Ursula von der Leyen hat das Projekt entscheidend auf den Weg gebracht. Seit anderthalb Jahren bastelt sie - lange schon vor der Wahl Macrons - auf allen diplomatischen Kanälen an dieser Euro-Allianz. Das Ergebnis ist nicht nur militärisch wichtig und spart Ressourcen. Es führt vor allem die tief zerstrittene EU in einem brisanten Krisenmoment endlich wieder einmal zusammen. Europa demonstriert damit, was man lange vermisst hat: Einheit und Stärke.
Von der Leyen positioniert die neue Militärallianz geschickt als eine Antwort auf Donald Trump: "Es war für uns wichtig - gerade nach der Wahl des amerikanischen Präsidenten - uns eigenständig aufzustellen", betont die Verteidigungsministerin und gewinnt damit öffentliche Akzeptanz für die eher unpopuläre Erhöhung der Verteidigungsetats. Zugleich vermeidet sie den Begriff der europäischen Armee und spricht konsequent von der "Armee der Europäer". Auch das schafft im allgemeinen neo-nationalistischen Klima leichter Zustimmung für die Union - wie weiland das "Europa der Vaterländer".
Von der Leyen gelingt der europapolitische Coup just in dem Moment, da in Berlin die politische Führung wankt. Angela Merkel muss nach einem miserablen Wahlergebnis um ihre Macht kämpfen, die neue Jamaika-Koalition quält sich zueinander, stabile Verhältnisse sind noch nicht in Sicht. Und auch Ursula von der Leyen hat keinen leichten Stand. Ihre Zeit als Verteidigungsministerin war überschattet von Skandalen, für die sie nichts konnte - nicht einsatzfähige Transportflugzeuge, hitzeuntaugliche Sturmgewehre, rechtsextreme Umtriebe. Sie musste sich behaupten gegen massiven Industrielobbyismus und gegen politische Intrigen. Als erste Frau im Verteidigungsministeramt wollte mancher sie besonders gerne scheitern sehen. Als sie öffentlich über ein "Haltungsproblem" und "Führungsschwäche" in der Truppe sprach, kostete sie das Gefolgschaft. In den letzten Wochen kam auch noch ein Konflikt mit Polen hinzu, wo sich von der Leyen mit der rechtspopulistischen Regierung in Warschau anlegte. Kurzum - ihre Ministerzeit bei der Truppe glich einem politischen Minenfeld.
Auch in ihrer Partei muss sie kämpfen. Der CSU gilt sie als zu merkeltreu, dem konservativen Flügel als zu sozialliberal und auf Parteitagen wird sie mit bescheidenen Wahlergebnissen für beides abgestraft. Und da nun in der CSU auch noch die Begehrlichkeit wächst, dass Joachim Herrmann womöglich neuer Verteidigungsminister werden könnte, scheint ihre Karriereperspektive eingeengt.
In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall. Ursula von der Leyen bleibt - wie man aus der Unionsspitze hört - in einer Jamaika-Regierung entweder Verteidigungsministerin oder sie wird mächtige Arbeits- und Sozialministerin; in beiden Ressorts hat sie bereits ausgiebig Regierungserfahrung. In beiden Fällen wäre sie, da Wolfgang Schäuble nicht mehr im Kabinett vertreten sein wird, das politische Schwergewicht der CDU.
Nachfolge von Stoltenberg?
Doch ihr zusehends außenpolitisches Profil - sie ist wie wenige Berliner Spitzenpolitiker international vernetzt und parkettsicher - eröffnet ihr noch andere Chancen. Sollte die EU einmal einen gemeinsamen Verteidigungsminister küren, dann wäre sie die ideale Kandidatin. Und im Hauptquartier der Nato kursiert ihr Name schon länger als Option für die Nachfolge des Norwegers Jens Stoltenberg. Traditionell stellen die USA die militärische Führung der Allianz, den zivilen Chef-Posten des Generalsekretärs nehmen die Europäer ein.
Von der Leyen gilt in Nato-Kreisen als resolute Macherin und überzeugte Atlantikerin, die mit den US-Amerikanern (trotz aller Trump-Irritationen) beste Kontakte pflegt. Gerade die Pentagon-Generalität ist von ihr regelrecht fasziniert. "Sie wäre unsere erste weibliche Nato-Generalsekretärin. Sie paart Entschiedenheit und Intelligenz mit Verbindlichkeit. Außerdem spricht sie perfekt Englisch. Wir schätzen sie einfach", heißt es aus Washington.
Das demonstrative Lob ist freilich auch ein Stück Wiedergutmachung der USA. Denn Deutschland hat im vergangenen Jahr das Rennen um einen einflussreichen Spitzen-Posten bei der Nato verloren. Die US-amerikanische Staatssekretärin für Rüstungskontrolle, Rose Gottemoeller, wurde Stellvertreterin im Generalsekretariat. Der von der Bundesregierung vorgeschlagene deutsche Spitzendiplomat Martin Erdmann zog - Berlin wurde regelrecht düpiert - den Kürzeren. Sollte von der Leyen also tatsächlich zum Zuge kommen, dann hätte nach diesem Personalpoker die Nato allerdings auf der zivilen Seite eine weibliche Doppelspitze. In Nato-Kreisen wird ihr hoch angerechnet, dass sie erst Deutschland und nun auch 22 andere EU-Staaten auf eine Erhöhung der Wehretats eingeschworen habe.
Aus amerikanischer Sicht würde von der Leyen in Brüssel langfristig helfen, Deutschland finanziell stärker einzubinden und gemeinsame Nato-Einsätze zu ermöglichen. Doch da könnten sich die US-Amerikaner auch täuschen. Denn von der Leyen meint es ernst mit ihrer "Armee der Europäer". Sie will der EU die Fähigkeit verleihen, auch ohne die USA ihre Sicherheit zu verteidigen. Ihre Proklamation lautet seit dieser Woche: "Niemand wird die Sicherheitsprobleme, die Europa in seiner Nachbarschaft hat, für uns lösen, sondern wir müssen das als Europäer selber können."
Quelle: n-tv.de
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