Colectivos, die Mörder-Banden des Präsidenten

  08 Mai 2017    Gelesen: 836
Colectivos, die Mörder-Banden des Präsidenten
Venezuelas Präsident Nicolas Maduro hält sich trotz Massenprotesten der Opposition an der Macht. Das liegt auch am Einsatz eines perfiden und tödlichen Instruments. Sie nennen sich Colectivos.
Die Stimme von Paola Ramirez ist voller Furcht. „Mama, die Colectivos schießen“, ruft die junge Frau ihrer Mutter am Mobiltelefon zu. Wenig später ist Ramirez tot. Getroffen von einer der Kugeln, bricht sie auf offener Straße zusammen. Der Schuss, abgegeben von einer vorbeifahrenden Motorradbande, traf die Studentin in den Kopf. Einige aus der Gruppe verlangsamen das Tempo, als sie sehen, dass die Frau blutüberströmt auf dem Asphalt liegt, doch niemand hält an. Wenig später versuchen ihre verzweifelten Freunde, Paola wiederzubeleben. Vergeblich.

Ein weiteres Opfer im blutigen Machtkampf zwischen Regierung und Opposition in Venezuela. Eine Überwachungskamera hat die grausame Szene festgehalten. Sie zeigt, wie wenig inzwischen ein Menschenleben wert ist in jenem Land, aus dem einmal eine Befreiungsbewegung über den Kontinent ausgehen sollte. Und dessen Volk sich nun erst einmal selbst befreien muss, von Politikern, die auf Mord und Terror setzten als Instrument der Unterdrückung.

„Sozialismus. Vaterland oder Tod“ ließ Revolutionsführer Hugo Chávez einst auf einem Banner mit meterhohen Buchstaben über den Dächern von Caracas anbringen. Inzwischen ist der Spruch verschwunden, dafür ist er auf den Straßen der Hauptstadt blutige Realität.

Das weiße T-Shirt wurde ihr zum Verhängnis

Das Schicksal der hübschen Paola Ramirez bewegt die Venezolaner, denn es zeigt, wie brutal, willkürlich und doch zielgerichtet die gefürchteten Colectivos von Präsident Nicolas Maduro zuschlagen. Jeder kann überall und jederzeit das Opfer dieser Banden werden. Das ist die perfide Botschaft, die hinter dieser Bluttat steckt. Demonstrieren wird dadurch zur lebensgefährlichen Mutprobe.

Ramirez trug ein weißes T-Shirt, die Farbe der friedlichen Proteste der bürgerlichen Opposition. Das wurde ihr offenbar zum Verhängnis: Sie wurde erschossen von einer Bande, die offenbar gezielt Jagd auf Regierungskritiker machte. Oppositionsführer Henrique Capriles postete das Video in seinem Twitter-Account und kommentierte: „Wie Maduros paramilitärische Gruppen morden. Schaut hin, Vereinte Nationen und Organisation Amerikanischer Staaten.“

Die Colectivos sind eines der wichtigsten Machtinstrumente der venezolanischen Regierung. Das Instrument, das eine Demokratie von einer Diktatur unterscheidet. Nicht ideologisch, aber in der Wahl ihrer Mittel stehen die venezolanischen Machthaber in der blutigen Tradition der rechten Militärdiktaturen Lateinamerikas, die ihre Feinde stets mit brutaler Gewalt terrorisierten.

Manche Schüsse gehen in die Luft, aber andere treffen

In Venezuela kommt der Terror auf zwei Rädern. Das macht ihn so unberechenbar. Oft sind es 20 oder 30 bewaffnete Motorradfahrer, die ihre Opfer umkreisen. Mal sind es regierungskritische Journalisten, mal Kommunalpolitiker oder junge oppositionelle Studenten, die „besucht“ werden. Dann lassen die Gangs die Motoren aufheulen und schießen in die Luft.

Aufgrund ihrer großen Zahl sind die Mitglieder der Schlägertrupps nicht zu identifizieren, abgeschraubte Nummernschilder und der Helm verschaffen Anonymität. Die Sicherheitskräfte lassen sie gewähren, schauen weg oder kommen, wenn sie überhaupt an den Tatort eilen, einfach ein paar Minuten zu spät. Die Motorradgang ist dann längst wieder weg.

Für die Opfer dieser Einschüchterungsorgien sind es schreckliche Augenblicke. Niemand weiß, ob nicht doch ein Schuss gezielt abgegeben wird. Wie im Fall Paola Ramirez. Mehr als drei Dutzend Menschen starben in den vergangenen Wochen bei den Demonstrationen, oft waren die Täter motorisiert und verschwanden blitzschnell in der Anonymität der Millionenstadt.

Die Waffen blieben in den Händen der Colectivos

Die Colectivos sind der Sündenfall des ehemaligen Obersts Chávez, der 2013 an Krebs starb. Für ihn war Waffengewalt stets ein legitimes Mittel zur Eroberung und zur Absicherung der eigenen Macht. Sieben Jahre vor seiner demokratischen Wahl an die Spitze des Staates versuchte der charismatische Militär, sich mit Panzern an die Macht zu putschen.

Die kubanische Staatssicherheit hat Erfahrung darin, eine Opposition auszuschalten. Trotz politischen Tauwetters mit den USA: Die Mehrzahl der kubanischen Oppositionspolitiker ist entweder im Exil ohne irgendwelchen Einfluss auf die Innenpolitik des Landes, sitzt im Gefängnis oder kam bei mysteriösen Unfällen ums Leben.

Angst vor einer konservativen Revolution

Die Parallelen zu Venezuela sind unverkennbar: Auch hier setzt der Inlandsgeheimdienst auf eine juristische Verfolgung der wichtigsten Köpfe der Opposition. Der Großteil ist verhaftet oder mit einem Berufsverbot belegt. In Havanna beobachtet Raúl Castro, der letzte General an der Spitze einer Regierung in Lateinamerika, die Entwicklung in Venezuela mit großer Sorge. Denn bricht dort das sozialistische System zusammen, könnte das auch der bis heute illegalen Opposition in Kuba Mut machen.

Die kubanische Bürgerrechtsgruppe „Frauen in Weiß“ versucht seit Monaten, mit ihrer Initiative #todosamarcha das Recht auf freie Wahlen auf Kuba durchzusetzen. Die Staatsmacht reagiert – von der internationalen Gemeinschaft weitgehend unbeachtet – mit Polizeiknüppeln und Verhaftungen.

Nichts fürchten Kubas Machthaber derzeit mehr als Bilder einer erfolgreichen bürgerlich-konservativen Revolution in Venezuela, die als Blaupause für einen Aufstand im eigenen Land dienen könnte. Kein anderes Land mischt sich so intensiv in Venezuelas innenpolitische Entwicklung ein wie Kuba.

Wahlen sind nicht mehr wichtig und werden abgesagt

Das erklärt auch die immer neuen Taschenspielertricks, mit denen Maduro versucht, seine Macht abzusichern. Seitdem er die Parlamentswahlen vor zwei Jahren deutlich gegen die Opposition verloren hat, regiert er mit Ausnahmezustand und Sonderdekreten, ignoriert so das demokratische Votum seines Volkes.

Weitere Niederlagen auf regionaler und kommunaler Ebene verhindert Maduro, indem er Wahlen einfach ausfallen lässt. Schon vor ein paar Wochen ließ das Maduro-Lager mit der Bemerkung aufhorchen, Wahlen seien nicht mehr so wichtig.

Nun soll diese machterhaltende Strategie in eine neue Verfassung einfließen. Eine Verfassungsgebende Versammlung in der nicht die Parteien, sondern das Volk das Sagen haben soll. Das bildet nach venezolanischer und kubanischer Lesart allerdings nur die Anhängerschaft der sozialistischen Partei, alle anderen sind aus dem Ausland bezahlte Söldner.

Die Opposition reagiert fassungslos. „Straße und noch mehr Straße“ kündigt Oppositionspolitiker Juan Requesens an und glaubt: „Die Verfassunggebende Versammlung ist der letzte Fehler Maduros.“ Oder eben der letzte fehlende Schritt zur Implementierung einer Diktatur nach kubanischem Muster.

Quelle : welt.de

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