Grüne ringen um realistische Klimaziele

  23 November 2015    Gelesen: 689
Grüne ringen um realistische Klimaziele
Den Grünen gelingt es, einen Streit über ihre eigenen Klimaziele abzuwenden. Ein brisanter Antrag wird entschärft. Doch die Frage bleibt: Kann Deutschland bis 2030 gänzlich auf Ökostrom umstellen?
Der große Streit blieb aus. Doch beim Parteitag der Grünen zeigte sich, dass sich einflussreiche Mitglieder nicht mehr so ganz sicher sind, ob sie ein zentrales Ziel ihrer Partei verwirklichen können. Das Ziel: Deutschland im Jahr 2030 zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom zu versorgen.

Für den Parteitag legte der grüne Energiewendeminister aus Schleswig-Holstein, Robert Habeck, einen brisanten Antrag vor. Die Partei dürfe sich nicht auf dieses Ziel verengen, heißt es darin. Der Fokus auf die 100 Prozent bis 2030 verstelle den Blick auf die eigentliche Aufgabe. Neben Strom müssen laut Habeck schließlich auch die Sektoren Mobilität, Wärme und Industrie berücksichtigt werden, wenn es darum geht, den Klimakiller CO2 loszuwerden.

Dieter Janecek, einer von einem guten Dutzend namhafter Unterstützer des Antrags, sagte im Interview mit n-tv.de "Die Erneuerbaren werden wachsen, es ist aber nicht entscheidend, ob wir 2030 genau 100 Prozent haben, denn gerade die letzten 20 Prozent sind besonders teuer." Seiner Meinung nach können auch 80 Prozent reichen. "Viel wichtiger ist, Strategien in den Vordergrund zu stellen, wie wir auch bei Wärme und Mobilität vorankommen, denn sie zeichnen für mehr als 80 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich."

Habeck und seine Unterstützer warfen so die Frage auf, welche Klimaziele sich Deutschland leisten sollte und ob es sich bei den 100 Prozent im Jahr 2030 womöglich vor allem um ein Symbol handelt.

Es rumorte gewaltig

Wenn es um Klimaziele geht, sind die Grünen sensibel. Es rumorte gewaltig unter den Delegierten. Ein heftiger verbaler Schlagabtausch wurde auf dem Parteitag erwartet. Am Abend vor der Abstimmung über den Antrag einigte sich Habeck allerdings mit dem Bundesvorstand: Das 100-Prozent-Ziel für 2030 bleibt, dafür bekommt der Hinweis auf die besondere Herausforderung, die Habeck mit seinem Antrag andeutete, einen besonderen Stellenwert. Der Streit war damit abgewendet, doch die Bedenken bleiben.

"Die Bundesregierung betreibt eine klimaschädliche Politik. Bis wir diese Politik als Grüne ändern können, dauert es mindestens bis zur Bundestagswahl 2017", sagte Oliver Krischer, Energieexperte der Grünen und Fraktionsvize n-tv.de. "Deswegen befürchte ich, dass es durch die Bremsspur-Politik der Großen Koalition sehr schwer, vielleicht unmöglich sein wird, das Ziel 100 Prozent Erneuerbare Energien bis zum Jahr 2030 umzusetzen." Von Janecek hieß es: "Ob wir 100 Prozent Erneuerbare stromseitig bis 2030 schaffen, kann niemand verlässlich vorhersagen. Letztlich ist das auch zweitrangig. Viel wichtiger ist doch, dass wir bei Verkehr und Wärme endlich mit den richtigen Konzepten auf die Spur kommen. Und das wird noch richtig harte Arbeit."

Derzeit kommt Deutschland auf 30 Prozent Erneuerbare beim Strom. Selbst der Branchenverband BEE rechnet erst 2050 damit, dass die Republik 100 Prozent erreicht.

Große Koalition droht an eigenen Zielen zu scheitern

Die Zweifler zweifeln weiter, aber sie haben sich mit ihrem Kompromiss nun ausdrücklich dazu bekannt, dass sie das Ziel trotzdem nicht aufgeben. Alles andere wäre wohl auch ein fragwürdiges Signal kurz vor dem UN-Klimagipfel, der Ende des Monats in Paris beginnt.

Ziel in Paris ist ein verbindlicher Klimavertrag, der dafür sorgt, dass sich die Welt nicht um mehr als 2 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten verändert. Mehr als 160 Länder haben bereits nationale Klimaziele formuliert, auch China und die USA. Vor einem Jahr steuerte die Welt noch auf mehr als 4 Grad zu. Dank der Zusagen erscheinen jetzt zumindest wieder weniger als 3,5 Grad möglich. Das reicht aber noch nicht, um verheerende Folgen für Mensch und Natur zu verhindern.

Die Grünen machen deshalb Druck auf die Bundesregierung. Sie fürchten, dass Berlin schon an seinen selbstgesteckten Klimaplänen scheitert. "Die Bundesregierung wird, wenn sie nicht klar umsteuert, das deutsche Klimaschutzziel von 40 Prozent Emissionsminderung bis 2020 deutlich verfehlen", heißt es im Leitantrag der grünen Parteispitze. Dann ist von qualmenden Kohleschloten die Rede, von Solarunternehmen, die Stellen streichen und einem Boom bei Geländewagen statt Elektroautos. "Vieles, was dem Klima schadet, wird noch mit Steuermilliarden subventioniert."

Vom Kohlausstieg bis zur Torfabgabe

Die Ökopartei skizziert ausgehend von dieser Kritik im Nationalen eine umfassende globale Vision für eine neue Klimapolitik, die vom Kohleausstieg über Klimaverpflichtungen in der Landwirtschaft bis hin zu einer Torfabgabe führt, den Versuch natürliche CO2-Speicher zu erhalten. Zu den Maßnahmen gehören unter anderem:

Ein Stopp der Kohlefinanzierung durch die deutsche Förderbank KfW
Die Einführung einer Abgabe auf Kohle und Gas, deren Einkünfte dann in den Klimaschutz fließen sollen
Ein effizienterer Handel mit CO2-Emissionszertifikaten, der Unternehmen wirklich dazu zwingt, den Ausstoß zu reduzieren
Ein nationaler und später europäischer Mindestpreis pro ausgestoßene Tonne CO2
Mehr Geld für die energetische Gebäudesanierung
Kaufprämien in Höhe von 5000 Euro für Elektro- und 2000 Euro für Hybridfahrzeuge
Hinzu kommen etliche Maßnahmen, die auf deutscher und europäischer Ebene ambitioniertere Klimaziele verpflichtend einführen sollen. Um das Bewusstsein der Gesellschaft für die Notwendigkeit einer grünen Wirtschaft zu schärfen, will die Ökopartei schließlich den Jahreswirtschaftsbericht durch einen "Jahreswohlstandsbericht" ersetzen, der nicht nur das Bruttoinlandsprodukt, sondern auch "Indikatoren zur ökologischen sozialen und gesellschaftlichen Dimension" berücksichtigt. Ein "Wir schaffen das nicht", hätte zum Tenor dieses Antrags kaum gepasst.

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