In Kolumbien werden Zivilisten gezielt getötet

  08 September 2017    Gelesen: 580
In Kolumbien werden Zivilisten gezielt getötet
Die Farc kämpft nun nicht mehr im Dschungel, sondern als Partei im Parlament. Doch das historische Friedensabkommen mit Kolumbiens Regierung ist in Gefahr - durch konservative Politiker, Geld, Drogen und Waffengewalt.

Die Unterzeichnung des Friedensvertrags von kolumbianischer Regierung und Farc-EP Ende vergangenen Jahres war ein historisches Ereignis. Doch die Umsetzung des Abkommens ist in Gefahr - juristisch und politisch in der Hauptstadt Bogotá, bei der Umsetzung in den ländlichen Gebieten. Bewaffnete Gruppen wie Paramilitärs und die ELN-Guerilla sind weiterhin aktiv. Unliebsame Zivilisten werden gezielt getötet.

In Bogotá muss der Verfassungsgerichtshof in mehreren inhaltlichen Etappen entscheiden, ob die Umwandlung des vom Kongress abgesegneten Vertrags in Gesetze überhaupt verfassungskonform ist. Dabei geht es auch um den vielleicht wichtigsten Teil, der "Schutzschirm"; eine Garantie, dass die Abmachungen in den kommenden zwei Präsidentschaftsperioden nicht verändert werden dürfen. Im aktuellen Zwischenbericht über die Fortschritte des Friedensabkommens heißt es, nur der kleinste Teil sei bislang umgesetzt: Der direkte Umgang mit den Ex-Kämpfern. Die anderen 90 Prozent stünden noch aus.

Die Führung der linksgerichteten Guerilla hat ihren Teil des Vertrags bislang größtenteils eingehalten. Sie rief ihre Kämpfer zur Niederlegung ihrer Waffen auf, die inzwischen abgeschlossen ist. Dissidenten, die sich weigerten, wurden ausgeschlossen. Nun ist auch der vorgesehene Übergang der Organisation in die Zivilgesellschaft vollzogen. Auf einem Gründungskongress mit über 1200 Teilnehmern haben die Guerilleros ihr politisches Programm beschlossen.

Farc steht nun für "Fuerza Alternativa Revolucionario de Común", "Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes". Der Name und damit die Beibehaltung der Abkürzung setzte sich deutlich gegen den anderen Vorschlag "NuevaColombia" durch. Die Themen der Partei sind soziale Gerechtigkeit, Gleichbehandlung und Landverteilung - wie zuvor, nur soll die Revolution nun im demokratischen Rahmen stattfinden.

Die Diskussionen der Mitglieder über Themen und Namen fanden größtenteils hinter verschlossenen Türen statt, die Präsentation aber öffentlich vor Tausenden Menschen auf dem zentralen Plaza Bolívar in Bogotá, in Rufweite des Kongresses und wenige hundert Meter vom Präsidentenpalast entfernt. Dort, wo Ex-Präsident Álvaro Uribe zwischen 2002 und 2010 regierte und das Militär mit härtester Hand gegen die Guerilla ins Feld schickte. Dabei verließ sich der damalige Regierungschef auch auf seine guten Verbindungen zu rechtsgerichteten Paramilitärs, etwa die Terrororganisation Autodefensas Unidas de Colombia (AUC).

Heute kämpft Uribe als bekanntestes Gesicht der Opposition und der rechtskonservativen Partei Centro Democrático politisch gegen die Umsetzung des Friedensvertrages. Als Mitstreiter tritt Ex-Generalstaatsanwalt Alejandro Ordóñez auf, der sich so als Präsidentschaftskandidat für die Wahl im Mai 2018 positioniert.

Gezielte Tötungen von Menschenrechtlern

"Von Anfang an war die Legitimität des Abkommens umstritten", sagt Viviana García Pinzón vom Giga Institut für Lateinamerikastudien in Hamburg. Die kolumbianische Friedensforscherin nennt zwei Vertragsteile, die konservative Kreise um Uribe unbedingt ändern wollen. Der eine ist die Übergangsjustiz, die viele Guerilleros straffrei lässt. Der andere ist der jahrzehntelange Brennpunkt des Konflikts, der die Farc an die Waffen gebracht hatte: Landbesitz und -kontrolle. Sieben Millionen Menschen verließen bislang wegen des seit Jahrzehnten andauernden Bürgerkriegs ihre Heimat. Die Landreform soll den Vertriebenen ihren Besitz zurückgeben, und ehemaligen Kämpfern Möglichkeiten, legal ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Konservativen sind die politische Stimme der Großgrundbesitzer und des Agrarsektors. Sie wollen die Vereinbarungen nicht akzeptieren.

Die ehemaligen Farc-Kommandeure sind nun auch die Köpfe der Partei, dies führt Pinzón zufolge zu viel Ablehnung in der Bevölkerung. In Bogotá erhalten die Ex-Guerilleros je Legislaturperiode zehn Sitze im Kongress. Neben den künftigen Auseinandersetzungen in der politischen Arena geht der Bürgerkrieg ohne die Farc-EP in den weitläufigen ländlichen Gegenden Kolumbiens weiter. In 281 von 1122 Landkreisen kämpfte die Guerilla. Dort sank zwar die Zahl der jährlich Getöteten seit Beginn der Friedensverhandlungen im Jahr 2012 von 4000 auf 3000, doch vielerorts haben andere bewaffnete Gruppen die Kontrolle übernommen.

"Der Friedensvertrag ist ein sehr gutes Abkommen, aber die Möglichkeiten der staatlichen Institutionen, es umzusetzen, sind limitiert", sagt García Pinzón. Zum einen fehle Geld für den Aufbau staatlicher Strukturen in den betroffenen Gebieten, zudem wehrten sich die regionalen Politiker gegen Einflussnahme aus Bogotá. "Die Elite ist in den Regionen, wo die Umsetzung stattfindet, nicht so mächtig wie die dortigen Lokalpolitiker." Korruption ist in Kolumbien weit verbreitet.

In diesem Jahr wurden bereits mehr als 100 Menschenrechtsvertreter und NGO-Mitarbeiter von bewaffneten Gruppen getötet. Besonders gefährdet sind jene, die sich bei der Rückgabe von Ländereien engagieren und Vertriebene betreuen. Sie könnten verhindern, dass die bewaffneten Gruppen weiter Geld mit illegalem Berg-, Drogenanbau und -schmuggel verdienen. Das Geschäft blüht. Laut UN-Antidrogenbehörde gab es in Kolumbien seit Beginn der Erhebungen nie so viel Anbaufläche für die Coca-Pflanze. Im Jahr 2016 waren es demnach 146.000 Hektar. Trotz Waffenstillstand mit der Farc vergrößerten sich die Felder im Vergleich zu 2015 um mehr als 50 Prozent, damit auch die potenzielle Kokain-Produktion - und die Verdienstmöglichkeiten.

Quelle: n-tv.de

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