Quotensystems denken deshalb an Zwangsmaßnahmen. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann drohte den Gegnern mit finanziellen Strafen, wenn sie eine gerechte Verteilung boykottieren wollten.

Yves Pascouau vom European Policy Centre hält nichts von Zwang. Stattdessen sollten die Gegner "überzeugt werden, dass gemeinsames Handeln zu einer Lösung für alle führen wird". Wenn die Europäische Union eine Bedeutung haben solle, dann, "dass wir alle von der Union profitieren, aber auch, dass wir zusammen und auf der Grundlage von Solidarität handeln".

Pascouau glaubt, für die EU stehe sehr viel auf dem Spiel: "Wenn wir nicht die Größe des Problems erkennen, das eine außergewöhnliche Antwort von allen Mitgliedsstaaten verlangt, besteht tatsächlich die Gefahr, dass der Integrationsprozess leidet." Das ist noch zurückhaltend ausgedrückt. Wie groß die Herausforderung ist, zeigt die Tatsache, dass einzelne Staaten des grenzkontrollfreien Schengen-Raums angefangen haben, ihre Binnengrenzen wieder selbst zu kontrollieren und sich abzuschotten.

Die Europäer sind durch die Flüchtlingsströme gefordert wie nie. Aber die Gräben zwischen ihnen waren auch selten so tief wie jetzt.

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