Jubel und Tränen: Wie Berliner auf das Türkei-Referendum reagieren

  17 April 2017    Gelesen: 696
Jubel und Tränen: Wie Berliner auf das Türkei-Referendum reagieren
Am Ende wird Senol doch recht behalten. Schon um halb sechs ist er sich sicher, dass es zumindest bei einem kleinen Vorsprung der Ja-Stimmen bleiben wird, dass das Referendum durchgehen wird. Seine Nachbarin Serpil hofft da noch, dass ihre und die Überzeugungsarbeit vieler anderer Nein-Befürworter in Deutschland und in der Türkei nicht vergebens war. Über hundert Menschen sitzen zusammen im Theater 28 in Wedding, um gemeinsam die Auszählung der Stimmen abzuwarten. Senol lebt in Wilmersdorf und hat ein Geschäft, deshalb möchte er seinen Nachnamen nicht in der Zeitung sehen.
„Die Türkei ist ein so schönes Land“, sagt der 50-Jährige, der seit 23 Jahren in Deutschland lebt, „aber sie ist heute ein tief gespaltenes Land, wirklich traurig.“ Serpil arbeitet in einer Anwaltskanzlei und hat Angst, dass ihre Familie in der Türkei durch ihr Engagement in der Nein-Kampagne Probleme bekommen könnte. Deshalb möchte auch sie ihren vollen Namen nicht nennen. Sie hat Flyer verteilt und mit vielen Menschen gesprochen. „Ich habe versucht, zu erklären, dass sie nächstes Mal ruhig wieder Erdogan wählen können, aber dass es diesmal um unsere Demokratie geht.“



Ein Bezirk nach dem anderen erscheint auf der Leinwand. In einigen Regionen in Anatolien haben über siebzig Prozent der Menschen mit Ja gestimmt, in einigen kurdischen Regionen über siebzig Prozent mit Nein. Bei den Bezirken mit Nein-Mehrheit wird laut geklatscht und gejubelt. Noch ist die Stimmung verhalten optimistisch. Serpil hofft, dass die Regionen mit den vielen Nein-Stimmen ganz am Schluss kommen. Izmir, Istanbul, der Vorsprung der Ja-Stimmen schmilzt, aber dann ist es vorbei.

"Jetzt hat Erdogan alles in der Hand"

Kenan Kolat, Vorsitzender des oppositionellen CHP-Bundes, schwört die Anwesenden darauf ein, trotz dieser Niederlage weiterzuarbeiten für die Demokratie in der Türkei. Menschen umarmen einander, rollen Türkei-Fahnen zusammen. Melisa weint. „Jetzt hat Erdogan alles in der Hand und wird all das, was Atatürk geschaffen hat, zerstören“ sagt die junge Frau aus Steglitz. Senol geht Richtung Ausgang: „Ich denke, dass die Türkei sich in Richtung Iran entwickeln wird“, sagt er.

Nur wenige Schritte weiter die Prinzenallee entlang steht eine Gruppe zufriedener Männer vor einem Café. „Das ist ein guter Tag für die Türkei“, sagt Kyatci Kazieh, der in Wedding lebt und 1992 nach Deutschland kam. „Unter Erdogan hat sich vieles zum Guten gewendet: die medizinische Versorgung, es gibt jetzt Kindergeld, den Menschen geht es jetzt besser.“ Ruhig ist es auf den Straßen in Wedding um 19.30 Uhr, ruhig ist es auch am Kottbusser Tor in Kreuzberg.

Ali sitzt mit seiner Familie in einem Restaurant und hält den Abend für nicht sonderlich gelungen, nicht etwa, weil das Referendum durchgegangen ist, sondern weil die Mehrheit so knapp war. „Ich habe mit 65 Prozent Ja-Stimmen gerechnet“, sagt der 40-jährige Neuköllner. Er findet es falsch, dass das Referendum in der Türkei so in den internationalen Fokus geraten ist. „Wenn sich gewisse Mächte so aufregen über das Referendum, dann kann es eigentlich nur gut für uns sein, mit Ja zu stimmen“, so seine Logik.
Direkt gegenüber im Veranstaltungsort Aquarium neben dem Südblock hatte Methap Erol von der pro-kurdischen Plattform Nein-Befürworter für heute Abend zusammengerufen. Mehrere Hundert sind gekommen. „Unter diesen Umständen, unter diesen Repressionen 49 Prozent Stimmen zu erzielen, das ist keine Niederlage, sondern ein Sieg“, sagt sie.



Und dann beginnt es doch noch das Hupen draußen. Und trotz einiger Interpretationsspielräume über Niederlage und Sieg ist klar, dass es heute Abend die Ja-Sager sind, die das Referendum per Autokorso auf dem Ku'damm feiern.

Quelle: berliner-zeitung

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