Mord an Tahir Elçi: Die Patronenhülse, die vom Erdboden verschluckt wurde

  01 Dezember 2015    Gelesen: 878
Mord an Tahir Elçi: Die Patronenhülse, die vom Erdboden verschluckt wurde
Der am Samstag in Diyarbakır ermordete Anwalt Tahir Elçi wurde beigesetzt. Ministerpräsident Davutoğlu versprach rasche Aufklärung. Dabei fehlt von den Beweisstücken jede Spur.
Der am Samstag bei einer Pressekonferenz getötete Chef der Anwaltskammer von Diyarbakır und Menschenrechtsaktivist Tahir Elçi wurde am Sonntag unter großer Anteilnahme beigesetzt. An der Zeremonie in Diyarbakır nahmen über 50.000 Menschen teil. Trauernde hielten Transparente hoch, auf denen auf Türkisch und Kurdisch „Wir werden Dich nicht vergessen“ stand.

Unter den prominenten Teilnehmern befanden sich auch Selahattin Demirtaş (Co-Vorsitzender der HDP), Sezgin Tanrıkulu (Stellvertretender Vorsitzender der oppositionellen CHP), Metin Feyzioğlu (Chef der Union der Anwaltskammern der Türkei), Anwaltskammern von 80 Provinzen des Landes, Gültan Kışanak (Oberbürgermeisterin der Stadt Diyarbakır). Von der Regierung nahm kein einziger Vertreter teil.

Tahir Elçi, der seit 1992 als Anwalt tätig war, machte sich für die Eindämmung unaufgeklärter Morde in der Türkei stark. Auch der Mord an ihm könnte nach bisherigen Ermittlungsergebnissen unaufgeklärt bleiben. Elçi starb durch eine Kugel, die ihn am Hinterkopf traf und an der Vorderseite des Kopfes wieder austrat. Die Polizei sicherte jedoch am Tatort weder eine Patrone noch eine Patronenhülse. Ohne diese Beweisstücke werden die Aufklärungschancen als gering bewertet. Auch die Videoaufnahmen zum Fall werfen mehr Fragen auf, als dass sie zur Aufklärung beitragen.

Davutoğlu verspricht rasche Aufklärung

Unterdessen versprach Premierminister Ahmet Davutoğlu eine rasche Aufklärung des Mordes. Er sagte: „Eins möchte ich in aller Deutlichkeit klarstellen: Dieses Ereignis wird auf jeden Fall aufgeklärt werden. In unserer Regierungszeit werden wir unaufgeklärte Morde nicht zulassen. Die Ermittlungen werden rasch fortgeführt und die Ergebnisse der Öffentlichkeit mitgeteilt werden.“ Davutoğlu machte zugleich die PKK für die Tat verantwortlich. Die Waffe, die zum Einsatz kam, war angeblich dieselbe, die auch bei der Hinrichtung der zwei türkischen Polizisten kurz vor dem Schuss auf Elçi benutzt wurde.

Dazu meinte er: „Wenn es die Angriffe der Terroristen auf unsere Polizisten nicht gegeben hätte, so hätte dieses Attentat nicht stattgefunden. Die Verantwortung für diese Taten trägt diese Terrororganisation. Während der Ermittlungen des Staatsanwalts wurden Raketen auf den Tatort gefeuert. Wenn es jemanden gibt, die den Vorfall verdecken will, so ist das die Terrororganisation.“

Lange Liste der unaufgeklärten Morde

Sezgin Tanrıkulu von der CHP jedoch hatte im Juni 2015 einen Bericht über unaufgeklärte Morde in der Türkei zwischen den Jahren 2003 (Januar) und April 2015 vorgestellt. Danach sind in der Türkei in der Regierungszeit der regierenden AKP insgesamt 208 Menschen politischen Morden zum Opfer gefallen, deren Urheber nicht ermittelt werden konnten. Zu einigen der Morde, die nicht aufgeklärt beziehungsweise deren Hintermänner im Dunkeln geblieben sind, zählen unter anderem der Mord am armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink (19.1.2007), der brutale Mord an Mitarbeitern des Verlags Zirve in Malatya (18.4.2007) und der Mord an Priester Santoro in Trabzon (5.2.2006). Am 29.12.2011 bombardierte die türkische Luftwaffe an der Grenze zum Irak eine Gruppe von Schmugglern, 34 Menschen starben dabei. Obwohl den Angehörigen eine Entschädigung ausgezahlt wurde, konnte nicht ermittelt werden, von wem der Befehl kam.

Gegen Tahir Elçi wurden Ermittlungen aufgenommen, nachdem er in einer Fernsehsendung gesagt hatte, die PKK sei keine Terrororganisation, sondern eine bewaffnete Organisation, die auch Terrortaten verübe. Gegen ihn wurde die Auflage verhängt, das Land nicht zu verlassen. Bleibt der Mord an Elçi unaufgeklärt, so könnte dies zur weiteren Entfremdung zwischen Kurden und dem türkischen Staat führen.

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