Die Fehler der Schulz-SPD

  10 Mai 2017    Gelesen: 898
Die Fehler der Schulz-SPD
Zwei Wahlen sind verloren, in den Umfragen geht es bergab, in NRW wächst der Druck: Was läuft plötzlich schief in der SPD unter Parteichef Schulz? Vier Gründe für den Abwärtstrend.
Am Dienstagmorgen war Martin Schulz in Verdun. Wo 1916 rund 300.000 Deutsche und Franzosen auf den Schlachtfeldern starben und etwa 400.000 verwundet wurden, traf er sich mit Schülern aus zehn europäischen Ländern, um über die Lehren aus Verdun zu diskutieren. Eine gute Idee am Europatag. Man hätte einiges daraus machen können: Schulz, der große Europäer - genau der Richtige für ein neues deutsch-französisches Projekt mit dem Hoffnungsträger Emmanuel Macron.

Das Problem ist: Macron wurde gerade zum französischen Präsidenten gewählt, während das Kanzleramt für Schulz zunehmend außer Reichweite gerät.

Nach zwei verpatzten Landtagswahlen geht es am Sonntag in Nordrhein-Westfalen für die SPD schon fast um alles oder nichts. Sollte das sozialdemokratische Stammland verloren gehen, kann die Partei ihren Vorsitzenden wohl auch gleich zum Vizekanzlerkandidaten ernennen.

Was ist da nur passiert seit Ende Januar?

Damals löste Schulz den glücklosen SPD-Chef Sigmar Gabriel ab - und plötzlich witterte die SPD wieder eine ernsthafte Chance aufs Kanzleramt. Sie überholte die Union zeitweise in den Umfragen, für manchen Genossen schienen Angela Merkels Tage als Regierungschefin bereits gezählt zu sein, 16.000 neue Mitglieder traten seitdem der Partei bei.

Doch seit einigen Wochen gehen die Umfragewerte wieder nach unten, auch im direkten Vergleich Schulz-Merkel. Als Gabriel ging, lagen die Genossen bei Anfang 20 Prozent. Im Moment sieht es so aus, als bewegte sich die SPD wieder darauf zu.

Im Kern sind es vier Fehler, die die SPD gemacht hat:

1. Die SPD hat sich zu sehr auf den Hype verlassen

Am meisten überrascht von dem plötzlichen Hype um seine Person war der Parteichef und Kanzlerkandidat selbst. Wer Schulz in den Tagen nach seiner Nominierung traf, erlebte einen Menschen, der eher belustigt auf die völlig übertriebenen Zuschreibungen blickte - ob im Internet, auf Veranstaltungen, medial. Ab und an mahnte er zur Mäßigung, aber natürlich wollte Schulz die Euphorie auch nicht abwürgen, die ihn und seine Partei so beflügelte.

Nur: Schulz und seine Leute in der Parteizentrale hätten sich darauf einstellen müssen, dass diese Begeisterung nicht ewig anhält. Der Reiz des Neuen verfliegt irgendwann.

Doch für Phase zwei hatte man im Willy-Brandt-Haus offenbar keinen Plan - außer, Schulz durchs Land tingeln zu lassen. Die SPD schien sich auf die vermeintliche Merkel-Müdigkeit im Lande zu verlassen. Wie sich jetzt in den Umfragen zeigt, sind die Deutschen der Kanzlerin aber wohl gar nicht so überdrüssig. Zumal sie beinahe jeden Abend in der Tagesschau sehen, welche Krisen die Merkel schon wieder managt. Dagegen kommt Schulz nicht an.

2. Die SPD hat zu wenige Inhalte geboten

Schulz' Kampagne steht unter dem Motto "Zeit für mehr Gerechtigkeit". Dieses Motiv in Verbindung mit seiner Aufsteiger-Biografie erschien der SPD als geeigneter Gegenentwurf zu Merkel. Dazu passend stellte Schulz einen Monat nach seiner Nominierung einige Korrekturen der Arbeitsmarkt-Reformen vor, die einst Rot-Grün unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder umgesetzt hatte. Und dann? Passierte inhaltlich bis zum heutigen Tag kaum noch etwas.

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Die Idee eines sogenannten Familiengeldes, einige wirtschaftspolitische Vorschläge, kostenlose Bildung von der Kita bis zur Uni, Rückkehr zur Parität der Krankenkassenbeiträge - viel kam da nicht mehr. Wie das alles bezahlt werden soll, also steuer- und finanzpolitische Festlegungen, soll erst auf dem SPD-Programmparteitag Ende Juni geklärt werden. Selbst dann aber könnte einiges offen bleiben, ist zu hören.

Merkel und ihre Partei hätten noch viel weniger Konkretes zu bieten, heißt es trotzig. Aber ob der Wähler das versteht? Die Kanzlerin regiert eben seit bald zwölf Jahren, Schulz dagegen ist für viele immer noch ein Neuling, über den man mehr wissen möchte. Auch, was er eigentlich will.

3. Gerechtigkeit zieht weniger als erhofft

In der SPD wird seit Monaten das Buch des Soziologen Oliver Nachtwey mit dem Titel "Die Abstiegsgesellschaft" herumgereicht. Darin beschreibt der Autor ein Land, in dem viele Deutsche ökonomische Ängste vor der Zukunft plagen. Aber heißt das auch, dass Deutschland ein ungerechtes Land ist? Aus Sicht der Genossen: ja.

Wenn Demoskopen in ihren Untersuchungen zu einem anderen Befund kommen, lautet das Argument von Schulz und seinen Leuten: Die Ungerechtigkeit bei vielen Bürgern sei eben eher eine gefühlte, die Stoßrichtung der Kampagne also richtig.

Aber ist das wirklich so? Das Ergebnis der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, in dem die SPD voll auf Gerechtigkeit gesetzt hatte, spricht dagegen.

4. Rot-Rot-Grün schreckt ab

Wenn es nach Parteichef Schulz geht, sollte im Moment in der SPD niemand mehr über Koalitionen sprechen. Aber eine Zeit lang haben führende Genossen und auch sein Umfeld dabei gerne mitgemischt - und das hat die Bürger möglicherweise irritiert. Das öffentliche Nachdenken in der SPD über mögliche Koalitionen mit Linkspartei und Grünen dürfte viele sogar abgeschreckt haben. So jedenfalls lautete selbst bei den SPD-Strategen der Befund nach dem enttäuschenden Ergebnis im Saarland, wo man sich zuvor offen für ein Bündnis mit der Linkspartei gezeigt hatte.

Rot-Rot-Grün auf Bundesebene ist offenbar für viele Wähler immer noch ein Schreckgespenst - und für die Unionsparteien ein Mobilisierungstrumpf. Schulz hat das erkannt, zuletzt distanzierte er sich am Montag vor Unternehmern von einem Bündnis mit der Linkspartei.

Was folgt daraus?

Bis zur NRW-Wahl am Sonntag wird bei den Sozialdemokraten auch intern keine Fehlerdebatte stattfinden. Erst einmal heißt die Devise: Augen zu und kämpfen.

Sollte die Wahl schiefgehen, wird die SPD ihre Fehler allerdings bitter bereuen müssen, dann dürfte die Zeit bis zur Bundestagswahl nicht mehr ausreichen, erfolgreich Korrekturen vorzunehmen. Geht es gut aus für die Genossen in NRW und kann Hannelore Kraft die Staatskanzlei halten, könnte es doch noch mal spannend werden - falls man rasch umsteuert.

Quelle : spiegel.de

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