Die Erklärung, deren Entwurf dem SPIEGEL vorliegt und die kommende Woche im EU-Parlament verabschiedet werden soll, enthält folgende Kernforderungen:
Das Vereinigte Königreich soll alle seine finanziellen Verpflichtungen an die EU auch nach dem Austritt erfüllen - also auch jene, die sich aus dem aktuellen EU-Etat ergeben, der noch bis zum Jahr 2020 läuft. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger sprach von einem "hohen zweistelligen Milliardenbetrag", anderswo war von 60 Milliarden Euro die Rede.
Großbritannien soll nach dem Austritt "keine ähnlichen Vorteile genießen wie ein EU-Mitglied".
Die Rechte und Interessen von in der EU lebenden Briten und von EU-Bürgern, die in Großbritannien leben, sollen in den Verhandlungen hohe Priorität haben.
Britische Alleingänge in der Handelspolitik oder anderen Bereichen, für die die EU zuständig ist, werden notfalls mit Sanktionen bestraft. Das soll vor allem Versuche Londons unterbinden, schon während der Brexit-Verhandlungen mit anderen Staaten über Handelsabkommen zu reden.
Fragen bezüglich der Landesgrenzen müssen geklärt werden. Besorgt zeigt sich das EU-Parlament insbesondere über die Situation in Irland. Der nordirische Friedensprozess müsse unbedingt gesichert bleiben.
Einige dieser Forderungen laufen den britischen Vorstellungen nicht nur komplett zuwider. Das EU-Parlament kann sie auch durchsetzen - denn der Austrittsvertrag kann nur mit seiner Zustimmung in Kraft treten. Für ein Nein gäbe es eine komfortable Mehrheit, da die Resolution von Christ- und Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen stammt.
Großbritannien soll nicht einmal "ähnliche Vorteile" wie EU-Staaten haben
Eine ihrer schärfsten Formulierungen bezieht sich auf die künftigen Handelsbeziehungen. Britische Spitzenpolitiker hatten für ihr Land die "exakt gleichen Vorteile" wie zu Zeiten der EU-Mitgliedschaft gefordert. Das EU-Parlament weist das nicht nur zurück, sondern geht noch einen Schritt weiter: Nicht einmal "ähnliche Vorteile" soll Großbritannien nach dem Austritt haben. Man werde "keiner Einigung zustimmen, die dem widerspricht", heißt es in dem Entwurf. Das gleiche gelte für Regelungen, die Großbritannien bevorzugten Zugang zu einzelnen Sektoren des EU-Binnenmarkts gäben, etwa bei Finanzdienstleistungen.
"Wir wollen keine Revanche", betont der CDU-Außenpolitiker Elmar Brok, der an der Ausarbeitung der Resolution beteiligt war. "Aber wir wollen eine faire Lösung. Und dazu gehört, dass ein Land nach einem Austritt nicht besser dastehen kann als vorher."
Ohnehin will sich das EU-Parlament - anders als die britische Regierung - mit den Gesprächen über die zukünftigen Beziehungen Zeit lassen. Sie sollten erst stattfinden, wenn es "substanzielle Fortschritte" beim Austrittsabkommen gibt. Zugleich stellt das Parlament Bedingungen an einen Zukunftsvertrag: Großbritannien müsse sich an EU-Standards etwa in der Umwelt- und Klimapolitik, in der Handels- und Sozialpolitik sowie im Kampf gegen Steuervermeidung halten. Letzteres dürfte eine Reaktion auf Londoner Gedankenspiele sein, künftig mit Mini-Steuern Unternehmen anzulocken.
Auch hier ist ein Konflikt mit London programmiert: Denn sollte sich die britische Regierung auf solche Forderungen einlassen, müsste sie sich von ihren Wählern fragen lassen, warum man überhaupt aus der EU ausgetreten ist.
Scharfe Kritik an Mays Sicherheits-Drohung
Im Resolutionsentwurf heißt es auch, dass innere und äußere Sicherheit nicht gegen künftige Wirtschaftsbeziehungen ausgespielt werden dürften. Die britische Premierministerin Theresa May hatte in der Austrittsmitteilung an die EU gedroht: Sollte es am Ende der Verhandlungen keinen Deal geben, würde "unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus geschwächt".
Im EU-Parlament kam das weniger gut an. "Es wäre abscheulich, in diesen Verhandlungen mit Menschenleben zu spielen", sagte Gianni Pittella, Fraktionschef der Sozialdemokraten. Mays Satz wirke wie eine Erpressung und sei "kein geschickter Schachzug". Ähnlich äußerte sich Guy Verhofstadt, Brexit-Koordinator des EU-Parlaments: "Die Sicherheit unserer Bürger ist viel zu wichtig, um mit ihnen zu handeln."
Die britische Regierung bestritt, dass es sich um eine Drohung handele. Doch auch in Großbritannien wurde der Satz so aufgefasst. Eine Aussetzung der Sicherheitszusammenarbeit richte sich nicht nur gegen die EU, sagte die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper, sondern sei "ein Akt ernsthafter Selbstbeschädigung". Sogar aus den eigenen Reihen wurde May angegriffen. Der Austausch von Geheimdienstinformationen sei "von entscheidender Bedeutung", sagte der Tory-Politiker Timothy Kirkhope dem "Guardian". "Man kann Sicherheit nicht zur Verhandlungsmasse machen."
Für die Lösung der Streitpunkte bleiben der EU-Kommission und der britischen Regierung unter dem Strich nur 18 Monate. Zwar ist theoretisch eine Verlängerung der Frist möglich, doch davon will man im EU-Parlament nichts wissen. Gebe es bis zum 30. März 2019 kein Abkommen, heißt es im Resolutionsentwurf, werde Großbritannien die EU automatisch verlassen - "und zwar in ungeordneter Weise".
Quelle : spiegel.de
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