Der letzte Horchposten des Kalten Krieges

  11 Mai 2017    Gelesen: 850
Der letzte Horchposten des Kalten Krieges
Trümmerhaufen der Geschichte, perfekte Kulisse für Spionagefilme: Der Teufelsberg hat viel erlebt. Nun wächst neues, künstlerisches Leben aus den Ruinen des Weltkriegs und einer riesigen Radarstation der Amerikaner.
Lange schon kennt Christopher McLarren den Teufelsberg. Sehr lange. Mitte der Siebzigerjahre arbeitete er hier als US-Soldat im Abwehrdienst. Inzwischen ist er pensioniert, längst Wahl-Berliner und führt regelmäßig Besucher über das einst abgeriegelte Gelände.

An diesem Sonntag hat McLarren die Mittagstour übernommen. "Der Teufelsberg war eine Art großer Vorwarnposten", erzählt der Zeitzeuge. "Wir mussten so viele Informationen wie möglich sammeln, um herauszubekommen, ob die Sowjets oder der Warschauer Pakt etwas gegen uns im Schilde führten."

Auf dem Teufelsberg installierten die Westalliierten in den Fünfzigern eine gigantische Abhöranlage, um den Funkverkehr des Warschauer Pakts abzufangen, mit bis zu 1500 Leute im Dreischichtbetrieb. Die Signale kamen über Radarantennen, die sich in den vier großen Kuppeln auf dem Dach drehten - heute noch als bunt besprühte Ruinen zu sehen. Als Signals Traffic Analyst der US-Army wertete McLarren mit seinen Leuten den Funk aus.

Was unter Beteiligung der mittlerweile berüchtigten NSA herausgefiltert wurde, sollen US-Archive erst ab dem Jahr 2020 preisgeben. McLarren weiß, dass die Spionage der Alliierten auch damals schon von wechselseitigem Misstrauen geprägt war. "Briten und Amerikaner waren beide auf dem Teufelsberg, sie waren aber nicht gemeinsam auf dem Teufelsberg", so formuliert er es diplomatisch.

Aufgetürmt aus Ruinen

Mit blauer Jacke und Schiebermütze steht McLarren in seinem einstigen Büro. Eine Steckdose im Boden und Reste einer Trennwand markieren seinen Arbeitsplatz. Eine Etage darunter findet sich noch unversehrt die Anlage, die früher Massen unnützer oder nebensächlicher Informationen beseitigte. "Jeden Tag wurden hier zwei Tonnen Papier geschreddert, mit Wasser vermischt und zu Blöcken gepresst, um sie dann zu verbrennen", erzählt Marvin Schütte, 37.

Er will dem historischen, fast fünf Hektar großen Gelände neues Leben einhauchen - als Anlaufpunkt für Berliner und Touristen, als ungewöhnlicher Rückzugsort, als Freiraum für Künstler. Wohl nirgendwo liegen der Untergang des Nationalsozialismus und die Ost-West-Konfrontation des Kalten Krieges so nah beieinander wie hier.

Der Teufelsberg: eine Anhöhe im Westen der Stadt, benannt nach dem nahen Teufelssee und genau 120,1 Meter hoch. In Berlin geht das allemal als Berg durch. Hier im Grunewald entstand in den Vierzigerjahren der Rohbau der Wehrtechnischen Fakultät, Teil von Hitlers Plänen einer Reichs-, ach was: Welthauptstadt Germania.

Die Anlage wurde nach Kriegsende gesprengt und der Teufelsberg aufgetürmt aus den Trümmern all der Häuser, die Bomber der Alliierten in Schutt und Asche gelegt hatten. 22 Jahre lang luden nach Kriegsende bis zu 800 Lastzüge täglich insgesamt gut 26 Millionen Kubikmeter Geröll hier ab, plus Industriemüll. Sand und Erde drüber, eine Million Bäume und Sträucher drauf, fertig war der bis dahin höchste Berg Berlins.

Zerfall und Zerstörung

Früh entdeckten die Amerikaner und die Briten, dass sich von hier aus prima der Ostblock abhören ließ. Die Kuppe wurde zur "Field Station", zur Abhörstation, bis nach der deutschen Wiedervereinigung. Trotz der militärischen Nutzung hatte sich der Schuttberg zum beliebten Ausflugsziel entwickelt. Bis heute gibt es einen Kletterfelsen, im Winter rodeln Berliner gern am Teufelsberg, die (für Berliner Verhältnisse) steile Straße sausen Skateboarder hinab.

Abhören der Feinde, Spitzeln unter Freunden - längst geht das auch ohne Radartürme. Nachdem 1991 die Amerikaner und Briten gingen, begann der Verfall. Bald wurde dem Berliner Senat die Bewachung zu teuer. Es kam ständig zu Einbrüchen und zu Vandalismus, auch die Witterung setzte den leeren Gebäuden zu.

Der Teufelsberg wurde zu einer Mischung aus Abenteuerspielplatz und Müllhalde, einst als Kulisse bestens geeignet für James-Bond-Filme der Sechzigerjahre, später eher für Endzeitvisionen. Tatsächlich entstanden hier etliche Filme von "Die Spieler" (2007) bis zum ZDF-Dreiteiler "Der gleiche Himmel" (2017).

Heute liegt über dem Ort ein fast geheimnisvoller Frieden. Keine Autos weit und breit. Aus dem nahen Naturschutzgebiet Grunewald zwitschern Singvögel. Oben öffnet sich ein atemberaubender Rundumblick - über Havel und Wannsee bis Potsdam, zum Alex in den Osten, übers Olympiastadion weit hoch in den Norden Berlins.

David Lynchs yogische Flieger flogen nie

Die gewaltigen Antennenkuppeln sind längst verwittert. Wütend pfeift der Wind durch die Metallgerippe und zerrt an verschlissenen Planen. Der Betonboden ist über und über mit Graffiti bemalt. Auf dem alten Bild einer US-Flagge wünscht Micky Maus per Sprechblase die Amerikaner zum Teufel.

So viele Pläne gab es schon, was aus diesem besonderen Ort werden sollte. 1996 hatten Investoren um den Architekten Hanfried Schütte das Gelände gekauft und wollten ein Hotel mit Tagungszentrum, Luxuswohnungen und spektakulärem Aussichtsturm errichten. Doch das Projekt platzte, die Baugenehmigung verfiel.

2008 legte der verschrobene Hollywoodregisseur David Lynch auf dem Plateau den Grundstein für eine "vedische Friedensuniversität" der Maharishi-Stiftung. 1000 Studenten sollten unterm "Turm der Unbesiegbarkeit" transzendentale Meditation und yogisches Fliegen lernen (ohne den Drachenfliegern der Umgebung in die Quere zu kommen). Auch diese Erleuchtung erlosch irgendwo im Nirgendwo.

Die weitere Nutzung blieb umstritten. Naturschützer, Veteranenvereine der Alliierten, ein Künstlerbündnis - mehrere Initiativen verfolgen stark unterschiedliche Pläne. Ein zwischenzeitlicher Pächter organisierte Führungen und schuf mit internationalen Künstlern die wohl größte Graffiti-Galerie Europas, aber ohne übergreifendes Konzept.

Seit 2015 hat nun Marvin Schütte das Gelände für einen "natürlichen Kulturort" gepachtet. Er ist der Sohn des Käufers Hanfried Schütte, der einst von einem lukrativen Freizeitareal geträumt hatte und heute sagt: "Es wäre schön, wenn jetzt die nächste Generation dort etwas aufbaut - auch wenn es etwas ganz anderes ist, als wir uns vorgestellt hatten."

Marvin Schütte schwebt eine Art Künstlerkolonie für die nachhaltige Gestaltung des Teufelsberges vor. "Wir wollen keine Partys, kein Highlife. Es soll ein Ort der Entschleunigung werden", sagt der Projektentwickler, der dazu im Herbst beim Bezirk Charlottenburg einen ersten Antrag stellen will. "Dann liegt es an Berlin, wie sie es aufnehmen."

Graffiti auf 2400 Quadratmetern

Das Gelände lockte 2016 rund 25.000 Menschen, acht Euro kostet der Eintritt. Größte Attraktion ist neben dem spektakulären Blick bisher die Graffiti-Galerie im Hauptgebäude. Auf einer Fläche von 2400 Quadratmetern haben renommierte Streetart-Künstler ihre Werke an zahllosen nachträglich eingezogenen Betonwände hinterlassen - grell, provokativ, auch mal obszön.

Die Vermietung als Filmkulisse und die Besucher, "das zusammen sind unsere Einnahmen", sagt Pächter Schütte. "Unser Prinzip ist einfach. Wir machen Schritt für Schritt weiter. Immer, solange wir Geld haben."

Der Berliner Mané Wunderlich hat einen Skulpturengarten mit Installationen und Flechtarbeiten geschaffen. Die polnische Künstlerin und Kräuterhexe Malgosia Bilderberge betreibt in einem rosafarbenen Antennenturm eine "Praxis für Wahrnehmungschirurgie".

Und der Künstler Isi von Kisie, Vater von acht Kindern und erfahrener Hausbesetzer, hat vorerst einen Job am Empfang. "Wir sind diejenigen, die vorleben, dass es funktioniert", sagt der 47-Jährige stolz. "Hier kann jeder Künstler eine Arbeitsmöglichkeit bekommen und irgendwann auch Geld verdienen."

Fünf bis sechs Leute gehören vorerst zum festen Team. Im Sommer kommt noch ein Dutzend Rucksacktouristen hinzu, sie helfen gegen Kost und Logis. "Wir wollen alles erhalten. Wir bauen nichts Neues, wir reißen nichts ab", versichert Schütte. "Seit ich Pächter bin, bin ich im Aufräummodus - ich habe lebenslänglich."

Quelle : spiegel.de

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