FC Barcelona und das Katalonien-Referendum

  04 Oktober 2017    Gelesen: 683
FC Barcelona und das Katalonien-Referendum
Das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien spaltet Spanien. Ein Symbol für den katalanischen Protest ist aktuell der FC Barcelona. Aber weder die Vereinsführung noch die Spieler sind sich einig.
So wenig Sport haben sie in der Sportstadt des FC Barcelona lange nicht mehr gemacht. Nichts rührt sich auf den neun grünen, sorgsam gepflegten Rasenplätzen der Ciutat Esportiva Joan Gamper, keine Menschenseele ist an diesem Dienstagnachmittag zu sehen beim Blick durch den Maschendrahtzaun.

Normalerweise trainieren hier um diese Uhrzeit Dutzende Fußballer: Kinder und Jugendliche, Amateure und Profis. Da warten Fans vor dem Eingang des Vereinsgeländes in der (meist vergeblichen) Hoffnung, ein Selfie mit Lionel Messi, Andrés Iniesta, Gerard Piqué oder dem deutschen Torwart Marc-André ter Stegen abzustauben.

Aber an diesem Dienstag versperren riesige Stahltore den Weg auf das Gelände. Heute macht Barça dicht.

Der FC Barcelona geht in den Ausstand. Der Klub hat sich dem Protest gegen die Gewalt der spanischen Sicherheitskräfte beim illegalen Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien angeschlossen. Es ist so ziemlich das einzige, worauf sie sich gerade einigen können bei einem der berühmtesten Fußballvereine der Welt. Längst hat die spanische Staatskrise auch Barça erfasst: die einzig wahre Liebe vieler Katalanen.

In diesen Tagen, da die Menschen auf die Unabhängigkeitserklärung warten, geht es nicht nur um die politische Zukunft der autonomen Region Katalonien. Es geht auch um die Zukunft des FC Barcelona.

Wie soll sich der Vorzeige- und Lieblingsverein der Katalanen verhalten? Soll er Politik Politik sein lassen und Sport Sport? Oder soll er Position beziehen für die Unabhängigkeit - die auch zu seinem Rauswurf aus der spanischen Liga führen könnte?

Barcelona spielt, Präsident Bartomeu rechtfertigt sich

Diese Fragen spalten sie alle: Sportler, Fans und ganz besonders die Vereinsspitze. Am Sonntag haben zwei Top-Funktionäre hingeschmissen: Vizepräsident Carles Vilarrubí und der Leiter der medizinischen Abteilung Jordi Monés protestierten gegen den Beschluss von Barça-Präsident Josep Maria Bartomeu und seinen Getreuen, die Partie gegen Las Palmas am Sonntag auszutragen: trotz der Gewaltakte der spanischen Polizei und trotz einer Provokation der Gäste. Der Las-Palmas-Präsident hatte kurz vor dem Spiel befohlen, eine spanische Flagge auf die Trikots nähen zu lassen.

Bei einem Boykott hätte seinem Verein der Verlust von sechs Punkten gedroht, rechtfertigt sich Bartomeu. Die spanische Liga hatte eine Verschiebung nicht zugelassen. "Niemand wird sich an die Absage erinnern, wenn wir die Liga wegen dieser sechs Punkte verlieren", sagte Bartomeu. Die Entscheidung, das Spiel hinter verschlossenen Türen auszutragen, sei genau richtig gewesen: "Hätten wir nicht gespielt, hätte die Nachricht eine Minute gehalten." So aber hätten "Millionen Menschen in 174 Nationen" 90 Minuten lang das 3:0 gegen Las Palmas gesehen und "sich gefragt, was gerade in Katalonien passiert."

Wie die Madrider Sportzeitung "Marca" berichtet, war sich auch die Mannschaft uneins. Ein Grüppchen um den Verteidiger Gerard Piqué und Mittelfeldspieler Sergi Roberto sei für die Absage gewesen. Messi habe nicht ein Wort gesagt. Die meisten hätten aber antreten wollen. Und Kapitän Iniesta habe gefordert, es müsse klargestellt werden, dass dies nicht die Spieler entschieden hätten, sondern der Klub.

"Més que un club", mehr als ein Verein, so lautet seit Jahrzehnten das Credo des FC Barcelona. Das ist nicht nur so daher gesagt. Seit fast 100 Jahren, als der damalige Präsident Joan Gamper Katalanisch zur Vereinssprache erklärte, unterstützt Barça die katalanische Autonomie. Und unter der Knute des spanischen Diktators Franco wurde der Verein zu einem Hort des unterdrückten Katalanismus.

Das Stadion Camp Nou war einer der wenigen Orte, an denen es die Menschen wagen konnten, Katalanisch zu sprechen. Und einige brachten gar katalanische Flaggen mit - schon vor Francos Tod. Der Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán nannte den FC Barcelona "die Armee Kataloniens".

Heute ist das Camp Nou eine Bastion des Nationalismus. Tausende Fans schwenken bei jedem Heimspiel die Estelada: die gelb-rot-gestreifte Unabhängigkeitsflagge mit weißem Stern auf blauem Hintergrund. Lässt sich der spanische König im Camp Nou blicken, pfeifen sie ihn schon mal aus. Und in Spielminute 17:14 rufen sie "Independencia, Independencia": im Gedenken an die Kapitulation Barcelonas im spanischen Erbfolgekrieg von 1714, nach der die Katalanen sich dem Zentralstaat unterordnen mussten. Pep Guardiola, der langjährige Barça-Trainer, ist erklärter Separatist.

"Dass Sport und Politik sich nicht miteinander vermischen, das ist eine Lüge wie ein Tempel", hat Verteidiger Piqué einmal gesagt. Er hat selbst für das Referendum geworben, die spanische Polizei heftig wegen ihres Gewalteinsatzes angeprangert - und steht nun kurz vor dem Abschied aus der spanischen Nationalmannschaft. Beim Training wurde er zwei Tage nach dem Referendum von Zuschauern beleidigt und angefeindet. Schon am Sonntag hatte Piqué unter Tränen seinen möglichen Rücktritt in Aussicht gestellt.

Piqués Klub hat sich ebenfalls für das Referendum ausgesprochen und er verurteilt auch die Gewalt. Aber was geschähe, wenn Katalonien wirklich ein unabhängiger Staat würde? Müsste Barça dann etwa Spaniens Primera División verlassen?

Genau damit droht bereits Ligachef Javier Tebas. Es sei ausgeschlossen, dass katalanische Teams im Ernstfall der Unabhängigkeit weiter in der spanischen Liga spielen könnten, behauptet Tebas, der als Fan von Real Madrid gilt. Dies verbiete das spanische Sportrecht.

Vielen Fans graut es vor dieser Vorstellung. "Sollen wir statt gegen Real oder Atlético Madrid künftig in der katalanischen Liga gegen Lleida Esportiu oder Gimnàstic de Tarragona spielen?" , schimpft ein Nachbar des Trainingsgeländes. "Dann gewinnen wir alles 8:0, 10:0, 12:0. Das ist doch absurd." "Garrote", wie sich der 68 Jahre alte Mann nennt, ist seit 64 Jahren "Culé", ein glühender Barça-Fan. Nichts liebt er so sehr wie den Clásico: das Duell gegen den Erzrivalen Real Madrid, der für viele Katalanen das Symbol des spanischen Zentralstaats ist. "Wenn wir nicht mehr gegen solche Gegner spielen können", fürchtet er, "dann werden die Superstars Barça verlassen."

Noch immer halten sich hartnäckig die Gerüchte, Ausnahmekicker Messi habe seinen 2018 auslaufenden Vertrag noch nicht verlängert - auch wegen der möglichen Abspaltung Kataloniens. Präsident Bartomeu hat zwar eine Verlängerung bis 2021 verkündet, doch Widersacher im seit Monaten währenden Machtkampf um die Klubführung bezichtigen ihn der Lüge. Ihnen zufolge hat nur Messis Vater unterschrieben, nicht aber er selbst. Und ein Beweisfoto, das viele fordern, hat Bartomeu nicht veröffentlicht. Seine Entscheidung, das Spiel gegen Las Palmas auszutragen, könnte ihn weiter schwächen.

Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont versucht, den Barcelona-Fans ihre größte Angst zu nehmen: "Wenn Barça weiter in der spanischen Liga spielen will, wird der Verein dort spielen", prophezeit er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Barça sei eine "Geldmaschine", niemand werde so dumm sein, sie zurückzuweisen. Und: "Niemand hat ein Interesse daran, dass es den Clásico nicht mehr gibt."

Doch wenn es Puigdemont ernst meint mit der Abspaltung, ist der nächste Clásico in Gefahr. Der ist erst für den 20. Dezember angesetzt. Die Unabhängigkeitserklärung wird schon für Ende dieser Woche erwartet.

Quelle : spiegel.de

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