Skurrile Altlast: Warum die USA „Hühnchen-Steuer“ auf Autos erheben

  11 April 2017    Gelesen: 488
Skurrile Altlast: Warum die USA „Hühnchen-Steuer“ auf Autos erheben
Der „Hühnerkrieg“ ist lange vorbei, doch seine Folgen spürt die Wirtschaft bis heute.
Ein Handelsstreit um Billighühnchen, den sich Amerika in den 1960er Jahren mit Frankreich und Deutschland lieferte, hat noch immer starke Auswirkungen auf den US-Markt für Pick-ups und Transporter.

Die „Chicken Tax“, bei der Importhürden für Hühner mit Strafzöllen auf bestimmte Autos vergolten wurden, gilt als skurrile Fußnote der Wirtschaftsgeschichte. Doch angesichts des handelspolitischen Säbelrasselns von US-Präsident Donald Trump könnte sie dieser Tage kaum aktueller sein.

Rückblick: Ab 1960 erobern billige Hühnchen aus den USA die europäischen Märkte. Bis dahin war das Geflügel dort eine teure Delikatesse, nun lässt die Exportflut aus Amerika die Preise fallen. Landwirte auch in Deutschland fürchten um ihre Existenz.

Um die heimische Branche zu schützen, reagieren Frankreich und die Bundesrepublik mit hohen Einfuhrzöllen. Doch die Revanche lässt nicht lange auf sich warten — die USA schlagen zurück, indem sie ihrerseits die Handelsbarrieren für landwirtschaftliche Produkte hochziehen.

Doch damit nicht genug. Um sich im Wahlkampf die Unterstützung der Autogewerkschaft zu sichern und die Handelsgegner dort zu treffen, wo es schmerzt — etwa beim VW-Bus, dem damaligen Exportschlager Deutschlands — erhebt US-Präsident Lyndon B. Johnson die 25-prozentige „Hühnchen-Steuer“ kurzerhand auch für leichte Nutzfahrzeuge aus dem Ausland.

So wurde der Markt für die bei US-Verbrauchern beliebten Pritschenwagen und Kleinlaster zu einer „Made in America“-Domäne — während Pick-up-Trucks beim Import ein Viertel ihres Warenwerts aufgeschlagen wird, gilt für Pkw nur ein Einfuhrzoll von 2,5 Prozent.

Die Konsequenzen für die US-Käufer: Weniger Auswahl wegen geringeren Wettbewerbs. So bietet etwa Volkswagen seinen Pick-up Amarok gar nicht in den USA an. Experten bemängeln, dass die US-Hersteller ihr Innovationsstreben in diesem abgeschotteten Segment schleifen ließen, worunter die Produktqualität leide.

Auf der anderen Seite besteht kein Zweifel, dass die „Hühnchen-Steuer“ US-Jobs geschützt und geschaffen hat. So bauten die großen japanischen Autokonzerne nicht zuletzt deshalb Fabriken in den USA, um dem Strafzoll auszuweichen. Allerdings kam es auch schon zu einigen bizarren Umgehungsmanövern.

Das erste, was der Branche zur Vermeidung der „Chicken Tax“ einfiel, war nur begrenzt kreativ — die betroffenen Fahrzeuge wurden einfach grob in Komponenten zerlegt eingeführt und dann in den USA wieder zusammengebaut. So kamen etwa Fahrgestell und Ladefläche separat über die Grenze, erst in den USA wurden daraus wieder Pick-ups.

1980 schob die US-Regierung dem jedoch einen Riegel vor. Ab jetzt war Fantasie gefragt: Subaru verpasste seinem Pritschenwagen „BRAT“ zwei nach hinten gerichtete Plastiksitze mit Panoramablick auf der Ladefläche, um ihn so als Pkw einführen zu können.

Später sollte auch ein US-Autobauer die kuriosen Folgen der „Hühnchen-Steuer“ auf die Spitze treiben: Ford importierte den kostengünstig im Ausland gefertigten Minitransporter „Transit Connect“ mit Rücksitzen und -Fenstern — die dann im Heimatland wieder ausgebaut wurden, um den Fahrzeugtyp umwidmen zu können.

Das gab aber Ärger mit den US-Zollbehörden, die der Praxis 2013 Steine in den Weg legten. Auch das deutsche Branchenschwergewicht Daimler begegnet der Steuer indes schon länger auf recht groteske Art.

Die Stuttgarter verkaufen in den USA ihren europäischen Verkaufsschlager Mercedes-Benz Sprinter. Die Transporter werden im Düsseldorfer Werk fertig gebaut — dann aber in größere Teile zerlegt, verschifft und in einem Werk im US-Bundesstaat North Carolina wieder zusammenmontiert.

Das einzige Teil aus US-Produktion: Die Batterie. Auf diese Weise werden nur Einfuhrzölle von 2,5 Prozent fällig. Doch dieses, im Fachjargon „Semi-Knocked-Down“ genannte Verfahren, ist aufwendig. Wirtschaftlicher wäre es für Daimler, vor Ort zu fertigen.

Und genau das soll nun auch passieren. In North Charleston im US-Bundesstaat South Carolina baut Daimler derzeit für rund 500 Millionen US-Dollar ein neues Sprinter-Werk, der erste fertige Transporter dort soll bis zum Ende des Jahrzehnts die Fabrik verlassen.

Die „Chicken Tax“ war ein wichtiger Grund für den Werksbau. „Ich konnte es nicht glauben. Erst bauen und dann wieder auseinanderbauen, das hat mich wirklich beschäftigt — und die Kosten!“, sagte Spartenchef Volker Mornhinweg Ende 2016 dem Branchenblatt „Automotive News“.

Doch sollte US-Präsident Trump Ernst machen mit seinen Strafzöllen auf US-Importe, so könnte die hohe „Hühnchen-Steuer“ für die Autobranche bald zur Randnotiz werden. Die Drohkulisse sieht Einfuhrsteuern von 35 Prozent vor — ein Schreckensszenario für die Industrie. Bislang ist schwer einzuschätzen, ob Trump blufft oder nicht.

Doch jüngst erst hat er per Dekret eine Untersuchung der US-Handelsbeziehungen angeordnet, die „unfairen“ Praktiken auf den Grund gehen soll. Gegen deutsche Stahlkocher wie Salzgitter oder Dillinger Hütte hat US-Handelsminister Wilbur Ross bereits Maßnahmen wegen angeblichen Preis-Dumpings eingeleitet.

Und auch wenn die US-Einfuhrsteuern im internationalen Vergleich insgesamt eher gering sind, hat das Land nicht nur mit der „Chicken Tax“ bewiesen, dass es durchaus happig zulangen kann. So erheben die USA etwa 350 Prozent auf unverarbeiteten Tabak.

In einzelnen Fällen gibt es auch bei Nahrungsmitteln, im Textilbereich oder bei Schuhen ein hohes Niveau, wie Zollexpertin Susanne Scholl von der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest erläutert. Einige Beispiele: Für Kindernahrung gilt ein Importzoll von knapp 15 Prozent, für Datteln werden fast 30 Prozent fällig — und für Arbeitsschuhe 37,5 Prozent.

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