Toxikologe-Experte: Glyphosat erzeugt Krebs und die Behörden schludern

  02 Juni 2017    Gelesen: 1124
Toxikologe-Experte: Glyphosat erzeugt Krebs und die Behörden schludern
Das Pflanzengift Glyphosat ist nach einer neuen wissenschaftlichen Einschätzung krebserregend. Die Arbeit der Behörden, die den Stoff unabhängig prüfen sollten, grenzt nach Ansicht von Experten an einer „böswilligen Vertuschung“ – oder ist zumindest doch schlampig ausgefallen.
Eigentlich sollte die Zulassung des Pflanzengifts Glyphosat auf weitere zehn Jahre in Europa 2016 beschlossen werden. Doch wegen Unstimmigkeiten in der Einschätzung des Stoffes wurde die Entscheidung um 18 Monate aufgeschoben und soll bis Ende 2017 erfolgen.

Zwar waren diverse unabhängige Instanzen zu dem Schluss gekommen, dass Glyphosat nicht gefährlich ist. Nun haben allerdings unabhängige Forscher gezeigt, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend ist. So fand der Toxikologe Christopher Portier bei einer Durchsicht der Rohdaten acht Tumoren vor, die die unabhängigen Instanzen aus fadenscheinigen Gründen von der Bewertung ausgeschlossen hatten.
Peter Clausing, ebenfalls Toxikologe und Mitglied des Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN), hat die Ergebnisse Portiers nachgeprüft. Im Sputnik-Interview spricht er von signifikanten Hinweisen auf eine Gefährlichkeit des Stoffs. Den Studien zufolge gebe es einen klaren Anstieg von Lymphdrüsenkrebs bei Versuchstieren, die Glyphosat ausgesetzt waren. Für den Verbraucher ist das nur bedingt hilfreich, denn: „Man weiß leider nicht, was glyphosatbehaftet ist und was nicht“, erklärt der Experte. Er rät daher, auf Nummer sicher zu gehen und Bio-Produkte zu konsumieren.

Wie unabhängig sind die Behörden?

Dass die Krebsgefahr von den unabhängigen Instanzen nicht entdeckt worden sind, will sich Clausing nicht erschließen:

„Das sind Tumoreffekte, die die Behörden eigentlich hätten entdecken sollen.“ Clausing bezeichnet dies als eine zumindest „schludrige Arbeit der Behörden“, spricht aber auch von einer möglichen „böswilligen Absicht“ dahinter.

Schließlich sind von dieser Zulassungsverlängerung viele Unternehmen betroffen: „Ich stelle mir vor, dass der wirtschaftliche Druck auf die Behörden sehr groß ist, einerseits von den Industrieunternehmen, andererseits von einer Landwirtschaft, die sehr stark von Agrochemikalien abhängt“, erklärt Clausing. „Seitens der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gibt es und gab es in der Vergangenheit nachweisbare Interessenkonflikte von Personen, die sehr industrienah waren und in der Behörde gearbeitet haben.“

Zudem könnte nach Ansicht des Forschers auch die Sorge um die eigene Autorität eine Rolle spiele: „Wenn Behörden Bewertungen vornehmen, die sie zehn Jahre zuvor schon mal vorgenommen haben, wäre es unter Umständen peinlich zu einer anderen Schlussfolgerung zu kommen und einzugestehen, dass man sich zehn Jahre zuvor geirrt hat.“

Was die „unwissenschaftlichen Gründe“ auch gewesen sein mögen – eine schlampige Arbeit wäre an der Stelle insofern höchstbedenklich, als die Studien selbst von der Industrie kommen und diese zwar verpflichtet ist, ihre Stoffe zu prüfen und die Ergebnisse vorzulegen, aber nicht daran interessiert sein dürfte, gegen eine Zulassungsverlängerung zu argumentieren.

Das Zusammenspiel zwischen Industrie und unabhängigen Instanzen

Für eine Neuzulassung oder Zulassungsverlängerung ist die Industrie verpflichtet, regelmäßig Studien durchzuführen. Im Falle der Zulassungsverlängerung von Glyphosat in der EU bildete sich hierzu die „Glyphosate Task Force“ – ein Verbund von Glyphosatherstellern – die die nötigen Studien durchführten. Am Ende dieses Prozesses übergab die Task Force ein Dossier von mehreren Tausend Seiten Daten sowie eine Art Zusammenfassung und Fazit davon an die EFSA. Diese Daten wanderten von dort an das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das die Studien überprüfen und eine eigene Einschätzung vornehmen sollte. Die Einschätzung der BfR ging an die EFSA zur weiteren Überarbeitung zurück. Am Ende des Prozesses stand eine Schlussfassung, die sich nach Clausing im Wesentlichen mit der Einschätzung der Task Force deckte.

Ein Punkt, den sowohl Portier als auch Clausing bemängeln, ist die Form, in der die Daten zur Verfügung gestellt werden. Diese werden in Form einer PDF-Datei ohne Suchfunktion zur Verfügung gestellt. Will man die Daten systematisch vergleichen, muss vorher alles von Hand abgetippt werden, was natürlich für jeden Prüfer die Arbeit erschwert. Die Begründung für diese Form ist die Furcht vor dem Datendiebstahl. Es handle sich bei den Studien, so Clausing, um „kommerzielle Betriebsgeheimnisse“. Konkurrenten könnten sich die gesamte Arbeit sparen und mit fremden Studien im Anschlag selbst Zulassungen beantragen.

Trotz Konsens der Behörden teilten sich die Meinungen

Wäre im Sommer 2015 nicht eine Monographie der Krebsbehörde der Weltgesundheitsorganisation (IARC) herausgekommen, wäre die Entscheidung über eine Zulassungsverlängerung im Jahr 2016 wohl nicht so schwer gefallen. Ende 2015 stellten zudem mehrere Nicht-Regierungs-Organisationen Strafanzeige gegen das BfR und Monsanto sowie andere einreichende Industrieunternehmen. Clausing sagt vom BfR, dass es für gewöhnlich sehr empfindlich auf jede öffentlichen Falschdarstellung reagiere. In diesem Fall, sei es aber anders gewesen:

„Interessanterweise hat das BfR keine Schritte eingeleitet wegen übler Nachrede oder auf Unterlassung geklagt, was mir wie ein indirektes Schuldeingeständnis vorkommt“, sagt Clausing dazu.

Da sich infolge dieser Ereignisse das Gremium für die Wiedergenehmigung von Glyphosat nicht einigen konnte, verschob man die Zulassungsverlängerung um 18 Monate ans Ende 2017 und wartete eine weitere unabhängige Bewertung des Stoffs durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) ab. Diese schätzte den Stoff Mitte März 2017 allerdings auch als nicht krebserregend ein. Die Öffentlichkeit selbst oder nicht eigens dafür bestimmte Instanzen können die Studien nicht einsehen. Womit der Fall wieder erledigt gewesen wäre.

Doch Vier Europaparlamentsabgeordnete waren mit der Entscheidung der EU-Kommission für eine Zulassungsverlängerung nicht einverstanden und konnten die teilweise Freigabe der Daten erzwingen. Diese durften sie ausgewählten Experten zeigen, allerdings nicht veröffentlichen. Und eben unter diesen Experten fanden sich die beiden Toxikologen Portier und Clausing – und kamen zu ihrer abweichenden Bewertung.

Forschung und Industrie – wie soll es weitergehen?

Clausing schließt sich der langjährigen Forderung von Nicht-Regierungs-Organisationen an, die lautet: Lasst die Studien unabhängig durchführen. Um das zu garantieren, sollten die Studien überhaupt nicht mehr von der Industrie durchgeführt, sondern nur von ihr finanziert werden. Das ginge über die Einrichtung von Treuhandfonds. Persönlich fügt Clausing hinzu, dass er sich wünscht, die Studienberichte würden von unabhängigen Wissenschaftlern geschrieben.

Die BfR wehrt sich gegen die Beschuldigungen. In einer Pressemitteilung schreibt sie: „Alle genannten Originalstudien sind entsprechend ihrer Verlässlichkeit und Relevanz in den Bewertungen der europäischen Behörden berücksichtigt worden.“ Sie fordert im Gegenzug Portier auf, seine Berechnungen wissenschaftlich zu veröffentlichen und so dem wissenschaftlichen Diskurs zuzuführen.

ECHA teilt Sputnik schriftlich mit: „Den von Dr. Portier aufgeworfenen Fragen werden wir im Detail nachgehen. Alle Studien, auf die sich Dr. Portier beruft, wurden in unsere Bewertung eingebunden. Sollten neue wissenschaftliche Erkenntnisse zutage treten, können die EU-Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission die ECHA jederzeit um eine Wiederaufnahme der Bewertung von Glyphosat bitten.

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