In atemberaubendem Tempo hat der Skandal damit die VW-Unternehmensspitze erreicht und hinweggefegt: Erst am vergangenen Freitag hatte die US-Umweltbehörde EPA ihre Erkenntnisse bekanntgemacht, wonach Deutschlands größter Autobauer mit Hilfe einer speziellen Software den Stickoxid-Ausstoß bei Tests manipuliert. "Wir haben Mist gebaut", räumte US-Chef Michael Horn bereits am Montagabend ein.
Obwohl sich die VW-Aktie Chart zeigen bereits im freien Fall befand, schien Winterkorn zu diesem Zeitpunkt noch zum Kämpfen entschlossen. Vielleicht spürte er ja noch das Adrenalin vom letzten Duell im Blut: Mit den Worten "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn", hatte VW-Patriarch Ferdinand Piëch erst im April versucht, seinen langjährigen Vertrauten zu stürzen. Doch Piëch unterschätzte Winterkorns Rückhalt im Aufsichtsrat - und musste selbst gehen.
Nun also hat Deutschlands größter Autobauer innerhalb weniger Monate auch die zweite Führungsfigur verloren. Doch reicht das für den versprochenen Neuanfang? Wohl kaum.
Denn noch ist völlig unklar, wer von den Manipulationen wusste. Winterkorn beteuerte zum Abschied lediglich, er sei sich "keines Fehlverhaltens bewusst". Konzernkenner halten es für unwahrscheinlich, dass der VW-Chef in keiner Form über die Manipulationen informiert war. Schließlich gilt Winterkorn als Kontrollfreak, der Mitarbeiter schon wegen kleinster Mängel öffentlich rundmachen konnte.
Der sowohl von Winterkorn als auch von Piëch gepflegte autoritäre Führungsstil könnte allerdings auch dazu geführt haben, dass Untergebene ohne Wissen der Chefs zu Manipulationen gegriffen haben. Gerade in den USA war der Erfolgsdruck zuletzt groß: Der Anfang des Jahres angetretene Michael Horn ist bereits der dritte US-Chef des Unternehmens in kurzer Zeit. Seine Vorgänger mussten nach kurzer Zeit wegen mangelnden Erfolgs gehen.
Doch auch wenn US-Manager des Konzerns Verantwortung treffen sollte: Ohne Unterstützung aus Wolfsburg kann der anspruchsvolle Softwaretrick kaum gelungen sein. Unangenehme Fragen dürften deshalb auch auf frühere Vorstandskollegen Winterkorns wie Entwicklungschef Ulrich Hackenberg zukommen, der mittlerweile in gleicher Funktion bei Audi arbeitet.
Außer der möglichen Verantwortung weiterer Mitarbeiter stellt sich die Frage, wie stark Volkswagen als Konzern sich verändern muss - schließlich ist es bei weitem nicht der erste Skandal des Unternehmens: von der López-Affäre um angeblich bei Opel gestohlene Unterlagen über den berüchtigten Lustreisen-Skandal, an dem auch der frühere Arbeitsdirektor Peter Hartz beteiligt war, bis zur gescheiterten VW-Übernahme durch Porsche, die mit dem Gegenteil endete. Für einen Konzern, der im Ausland gerne mit dem eher spröden Charme und der Zuverlässigkeit deutscher Ingenieure wirbt, geht es im Umfeld von VW schon länger ganz schön halbseiden zu.
Auf den allerletzten Metern hatte Winterkorn noch begonnen, das Unternehmen zu verändern: Auf der IAA stellte ein ungewohnt lässiger VW-Chef den geplanten Kulturwandel seines Unternehmens vor: Die Tochtermarken sollten mehr Eigenständigkeit bekommen, das von Piëch geprägte Patriarchen-System durch mehr Kollektiventscheidungen ersetzt werden. "Wir sind dabei, Volkswagen ein Stück weit neu zu erfinden", sagte der VW-Chef. Jetzt werden dringend neue Erfinder gesucht.
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