Für viele Katalanen war das ein Schock. Zehntausende gingen spontan auf die Straße, fühlten sich ungut an die Franco-Diktatur erinnert, als es nur das eine Spanien geben durfte und alles Katalanische unterdrückt wurde. Eine Jetzt-erst-recht-Haltung griff um sich, Unentschlossene liefen zu den Befürwortern des Referendums über. Viele Spanier sagen, was gerade passiere, ähnele zwei Zügen, die aufeinander zurasen. Und am Sonntag ist der Tag des Aufpralls.
Doch wie konnte es so weit kommen? Noch vor gut zehn Jahren war die Unabhängigkeit Kataloniens nur ein Thema für Träumer und Romantiker. Den allermeisten Katalanen reichte es, die eigene Sprache zu sprechen, den FC Barcelona gegen Real Madrid anzufeuern und mit Freunden und Verwandten aus anderen Teilen Spaniens Witze übereinander zu reißen. Vor zwölf Jahren wollte die katalanische Regionalregierung neu regeln, welche Rechte ihre Region innerhalb Spaniens haben sollte. Knapp 30 Jahre zuvor hatte die Verfassung von 1978 den KataIanen umfangreiche Autonomierechte gegeben; nun befand man in Barcelona, dass es Zeit war, diese neu zu regeln.
Die Lösung war eigentlich schon da
Im neuen "Statut" standen einige schwer zu verdauende Worte für den Rest Spaniens. So sollte darin anerkannt werden, dass die Katalanen eine Nation seien und die katalanische Sprache mit der spanischen gleichgestellt werden sollte - das bedeutete, dass Zugereiste aus anderen Landesteilen in Katalonien auch dessen Sprache lernen mussten. Beim dicksten Brocken ging es ums Geld. Die Regionalregierung wollte die Verteilung der Steuermittel neu regeln. Die wohlhabende Region wollte weniger in die ärmeren Regionen des Landes abführen. Manch einer hatte das Gefühl, dass so viel in andere Landesteile abfloss, dass die Menschen dort besser lebten als die Katalanen. Am 1. Oktober 2005 beschloss das katalanische Parlament das neue Statut.
Für die damalige Zentralregierung in Madrid war das Papier eine gewaltige Herausforderung. Doch Ministerpräsident José Luis Zapatero gelang es in langwierigen, zum Teil geheimen Verhandlungen mit dem katalanischen Regionalpräsidenten Artur Mas, die Regelungen des Statuts ein wenig zu entschärfen. So wurde zwar erlaubt, dass die Katalanen sich als Nation bezeichnen, jedoch klargestellt, dass das keinerlei juristische Konsequenzen habe. Außerdem einigte man sich auf eine Neuordnung der Finanzen - Katalonien sollte eine eigene Steuerbehörde bekommen und mehr von der Einkommenssteuer behalten dürfen. Am 30. März 2006 stimmte das spanische Parlament dem abgewandelten Statut zu - dem Sozialisten Zapatero war es gelungen, die Kuh vom Eis zu holen. Die politische Krise schien gelöst. Schien, wohlgemerkt.
Konservative eröffneten den Kampf
Denn vor den Augen der Konservativen flatterten die katalanischen Forderungen wie ein rotes Tuch vor den Augen eines Stiers. Der PP schäumte, Oppositionsführer Mariano Rajoy sah die Einheit der spanischen Nation in Gefahr. Zunächst sammelte seine Partei Millionen Unterschriften für ein gesamtspanisches Referendum über das katalanische Statut, scheiterte dann aber bei der Abstimmung darüber im Parlament. Als Nächstes versuchten die Konservativen es mit einer Klage. Diesmal mit Erfolg: Nach jahrelangen Verhandlungen kassierte das oberste Verfassungsgericht Mitte 2010 Dutzende Artikel des Dokuments und machte es damit de facto bedeutungslos.
Die Wirkung in Katalonien blieb nicht aus - dass die Wähler dem reformierten Statut mit großer Mehrheit (allerdings nur knapp 50 Prozent Wahlbeteiligung) zugestimmt hatten und nun einfach vom Verfassungsgericht überstimmt wurden, war das eine. Das andere war die Demütigung. Der Frust darüber wuchs, dass der Zentralstaat offenbar die Eigenständigkeit innerhalb Spaniens einfach nicht wahrhaben wollte. Viele Katalanen ballten die Fäuste in der Tasche. Plötzlich erschien die Idee der Unabhängigkeit vielen nicht mehr als Hirngespinst, sondern als echte Alternative. Die über ganz Spanien hereingebrochene Wirtschaftskrise verschärfte noch das Gefühl, das einst am Beginn des Prozesses gestanden hatte - der Eindruck, dass Katalonien fürs restliche Spanien vor allem zahlen muss und wenig dafür zurückbekommt.
2012 beschloss das Parlament Kataloniens dann, ein Referendum abzuhalten. Kurz bevor es im Herbst 2014 so weit war, schreckte Regionalpräsident Artur Mas dann doch noch davor zurück und deklarierte die Abstimmung in eine bloße Umfrage um. Mit großer Mehrheit sprachen sich die Wähler zwar für die Unabhängigkeit aus, doch viele Gegner gingen gar nicht erst hin. Mas’ Nachfolger Carles Puigdemont schmiedete dann vor zwei Jahren eine halsbrecherische Koalition aus Linksradikalen und Konservativ-Bürgerlichen mit dem einzigen Ziel, ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten. Diesmal wirklich. Sonntag soll der Tag des Zusammenpralls sein.
Quelle: n-tv.de
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