Wie das künftige Engagement in Syrien ausfallen wird, ist noch vage. Die Türkei hat gerade die Operation "Schutzschild Euphrat" abgeschlossen, die dazu diente, den selbsternannten Islamischen Staat (IS) von der türkischen Grenze zu verdrängen und ein zusammenhängendes Kurdengebiet in Syrien zu verhindern. Türkische Truppen eroberten im Nordwesten mit lokalen Kräften ein kleines Dreieck, das sie auch nach Abschluss von "Schutzschild Euphrat" noch besetzen. Und eigentlich geht es von dort aus nicht voran. Jede weitere Bewegung würde einen massiven Eingriff in die Sphären des syrischen Regimes, Russlands oder der USA und deren verbündeten syrischen Kurden bedeuten.
Erdogan äußerte sich aber erstmals konkret zur geplanten möglichen Intervention im Irak: Eine künftige Operation werde "nicht nur eine syrische Dimension haben, sondern auch eine irakische Dimension", sagte er. "Da sind die Probleme in Tal Afar und Sindschar. Wir haben auch Verwandtschaft in Mossul." Mit dem Begriff "Verwandtschaft" spielt Erdogan auf die Turkmenen an, die in der Region leben und als deren Schutzmacht sich Ankara versteht.
"2500 PKK-Terroristen in Sindschar"
Der türkische Präsident fürchtet, dass der Türkei unliebsame Kräfte das Vakuum füllen könnten, das mit der Zerstörung des IS im Irak entsteht. Zum Beispiel schiitische Milizen, die dem regionalen Rivalen Iran verbunden sind. Vor allem bereitet Erdogan das Erstarken der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Zweistromland Sorgen. Erdogan warnte vor einem "zweiten Kandil". In den Kandil-Bergen im Nordirak hat die PKK, die ihren Ursprung in der Türkei hat, dort aber heftig bekämpft wird, seit Jahrzehnten einen Rückzugsort. Nun etabliert sich die PKK auch zusehends in der Region Ninive und insbesondere in Sindschar. "Es gibt dort ungefähr 2500 PKK-Terroristen, die im Begriff sind ein zweites Kandil zu schaffen", so Erdogan.
Die PKK hatte Medienberichten zufolge angekündigt, der Minderheit der Jesiden, die in Sindschar vom IS drangsaliert wurden, beim Aufbau eigener Verteidigungskräfte zu helfen. Sie versprach, wieder abzuziehen, sobald das gelungen sei. Doch weder Erdogan noch die kurdische Regionalregierung rund um Präsident Masud Barzani, die im Gegensatz zu anderen Kurdenvertretungen gute wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Ankara pflegt, glauben daran. Es kam bereits zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Barzanis irakischen Kurden und jenen jesidischen Milizen, die von der PKK unterstützt werden.
Auch Innenpolitik könnte eine Rolle spielen
Erdogan will auf jeden Fall verhindern, dass die PKK in Sindschar einen weiteren Stützpunkt etabliert. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass den türkischen Präsidenten überdies innenpolitische Ambitionen treiben.
Der frühere türkische Soldat und heutige Sicherheitsexperte Metin Gurcan nannte die beendete Operation "Schutzschild Euphrat" in einer Kolumne einen "taktischen Erfolg". Denn seiner Meinung nach ging es bei der Operation auch darum, den Ruf des Militärs nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli wieder zu verbessern und von innenpolitischen Missständen abzulenken. Gurcans Argumentation: Weil es in Syrien praktisch keine Möglichkeit gibt, weiter voranzuschreiten, ohne in Konflikt mit Moskau und Washington zu geraten, ist eine Operation abseits dieser direkten Einflusssphären der Großmächte eine Gelegenheit, um die Geschichte von "Schutzschild Euphrat" weiterzuschreiben. Gurcan hält den Einsatz von 10.000 türkischen Soldaten im Irak für möglich, die mit Barzanis Peshmerga zusammen gegen die PKK vorgehen könnten.
Ein starkes militärisches Auftreten passt insbesondere zu Erdogans Erzählung, dass die Türkei einen starken Mann brauche, um die Interessen des Landes in der Welt zu vertreten. Der Staatschef wirbt derzeit für die Einführung eines Präsidialsystems, das ihm weitreichende Befugnisse bescheren würde. Am 16. April stimmen die Türken in einem Referendum darüber ab.
Die Regierung in Bagdad dürfte die jüngsten Äußerungen aus Ankara besorgt mit anhören. In der Vergangenheit kam es wiederholt zu Streit wegen Ankaras Ambitionen im Irak - unter anderem wegen der Stationierung türkischer Militärberater auf dem Stützpunkt Baschika im Nordirak. Denn die unterstützten dort auch Barzanis Peshmerga-Kämpfer bei der Mossul-Offensive. Schon damals ertönten heftige Drohungen aus Bagdad. Die irakische Regierung will zumindest keine unabgestimmten türkischen Interventionen im Land.
Tags: