Mythen: Wie Trump die Polen mit Halbwahrheiten für sich begeistert

  07 Juli 2017    Gelesen: 876
Mythen: Wie Trump die Polen mit Halbwahrheiten für sich begeistert
Der jetzige Präsident der USA weiß, wohin er fahren und was er sagen muss, behauptet der Politologe Geworg Mirsajan. Es ist klar, warum er vor dem G20-Gipfel nach Warschau reiste – Polen ist der Anführer eines Europas, das mit Trump die Sprache der „nationalen Souveränität“ spricht.
Eines Europas, das Trump bei seinem Konflikt mit den globalistischen Haupstädten Brüssel, Berlin und vielleicht Paris helfen wird. Trump braucht die Sympathien der Bevölkerung dieses Europas.

Allerdings müssen diese Sympathien noch gewonnen werden. Laut einer Pew-Umfrage liegt die Zustimmung für die Außenpolitik Trumps in Polen bei nur 23 Prozent (gegenüber 58 Prozent für Obama). Deswegen ist klar, warum Trump bei der Ankunft in Polen Komplimente an die Gastgeber verteilte, sich für die polnische Nation, ihre historischen Errungenschaften und sogar die geografische Lage begeisterte. Allein für die Worte „Polen ist die Seele Europas“ können die Polen, die derzeit einen großpolnischen Nationalismus und Widerstand gegen die Brüsseler „Seele“ und das Berliner „Gehirn“ erleben, ihn auf den Händen tragen.

In derselben Logik verzerrte Trump historische Fakten zugunsten der polnischen Vision der Geschichte. Er erzählte Geschichten darüber, dass die Polen 1920 die bolschewistische Armee auf dem Weg zur Unterjochung Europas zurückhielten (obwohl alles mit dem Wunsch der polnischen Armee begann, sich die besten Teile der ukrainischen und weißrussischen Gebiete einzuverleiben) und dass sie 1939 „noch einmal angegriffen wurden – von Nazideutschland im Westen und der Sowjetunion im Osten“ (doch auch Polen teilte sich zuvor mit Deutschland die besiegte Tschechoslowakei, das den Faschisten von den europäischen Mächten überlassen wurde).

„Ich schließe nicht aus, dass die Rede für Trump über ein ethnisches Polen in seiner Administration vorbereitet wurde. Zu untypisch sind so gute Kenntnisse der historisch wunden Punkte Polens und zu genau hat das getroffen“, meint der Wirtschaftsexperte Dmitri Ofizerow-Belski.

Dazu gehörte auch die polnische Version des Warschauer Aufstandes. „1944 bereiteten sich die sowjetische und die Nazi-Armee auf eine Schlacht hier, in Warschau, vor. Unter diesen Bedingungen haben die Einwohner Warschaus rebelliert. (…) Mehr als 150.000 Polen kamen während dieses Kampfes gegen die Eroberer ums Leben. Am anderen Flussufer standen die Streitkräfte des sowjetischen Russlands und warteten, sahen, wie die Nazis die Stadt vernichten, Männer, Frauen und Kinder töteten“, sagte Trump.

Völlige Halbwahrheit

Die Lüge besteht wohl in der Hälfte der Wahrheit. Die sowjetische und die Nazi-Armee bereiteten sich auf die Schlacht in Warschau vor. Unter diesen Bedingungen haben die Einwohner Warschaus rebelliert. Doch warum? Nicht wegen des Stolzes, sonst hätten sie zusammen mit den Juden während der heldenhaften Verteidigung des jüdischen Ghettos 1943 gekämpft. Polnische Aktivisten rebellierten in der Stadt, weil die in London ansässige Emigrantenregierung beschlossen hatte, ihre Positionen bei den Verhandlungen über die Zukunft Polens zu stärken.

„Die Initiative und die Wahl des Zeitpunktes gingen natürlich von der Emigrantenregierung und unter aktiver Teilnahme der britischen Regierung aus. Sie wollten die Sowjetunion vor die Tatsache der Befreiung Warschaus stellen und damit die Machtübergabe in Polen an die Regierung verhindern, die von den Unterstützern der Sowjetunion gebildet wurde“, sagte Ofizerow-Belski.

„Im gewissen Sinne war es eine Reaktion auf die Bildung des Polnischen Komitees der nationalen Befreiung am 21. Juli in Moskau, das am 31. September in die Interimsregierung der Republik Polen umgewandelt wird“, sagte der Historiker. Dafür musste man einen Aufstand in der Stadt organisieren, nachdem die Deutschen die Stadt verlassen hatten und bevor die sowjetischen Truppen in die Stadt einzogen. Der Fehler der Aufständischen bestand darin, dass die Deutschen auf Initiative des Kommandeurs der Heeresgruppe Mitte, Walter Model, im Ergebnis darauf verzichteten, die Stadt zu verlassen, und die Garnison hingegen verstärkten.

Was die Hilfe von Sowjetrussland betrifft, stimmt es wohl, wie Trump sagte, dass „die russischen Streitkräfte am anderen Flussufer standen und zusahen“. Doch was hätten sie tun können?

„Die Überquerung der Weichsel hätte nur im Rahmen einer breiten und gut vorbereiteten Operation erfolgen können, wie die Operation „Weichsel-Oder“ im Januar 1945. Vorher hatte es keine Möglichkeit gegeben, sie durchzuführen. Jeder, der sich in militärischen Dingen auskennt, kann sagen, dass die vorherige Offensive der sowjetischen Truppen im Rahmen der Operation „Bagration“ zu schnell war – die weißrussische Eisenbahnen wurden von Partisanen während der Operation „Konzert“ 1943 zerstört. Man brauchte Zeit, um Reserven und Waffen an die Frontlinie zu bringen, die sich zu weit in den Westen verschoben hatte. Die Hauptaufgabe des sowjetischen Kommandos war damals die Verhinderung eines Gegenangriffs, zudem gehörte die Verlegung der Truppen in den Kessel am linken Ufer der Weichsel nicht zu den Plänen“, sagte Ofizerow-Belski.

Allerdings half das sowjetische Kommando. „Die Föderale Archivagentur Russlands veröffentlichte 2014 Dokumente, wo gezeigt wird, dass die sowjetische Seite versuchte, regelmäßig und umfangreich beim Aufstand zu helfen.

Ab dem 24. September stand der Stab der 1. Weißrussischen Front in Kontakt mit den Hauptherden des Aufstandes. Es wurden die Abwürfe von Frachten koordiniert, das Artilleriefeuer korrigiert. Sowjetische Flieger absolvierten 4821 Flüge in Richtung Warschau, davon 2435 zum Abwerfen von Frachten, 100 zur Bekämpfung der Hitler-Flugabwehranlagen, 1361 zu Bombenabwürfen und zum Beschuss der gegnerischen Truppen auf Bitte der Aufständischen. Die Piloten hatten bei 925 Flügen die Aufgabe, von der Luft aus die Gebiete zu decken, die von den Aufständischen eingenommen wurden und Aufklärung in ihrem Interesse zu führen“, sagte der russische Historiker und Direktor der Stiftung „Historisches Gedenken“, Alexander Djukow.

Der Verband von General Zygmunt Berling (Kommandeur der 1. Prosowjetischen Polnischen Armee an der 1. Weißrussischen Front) unternahm im September 1944 einen Versuch, die Weichsel zu überqueren. Mehr als 3000 Soldaten, die die Einwohner von Warschau retten wollten, kamen wegen Londons Abenteuers und der polnischen Emigrantenregierung ums Leben.

Doch der Geschäftsmann Trump braucht nicht die historische Wahrheit – er will nur Eindruck schinden. Das hat er geschafft. „Polen ist begeistert, seine Rede wird im Lande mit der Rede von Johannes Paul II. während seines ersten offiziellen Polen-Besuchs verglichen“, sagte Ofizerow-Belski. Er wird also mit einer Lüge abreisen, aber mit höheren Popularitätswerten.

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