Warum zieht es Tausende nach Deutschland? So begründen Flüchtlinge ihre Wahl

  23 September 2015    Gelesen: 855
Warum zieht es Tausende nach Deutschland? So begründen Flüchtlinge ihre Wahl


Hunderttausende Flüchtlinge wollen in der Bundesrepublik ein neues Leben beginnen. Warum ausgerechnet Deutschland? Die Gründe, die Flüchtlinge dafür nennen, sind sehr verschieden - doch einige Antworten tauchen besonders häufig auf.


"Guten Morgen! Guten Tag! Moin Moin!", sagt der Iraner Ali Fakhrabati in gebrochenem Deutsch. Er ist 23 Jahre alt, Jazz-Musiker und kommt aus dem Iran. Wie viele andere Flüchtlinge ist er auf dem Weg nach Deutschland. Er träumt davon, dort in einem Orchester zu spielen.
Warum zieht es Flüchtlinge wie ihn ausgerechnet nach Deutschland? Migrations- und Integrationsexperte Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung unterscheidet zwischen harten und weichen Faktoren, die die Wahl eines Ziellandes beeinflussen.

Harte und weiche Faktoren

Im Gespräch mit FOCUS Online nennt er als harte Faktoren wirtschaftliche Kriterien wie die Chance auf einen Arbeitsplatz, Sozialleistungen oder die Frage, wie hoch die Bleibeaussicht in einem Land ist. Doch es gibt auch die sogenannten weichen Faktoren: Zum Beispiel, ob ein Land von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit geprägt ist. In diese Kategorie fallen demnach auch die Fernsehbilder, von Deutschen, die Flüchtlinge willkommen heißen oder von Bundeskanzlerin Angela Merkel die sagt: „Wir schaffen das“.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat 2013 im Rahmen einer Studie die Gewichtung solcher Faktoren für die Entscheidung der Flüchtlinge untersucht.

1. Weil sie jemanden kennen, der schon in Deutschland ist

Das Ergebnis: Die maßgebliche Rolle bei der Entscheidung für einen Zielort spielen vor allem Netzwerke. "Die meisten Asylsuchenden gehen dorthin, wo bereits Kontakte und Anknüpfungspunkte bestehen", heißt es in der Studie. So ist es auch beim Iraner Fakhrabati: Sein Onkel arbeitet in Dortmund als Friseur, in Frankfurt lebt seine Tante.
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2. Die Hoffnung auf einen Job


Ein weiterer Faktor mit großer Anziehungskraft ist die deutsche Wirtschaftskraft. Viele Flüchtlinge versprechen sich von Deutschland als neuer Heimat einen Job.
Für den Syrer George Helaleh ist Deutschland dagegen das „Königreich der Ingenieure“. Der 27-Jährige strebt einen Abschluss in der Bundesrepublik an, in Syrien hat er bereits Maschinenbau studiert. Seit einer Woche ist Helaleh auf der Flucht, im Moment steckt er an einem Bahnhof in Kroatien fest.
Er könnte in Kroatien Asyl beantragen, in Österreich oder auch in Slowenien. Doch keines dieser Länder kommt für ihn in Frage, auch er will weiter nach Deutschland - um dort zu arbeiten.


3. Deutsche Tugenden


Und Helaleh führt noch ein weiteres Argument für Deutschland an: die klassischen deutschen Tugenden wie Ordnung und Pünktlichkeit. "Die Leute in Deutschland denken wie wir", sagt der Syrer. Der 27-Jährige hebt ein Stück Plastikfolie vom Bahngleis auf und wedelt damit herum. "Müll kannst du in den großen Städten in Deutschland nicht finden."


4. Bei Merkel fühlen sie sich willkommen


Auch die politischen Signale, die Berlin aussendet, spielen bei der Entscheidung der Flüchtlinge für ein Zielland eine Rolle. Zu diesem Ergebnis kam die BAMF-Studie schon 2013. In der aktuellen Flüchtlingskrise hat Deutschland zuletzt sehr deutliche Willkommenssignale ausgesendet - das dürfte die Wirkung noch verstärkt haben.

"Merkel ist sehr gut zu den Syrern", sagt die 40-jährige Syrerin Hala Trabishi. Sie ist mit ihren Kindern auf dem Weg nach Deutschland und fühlt sich von der Aussage der Bundeskanzlerin, das Recht auf Asyl kenne zahlenmäßig keine Obergrenze, bestärkt. Wenn sie Asyl beantragt hat, will sie ihren Mann nachholen.


5. Gerüchte - richtige und falsche


Zugleich gehen unter den Flüchtlingen aber auch viele Gerüchte und Klischees um. Mundpropaganda beherrscht ihre Reise. Zum Beispiel dass ein bestimmtes Land für Iraker oder Syrer besonders geeignet sei. Auch Informationen, die über Schleuser transportiert werden, können laut BAMF verzerrt sein.


6. Religionsfreiheit und Toleranz


Viele Flüchtlinge haben ihre Heimat wegen politischer oder religiöser Verfolgung verlassen. Dementsprechend wichtig ist für sie Toleranz in ihrem Zielland.
"Ich bin Christ, deshalb will ich nach Deutschland", sagt Mihat Mohammadi und hält das Kruzifix an seiner Kette hoch. In Kabul wurde der 24-jährige Afghane misshandelt. In Deutschland hofft er, seine Religion ohne Angst ausüben zu können.


7. Der Wohlfahrtstaat spielt laut BAMF kaum eine Rolle


Ein Motiv, das häufig hinter dem Andrang nach Deutschland vermutet wird, spielt laut der Untersuchung des BAMF hingegen nur eine untergeordnete Rolle: finanzielle Hilfen. Das Konzept des Wohlfahrtsstaats sei den meisten Flüchtlingen fremd, Asylpolitik und flüchtlingspolitische Regelungen beeinflussten nur eingeschränkt, für welches Zielland sich Asylsuchende entscheiden, so das Bundesamt.

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