Kreml: Wissen nichts von Schwulenverfolgung, ist nicht unser Thema

  04 April 2017    Gelesen: 622
Kreml: Wissen nichts von Schwulenverfolgung, ist nicht unser Thema
Ein Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin konnte Berichte über die Verschleppungen schwuler Männer im Nordkaukasus weder bestätigen noch dementieren.
Zwei Tage nach dem Bericht der russischen Tageszeitung "Novaya Gazeta" über die Verschleppung und Ermordung schwuler Männer in der autonomen Republik Tschetschenien ist die Lage weiterhin unübersichtlich.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Montag, er habe von den Berichten gehört, wisse aber nicht, inwieweit diese der Realität entsprechen würden. Das Innenministerium werde die Vorwürfe prüfen. Ohnehin sei das Thema "eine Frage der Strafverfolgungsbehörden, nicht der Agenda des Kreml".

Der Sprecher von Russlands Präsident Wladimir Putin wurde auch gebeten, eine Äußerung des Sprechers des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow zu kommentieren. Alwi Karimow hatte am Samstag gegenüber der Agentur Interfax gesagt: "Du kannst keine Personen verhaften oder unterdrücken, die in der Republik nicht existieren. Falls solche Menschen in Tschetschenien existieren würden, hätten ihre Verwandten sie zu einem Ort geschickt, von dem sie nicht zurückkehren können."

Putins Sprecher meinte dazu, er sei "kein großer Experte auf dem Gebiet von nicht-traditioneller sexueller Orientierung" und könne Reporterfragen dazu nicht in einer geeigneten Weise beantworten.

"Menschenrechtlerin" rudert nach homofeindlicher Aussage zurück

Das russische LGBT-Netzwerk hat am Montag wegen der vom Kreml nicht kommentierten Äußerung Karimows Strafanzeige gestellt – ebenso wie gegen Heda Saratow vom Menschenrechtsrat der tschetschenischen Republik. Diese hatte am Samstag betont, sie habe keine Berichte über die Verfolgungen erhalten, würde diese aber auch nicht verdammen: "Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch in Tschetschenien, der Traditionen und sich selbst achtet, alles tun wird, damit wir keine solche Menschen (LGBT) haben." Homosexualität sei aus ihrer Sicht schlimmer als Krieg.

Am Sonntag betonte Saratow gegenüber "Business FM", sie sei teilweise missverstanden worden, habe sich teilweise aber auch unglücklich geäußert. "Vielleicht war ich sogar etwas verrückt, als ich das Interview gab. Es tut mit leid, dass ich sagte, dass Angehörige es nicht bedauern würden, wenn den Leuten etwas zustoße. Ich rufe niemanden zu Gewalt auf."

Der tschetschenische Menschenrechtsrat betonte am Montag geschlossen in einer Mitteilung, man habe keine direkten oder indirekten Beweise für die Behauptungen der "Novaya Gazeta" gefunden. Der Artikel belege keinen einzigen der erhobenen Vorwürfe und diene allein der Destabilisierung der Region. Der Menschenrechtsbeauftragte der Republik, Nurdi Nuckhazhijew, meinte, es lohne nicht, einen "solchen Nonsens" zu kommentieren.

Michail Fedotow vom landesweiten Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten betonte hingegen immerhin am Montag, die Berichte über die Verschleppungen seien derart "monströs", dass sie untersucht gehörten. Seine Kollegen aus Tschetschenien hätten diese bei einem Telefonat aber zunächst nicht bestätigen können.

Ein Kollege von Fedotow im Menschenrechtsrat, Igor Kalyapin, der auch Vorsitzender einer NGO gegen Folter ist, meinte, er habe noch keine Belege für Massenverhaftungen erhalten. Im Laufe der Jahre hätten sich immer wieder Menschen an ihn gewandt, weil sie als Homosexuelle in Tschetschenien Angst um ihr Leben gehabt hätten. Da eine Öffentlichmachung ihrer sexuellen Orientierung allerdings gefährlich sei, wendeten sich nur wenige Menschen an ihn.

"Beispiellose" Verfolgungswelle unklaren Ausmaßes

Wie die Lage vor Ort aussieht, scheint auch deswegen derzeit niemand so genau zu wissen. Die "Novaya Gazeta" hatte berichtet, im ganzen Land seien über 100 Schwule verschleppt und etliche getötet worden, von drei Ermordeten kenne man die Namen. "Wir haben mehrere Informanten in Tschetschenien, die den Bericht der Zeitung bestätigt haben", sagte Tanja Lokschina von Human Rights Watch in Moskau laut Spiegel Online. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Behörden eine Anti-Homosexuellen-Kampagne fahren, die viele dazu zwingt, das Land zu verlassen."

Der landesweit bekannte LGBTI-Aktivist Igor Koschetkow vom russischen "LGBT Network" hatte den Zeitungsbericht am Sonntag in einem Radiointerview in Grundzügen bestätigt und gemeint: "Die Menschen verschwinden, sie werden getötet" (queer.de berichtete). Das genaue Ausmaß der Aktionen sei noch nicht abzuschätzen, sagte Koschetkow am Montag auch der dpa. "Aber was jetzt in Tschetschenien passiert, ist beispiellos".

Das Netzwerk hatte sich am Sonntag in einer Stellungnahme (engl., russ.) "sehr verstört und besorgt" gezeigt über die "Informationen zu Entführungen und Morden" in Tschetschenien, eigene Informationen wolle man am Montag der Staatsanwaltschaft übergeben (auch die Zeitung hatte diesen Schritt angekündigt). Für Betroffene aus der Region hat das Netzwerk eine Hotline eingerichtet; mit Partnern vor Ort, in Russland und weltweit will man bei einer "Evakuierung" helfen. Größtes Ziel sei zunächst, die Hotline und die Möglichkeit der Flucht den Betroffenen vor Ort bekannt zu machen.

LSVD und Hamburger CSD fordern Handeln

In Deutschland hat sich derweil der Vorstand des Hamburg Pride am Montag mit einem Brief an Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sowie an die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), und den Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Matthias Zimmer (CDU), gewandt und sie eindringlich gebeten, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um die "brutale Verfolgung sexueller Minderheiten" zu stoppen.

"Das von den Medien berichtete Vorgehen der tschetschenischen Behörden ist absolut inakzeptabel und ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte der Betroffenen", heißt es in dem Brief. "Es ist nicht hinnehmbar, dass eine Regierung staatlich organisierte Ermordungen und eine brutale Verfolgung sexueller Minderheiten durchführt. Dies muss mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verhindert werden, außerdem müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden."

Der Hamburg Pride bittet die Politiker, "die Machthaber in Tschetschenien auf diplomatischem Wege aufzufordern, menschenrechtliche Standards und Verpflichtungen einzuhalten und sich nicht darauf herauszureden, dass es keine Homosexualität in ihrem Lande gebe".

Auch der LSVD verfolgt die Medienberichte "mit großer Sorge und Bestürzung": "Die deutsche Politik muss den Meldungen zu diesen brutalen Menschenrechtsverletzungen sofort nachgehen und gegebenenfalls gegenüber den tschetschenischen Behörden alle Anstrengungen unternehmen, um das Leben von Homosexuellen in Tschetschenien zu schützen", so der Verband am Montag in einer Pressemitteilung. Er hatte dazu ebenfalls Briefe an die vom Hamburger CSD angeschriebenen Politiker aufgesetzt. Am Vortag hatte bereits der Grünen-Politiker Volker Beck ein Handeln von Außenminister Gabriel eingefordert.

Die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien hat ihrerseits den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) zum Handeln aufgefordert: "Wenn die Berichte zutreffen, handelt es sich hierbei um die massivsten staatlichen Übergriffe auf Homosexuelle in Europa seit der Verfolgung von Homosexuellen im NS-Regime. Auch wenn die Dimensionen nicht vergleichbar sind, hat es doch seit 1945 keine derart willkürlichen, staatlich geduldeten Tötungen von Homosexuellen in Europa mehr gegeben!" Die Politik müsse alles tun, "sei es bilateral, im Rahmen des Europarats, der OSZE oder der UNO, um der russischen Regierung klarzumachen, dass diese Angriffe auf die grundlegendsten Menschenrechte – allen voran auf das Recht auf Leben – nicht toleriert werden können."

Quelle:queer

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