Zehn Tage nach der Wahl am 15. Oktober saßen ÖVP und FPÖ zum ersten Mal zusammen am Tisch. Keine Spur von Zögern, Zaudern oder Zweifel - während sich CDU, CSU, FDP und Grüne mit spitzen Fingern abtasten, gibt es zwischen Konservativen und Rechtspopulisten in Österreich keinerlei Berührungsängste. Dem Vernehmen nach laufen die Gespräche in Wien ohne nennenswerte Reibereien ab. Kein Wunder: Noch geht es hauptsächlich um Inhalte - die decken sich, seit Kurz die ÖVP auf eine Art FPÖ-light-Kurs geführt hat. Größter Streitpunkt bisher: Die FPÖ möchte das bundesweite Rauchverbot in Gasthäusern kassieren, das planmäßig im Mai 2018 in Kraft tritt.
Die "gmahte Wiesn" für Kurz endet dort, wo der Postenschacher beginnt. Bei der Frage, wer welches Ministeramt übernimmt, hat auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen ein Wörtchen mitzureden - und schon mal vorsorglich sein Veto gegen zwei der umstrittensten FPÖ-Kandidaten angekündigt: EU-Parlamentarier Harald Vilimsky, den Architekten des Bündnisses der FPÖ mit Marine Le Pen, und Johann Gudenus. Ihn hält Van der Bellen nach einem Bericht der "Kleinen Zeitung" wegen eines Spruchs aus dem Wahlkampf 2013 für untauglich: Falls die Freiheitlichen einmal den Innenminister stellen, sagte Gudenus damals, heiße es "Knüppel aus dem Sack für alle Asylbetrüger, Verbrecher, illegalen Ausländer, kriminellen Islamisten und linken Schreier".
Einen Vizekanzler und Innenminister Heinz-Christian Strache wird Van der Bellen allerdings nicht verhindern können. Mit dem FPÖ-Chef wird ein Mann in eines der wichtigsten Regierungsämter aufsteigen, der eine Vergangenheit mindestens in der Nähe der Neonazi-Szene hat - was die Frage aufwirft: Was sind das für Politiker, mit denen Sebastian Kurz, der gefeierte Jungstar der europäischen Konservativen, an die Macht gelangen will?
Drei Bier, bitte!
Das Wiener Wochenblatt "Falter" stellte kurz nach der Wahl auf seinem Titelblatt eine ähnliche Frage: "Darf dieser Mann Innenminister werden?" Auf dem Cover zu sehen: ein Bild des jungen Heinz-Christian Strache in Uniform, eine schwarze Sturmhaube im Gesicht, ein schwarzes Gewehr in der Hand, wahrscheinlich ein Imitat, wie es Paintball-Spieler verwenden. Die Aufnahme entstand in einer Zeit, in der Strache engen Kontakt zu Schlüsselfiguren der österreichischen Neonazi-Szene hatte, mehrfach von der Polizei auf rechtsradikalen Demonstrationen festgesetzt wurde und auch an Wehrsport-Übungen teilnahm. Als diese und andere Fotos 2007 in der Presse auftauchten, stritt Strache alles ab: "Ich war nie ein Neonazi und ich bin kein Neonazi", sagte er. Er kam damit durch, SPÖ-Kanzler Gusenbauer sprach von "Jugendtorheiten". Fast schon legendär ist Straches Erklärung für ein Foto, das ihn beim "Kühnen-Gruß" zeigt, einer Abwandlung des Hitler-Grußes, bei dem Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand abgespreizt werden: Er habe "drei Bier bestellen" wollen.
Erst nach weiteren Enthüllungen 2009 gab Strache nach und nach zu, was sich nicht mehr leugnen ließ - und sprach von "kindlichen Dummheiten". Explizit nicht ausschließen wollte er, dass "Juxfotos" von ihm auftauchen könnten, auf denen er den Hitlergruß zeigt. Ein solches Foto kostete gerade einem Parteifreund Straches den Einzug in den Bundesrat. Der 28-jährige FPÖ-Mann Andreas Bors verzichtete am Mittwoch auf sein Mandat in der Länderkammer - nicht weil er vor elf Jahren den Hitlergruß gezeigt hatte, sondern, wie Bors schrieb, wegen der "unhaltbaren Medienkampagne mit dem Ziel, die Regierungsverhandlungen zu stören".
Wie hält es die FPÖ mit Europa?
So unappetitlich die Vergangenheit einiger FPÖ-Politiker ist, die Gegenwart bereitet Sebastian Kurz genug Sorgen. Vor einer Woche machte die Nachricht von einem Besuch zweier FPÖ-Männer auf der Krim die Runde. Einer davon ist Abgeordneter: Sie erklärten im russischen Fernsehen, die Halbinsel sei russisch. Das entspricht der Linie der FPÖ, die Ende 2016 einen Kooperationsvertrag mit der Putin-Partei "Einiges Russland" abschloss. Kurz erklärte knapp, er habe eine "andere Meinung", laut Medienberichten forderte die ÖVP die Freiheitlichen auf, sich gefälligst an die Leitlinien der EU-Politik gegenüber Russland zu halten. Trotz der Ermahnung wollte Kurz die Koalitionsverhandlungen aber "mit voller Kraft fortsetzen".
Die Gretchenfrage für das schwarz-blaue Regierungsprojekt stellt sich ohnehin nicht auf Russisch. Sie lautet: Wie hältst du es mit Europa? Offiziell hat die FPÖ ihre EU-feindlichen Positionen geräumt und fordert in voller Eintracht mit Kurz mehr Souveränität für die Mitgliedstaaten. Im EU-Parlament arbeiten die Freiheitlichen aber zusammen in einer Fraktion mit Marine Le Pen und Geert Wilders. Im Interview mit der französischen Zeitung "Le Monde" versprach Kurz vergangene Woche erneut eine "proeuropäische" Regierung frei von jeder Form des Antisemitismus - eine geschickte Formulierung, hat sich doch die FPÖ wie auch andere rechte europäische Parteien längst anderen Feindbildern zugewandt.
Eine Partei der Burschenschafter
Diese Strategie hat dazu beigetragen, dass sich die FPÖ aus der Schmuddelecke befreien konnte. Sie ist allerdings eine stramm rechte Partei geblieben, dominiert von Burschenschaftern. Anders als in Deutschland, wo die Studentenverbindungen weitgehend als bessere Trachtenvereine angesehen werden, spielen sie in Österreich eine große Rolle. Lange Jahre stellte etwa der katholische "Cartellverband" ein wichtiges Personalreservoir für die ÖVP. Die rechten Burschenschaften sind dagegen das "Verbindungsglied zwischen der teils gewalttätigen rechtsradikalen Szene und der demokratisch legitimierten Partei FPÖ", sagt Hans-Henning Scharsach im Gespräch mit n-tv.de. Der Journalist hat in seinem Buch "Stille Machtergreifung" die wachsende Macht der Verbindungen in der FPÖ analysiert. Jörg Haider, der gegen ihre "Deutschtümelei" wetterte, marginalisierte die Burschenschafter, bis Anfang der 2000er-Jahre der Machtkampf mit Strache ausbrach, bei dem Haider unterlag. Strache "brauchte die Burschenschaften als Stütze und hat sie an die Spitze gebracht", sagt Scharsach.
Heute sind laut seinen Recherchen 20 von 33 Bundesparteivorständen in Verbindungen aktiv. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes zählt 20 von 51 Parlamentsabgeordnete zu den deutsch-völkisch Korporierten. Das besondere Merkmal der Burschenschaften, so Scharsach, sei ihre Verfassungsfeindlichkeit: "Sie führen einen Kampf gegen den Wiederbetätigungsparagrafen und für das Großdeutschtum." Unter Wiederbetätigung versteht das österreichische Recht unter anderem die Leugnung des Holocausts. FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer sagte einmal in einem Interview, das "spieße sich mit der Meinungsfreiheit" - ein Grundkonsens in der Partei. Hofers Verbindung, die Schülerverbindung Marko-Germania aus der Kleinstadt Pinkafeld im Burgenland, gab eine Festschrift heraus, in der es hieß: "Unbeschadet ihres Bekenntnisses zum selbständigen Staat Österreich sieht die Burschenschaft das deutsche Vaterland unabhängig von bestehenden staatlichen Grenzen." Hofer selbst trägt beim Wiener Akademikerball traditionell eine schwarz-rot-goldene Schärpe.
Bei der ersten Sitzung des neuen Parlaments machte die FPÖ in Sachen Dresscode allerdings ein Zugeständnis: Anders als in vorigen Jahren verzichteten die Abgeordneten auf die Kornblume am Revers, das Erkennungszeichen der illegalen Nazis in der Zwischenkriegszeit. Für einen kleinen Eklat sorgten sie aber doch: Als Noch-Kanzler Christian Kern von der SPÖ an die Verbrechen der Nazis in der Nacht des Novemberpogroms 1938 erinnerte und ergänzte, "Ausgrenzung, das Suchen nach Sündenböcken und Rassismus" hätten in Politik und Gesellschaft keinen Platz, klatschte das gesamte Haus - nur nicht die Führungsriege der FPÖ.
Quelle: n-tv.de
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