Kiew löst Blockade des Donbass auf: Der lukrative Handel mit dem Feind

  15 März 2017    Gelesen: 1028
Kiew löst Blockade des Donbass auf: Der lukrative Handel mit dem Feind
Trotz Krieg herrscht zwischen dem besetzten Donbass und dem Rest der Ukraine ein lebhafter Handel. Mit der Auflösung einer Blockade hält Kiew daran fest. Dennoch nabelt sich der Donbass immer mehr ab.
Fast jeden Tag gibt es Tote oder Verletzte im «vergessenen» Krieg in der Ostukraine. Unversöhnlich stehen sich die ukrainische Armee und die Truppen der von Russland gestützten Separatistengebiete im Donbass gegenüber. Aber aus wirtschaftlicher Sicht ist die Front ziemlich löchrig. Das wurde einer breiteren Öffentlichkeit bewusst, als vor rund einem Monat ukrainische Aktivisten Bahnlinien besetzten und damit Kohlelieferungen aus dem Donbass in Richtung Westen blockierten. Das führte sofort zu wirtschaftlichen Problemen und zeigte, wie stark beide Seiten auf den Handel angewiesen sind.

Kohle und Schmuggelware

Nun ist den Behörden in Kiew der Kragen geplatzt. In der Nacht auf Dienstag haben sie die wichtigste Blockade geräumt, womit Kohlelieferungen aus dem Donbass prinzipiell wieder aufgenommen werden können. Ob es das letzte Wort bleibt, ist abzuwarten. Die Blockade durch ehemalige Frontkämpfer und Aktivisten aus der ukrainischen Zivilgesellschaft war in der Bevölkerung populär gewesen, weil der Handel mit dem Feind von vielen als «Blutgeschäft» abgelehnt wird. Am Dienstag gab es landesweit kleinere Demonstrationen.

Der Konflikt wirft ein Schlaglicht auf den lebhaften Warenverkehr über die Frontlinie, der offensichtlich für beide Seiten von Vorteil ist. Die ukrainischen Behörden gewährten im Jahr 2015 – nach dem zweiten Minsker Friedensabkommen – grosszügige Sondergenehmigungen für den Handel gewisser Waren. Kiew ist vor allem auf die Einfuhr von Anthrazit-Kohle aus dem Donbass angewiesen, denn sie wird für ein Drittel der Stromerzeugung in der Ukraine und auch für Teile der Stahlproduktion gebraucht. Gleichzeitig herrscht ein reger Schmuggel in die Separatistengebiete. Dort sind viele Güter knapp, und es werden hohe Preise gezahlt. An dem Schmuggel – er ist offiziell keiner, weil zwischen den Konfliktgebieten nur eine «Kontaktlinie» und keine Grenze verläuft – verdienen offenbar gut vernetzte Akteure auf beiden Seiten glänzend.

Während sich der Schmuggel kaum unterbinden lässt, sorgte die Blockade der offiziell zugelassenen Kohlelieferungen sofort für Probleme. Die Regierung in Kiew rief den Energienotstand aus, um notfalls den Strom zu gewissen Zeiten und in gewissen Regionen abstellen zu können. Zudem wurde befürchtet, dass wegen Produktionsausfällen das ukrainische Wirtschaftswachstum in diesem Jahr deutlich niedriger als bei den erhofften 2,5% zu liegen kommen würde. So hatte sich etwa der grösste Exporteur der Ukraine, das Stahlwerk Kryvyi Rih von Arcelor Mittal, bereits einen Notfallplan zurechtgelegt. Die Notenbank rechnete bei einer anhaltenden Blockade mit einer Halbierung des Wirtschaftswachstums für 2017.

Handeln oder nicht handeln?

Auf der anderen Seite der Frontlinie, im Donbass, waren die Folgen ebenfalls spürbar. Die Blockade traf vor allem Rinat Achmetow, den reichsten Mann der Ukraine. Seine SCM-Holding ist auf die Kohlelieferungen über die Frontlinie angewiesen, weil sie sowohl die meisten Kohleminen im Donbass besitzt als auch zahlreiche Kohlekraftwerke im Rest der Ukraine. Wegen der Unterbrechung des Handels mussten einige Unternehmen des Oligarchen den Betrieb einstellen. Damit drohte auch neues Leid für die von Krieg und Wirtschaftsmisere hart geprüfte Bevölkerung im besetzten Donbass. Achmetow ist der mit Abstand grösste Arbeitgeber in der Region, und über sein Hilfswerk leistet er viel humanitäre Hilfe. Wenn seine Geschäfte nicht laufen, spüren das die Einwohner.

Im Kern dreht sich der Blockade-Streit um eine grundlegende Frage: Soll Kiew mit den Separatistengebieten weiterhin Handel treiben? Politik und Zivilgesellschaft in der Ukraine sind über diese Frage gespalten. Die Gegner argumentieren, am Handel klebe das Blut von Tausenden Menschen, die im Krieg umgekommen seien. Man helfe damit nur den Separatisten und unterstütze mutmasslich korrupte Geschäfte des Oligarchen Achmetow und seiner Fürsprecher auf Kiewer Seite. Die Befürworter hingegen argumentieren nicht nur mit Vorteilen für die heimische Wirtschaft. Sie finden auch, man dürfe die Bevölkerung im Donbass nicht im Stich lassen – schliesslich gehöre dieser offiziell noch zur Ukraine. Auch wird im Handel eine friedenstiftende Wirkung gesehen; wenn er wegfalle, würden die Separatistengebiete endgültig in die Arme Russlands getrieben.

Der Donbass nabelt sich ab

Die wochenlange Blockade hat ihre Wirkung indessen nicht verfehlt: Die Führer der selbsternannten «Volksrepubliken» von Donezk und Luhansk haben sie genutzt, um die Abnabelung von der Ukraine voranzutreiben. Anfang März machten sie den russischen Rubel überall im besetzten Gebiet zur offiziellen Währung. Zudem schritten sie zur «Verstaatlichung» der Unternehmen von Achmetow und anderen Eigentümern. Sie übernahmen nach eigenen Angaben die Kontrolle von rund 40 Unternehmen und Einrichtungen.

Darunter sind etwa die Kohleminen Achmetows, aber auch das ihm gehörende Luxushotel Donbass Palace in Donezk oder die dortige Donbass-Arena, wo einst die Spiele des Fussballclubs Schachtjor und Partien der EM 2012 stattgefunden hatten. Mit Spannung erwarten Beobachter nun, ob sich der mächtige Achmetow das gefallen lässt. Er verfügt jedenfalls über einige Druckmittel. Wenn seine Firmen keine Löhne mehr zahlen können oder humanitäre Hilfe ausbleibt, wird der Unmut in der Bevölkerung nicht ausbleiben.

Wie es scheint, wollen die Separatistenführer ihre Chance nutzen, um sich neue Einnahmequellen zu erschliessen. Es handelt sich bei ihnen nicht um «Regierungschefs» im westlichen Sinne, sondern eher um Warlords, die nur dank grosser finanzieller und militärischer Hilfe Russlands ihre Gebiete unter Kontrolle halten können. Wahrscheinlich verdienen sie mit am Schmuggel über die Kontaktlinie: Ähnlich wie bei Mafia-Organisationen haben jüngst immer wieder Abrechnungen unter den Separatistenführern stattgefunden, bei denen es möglicherweise auch um die Kontrolle des Schmuggels geht.

Ganz auf Russland ausgerichtet

Ein Dorn im Auge dürften den Separatistenführern seit längerem die Aktivitäten Achmetows gewesen sein. Es gehört nämlich zu den Ungewöhnlichkeiten dieses Krieges, dass Achmetows Firmen trotz dem Konflikt weiterhin ihre Steuern an den Zentralstaat in Kiew ablieferten (denn sie sind nicht im Donbass registriert). Mit der jüngsten Zwangsmassnahme, nicht registrierte Firmen unter ihre Kontrolle zu bringen, wollen die Separatistenführer diese Zahlungen wohl für sich abzweigen. Nach ihren Plänen sollen die «verstaatlichten» Firmen jetzt ganz auf den russischen Absatzmarkt ausgerichtet werden. Die Lohnzahlungen an die Angestellten will man vorerst aus dem Haushalt der «Volksrepubliken» leisten.

Berichte aus dem Donbass nähren allerdings Zweifel daran, dass die Arbeiter ihre Löhne vollständig ausbezahlt bekommen. Wahrscheinlicher als eine erfolgreiche Umorientierung der grossen Donbass-Betriebe erscheint, dass diese unter der Kontrolle der Separatisten dem wirtschaftlichen Niedergang anheimfallen. Das könnte auch für Moskau unangenehm werden. Es würde bedeuten, dass Russland dem kriegsversehrten Donbass finanziell noch stärker unter die Arme greifen müsste.

Das zeigt: Die Unterbrechung des Handels mag zwar der Logik des Krieges entsprechen. Aber sie hat beträchtliche Kosten für alle Seiten.

Von kuriosen Statistiken und einem Klotz am Bein

mbe. · Falls sich der Donbass wirtschaftlich weiter von der Ukraine abnabelt, wirft das auch einen Schatten auf die Wachstumszahlen der Ukraine. Die unklare Stellung des Donbass als von prorussischen Kräften besetztes, aber offiziell von Kiew beanspruchtes Gebiet hat nämlich kuriose Folgen. So wird ein Teil der wirtschaftlichen Produktion in den Separatistengebieten weiterhin zum ukrainischen BIP gezählt; im Wesentlichen geht es um die Grossbetriebe des Oligarchen Achmetow. Nur die von Russland annektierte Krim wird komplett nicht mehr berücksichtigt. Die Entwicklung im Donbass beeinflusst also die ukrainischen Wachstumszahlen.

Vor dem Ausbruch des Konflikts im Jahr 2014 trug der besetzte Teil der Ostukraine rund 16% zum nationalen Bruttoinlandprodukt (BIP) bei. Der Krieg führte dann zur Zerstörung vieler Produktionsanlagen und zur Unterbrechung der Wertschöpfungsketten mit Verbindung zum Rest der Ukraine. Das war wesentlich für die tiefe Rezession in der Ukraine verantwortlich, die die Wirtschaftsleistung von Anfang 2014 bis Sommer 2015 um insgesamt rund 18% einbrechen liess. Wie hoch die Wirtschaftsleistung im Donbass heute noch liegt und welchen Anteil sie am ukrainischen BIP ausmacht, ist nicht klar. Dennoch kann man vermuten, dass eine vollständige Abnabelung die Wachstumsaussichten kurzfristig etwas eintrüben würde. Die gängigen Schätzungen gehen für 2017 von einem Realwachstum von 2,5% aus.

Anders gelagert ist die längerfristige Frage, ob Kiew überhaupt auf ein Wiedererlangen des Donbass hinarbeiten soll. Aus wirtschaftlicher Sicht erscheint das nicht als attraktiv. Für den Wiederaufbau der darniederliegenden Region müssten Milliarden ausgegeben werden. Zudem ist die im Donbass dominante Kohle- und Stahlindustrie kein zukunftsträchtiger Wirtschaftszweig. Viele Beobachter sehen den Donbass deshalb als Klotz am Bein und empfehlen, sich mit dem Verlust des Territoriums abzufinden. Freilich widerspricht das der Regierungslinie und auch dem Nationalstolz vieler Ukrainer.



Quelle:nzz

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