Bundestag macht sich irgendwie arbeitsfähig

  21 November 2017    Gelesen: 610
Bundestag macht sich irgendwie arbeitsfähig
Die erste Bundestagssitzung nach dem Sondierungstheater beginnt unterhaltsam. Parlamentspräsident Schäuble findet den magischen Knopf und verteilt Rüffel, die Parteien rechnen miteinander ab. Dabei sollte es nur um einen Ausschuss gehen.
Was macht ein Parlament, wenn es keine gewählte Regierung hat? Es arbeitet wie sonst auch, sollte man meinen. Schließlich sind Minister auch nur gewählte Abgeordnete, die an der Spitze eines Fachressorts stehen. Doch nach den geplatzten Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen ist vieles anders im politischen Berlin. Und so beginnt die erste reguläre Sitzung des Bundestages nach der Bundestagswahl mit einem lernwilligen Wolfgang Schäuble, der erfreut bekannt gibt: "Ich habe den Knopf gefunden!" Das war bei der konstituierenden Sitzung im Oktober noch anders.

Die ersten Anträge sollen den Bundestag arbeitsfähig machen, indem ein Hauptausschuss mit 47 Abgeordneten eingesetzt wird und die Fraktionsstärken abbildet. Im Grundgesetz ist das Gremium nicht vorgesehen. Das Gezerre um eine neue Regierung könnte sich noch Monate hinziehen, bis dahin gibt es nur die alte, geschäftsführende aus Union und SPD. Der Hauptausschuss übernimmt bis zu einer Regierungsbildung die Arbeit der Fachgremien, die normalerweise die Gesetze ausarbeiten. Daran gibt es von der Linken deutliche Kritik, sie hätten lieber sofort alle Ausschüsse eingesetzt. Aber die anderen Fraktionen inklusive AfD werden ihn annehmen.

Doch zunächst ermöglicht die Betätigung des Mikrofonknopfes dem Bundestagspräsidenten zu mahnenden Worten an die Parlamentarier. "Wir haben eine außergewöhnliche Situation", sagt Schäuble zur gescheiterten Koalitionsbildung, die zwar eine Bewährungsprobe sei. "Aber es ist keine Staatskrise." Die Aufgabe sei groß, aber lösbar. Und dann übt er Kritik: Es müsse zwar möglich sein, sich der Regierungsverantwortung zu entziehen, aber nur wohlbegründet. Jeder weiß, die SPD ist gemeint. Entsprechend kommt der Applaus vor allem von der Union, die seit gestern den möglichen Partner für eine Große Koalition zum Überdenken ihrer Entscheidung drängt.

Die FDP bekommt danach eine kleine Nachhilfestunde in Sachen Demokratie: Für mehrheitsfähige Kompromisse vom Wahlprogramm abzuweichen, sei kein Umfallen und auch keine Profilschwäche. "Nur so lassen sich die notwendigen Koalitionen bilden." Dies erfordere Mut. "Nur so bleibt die politische Entscheidungsfähigkeit gewahrt." Im Umkehrschluss: Die Entscheidung der Liberalen, aus den Gesprächen auszusteigen, war eben nicht mutig und hat zudem das Land zum Teil gelähmt.

"Sie sollten ganz still sein!"

Die folgenden Redebeiträge zeigen, wie interessant diese Legislaturperiode werden könnte: Die Fraktionen gehen relativ rüde aufeinander los, obwohl es eigentlich um den Ausschuss geht. Den Anfang macht Carsten Schneider von der SPD, der zusagt, die restlichen Gremien würden in den kommenden Wochen eingesetzt. Die geschäftsführenden Minister seiner Partei würden sich nicht "vom Acker machen", wie so manche andere in den letzten Tagen. Eine klare Kritik an den Liberalen. FDP-Fraktionschef Christian Lindner ruft sogleich dazwischen, aber Schneider weist ihn vom Pult aus zurecht: "Sie sollten hier ganz still sein, sie sind der Lars Windhorst der deutschen Politik!" - ein als windig verrufener Internetunternehmer der 90er Jahre.

Bernd Baumann von der AfD droht danach mit leicht bebender Stimme, "die Zeit parlamentarischer Rücksichtsnahme gegenüber einer Regierungsbildung" werde begrenzt sein. Falls es um wichtige Gesetze gehe, "behalten wir uns vor, alle nötigen Fachausschüsse umgehend einzufordern. Umgehend".

Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, stimmt in seiner Redezeit irgendwie auch zu: "Was nicht gehen wird ist, dass über fünf, sechs, sieben Monate mit diesem Provisorium gearbeitet werden kann." Dann pöbelt er in Richtung der Sozialdemokraten, sie würden unter dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS leiden, da sie ja nur auf die Wahlergebnisse gewartet hätten, um "die Flinte feige ins Korn zu werfen". Die SPD hatte eine Regierungsbeteiligung an einer Großen Koalition nach dem historisch schlechtesten Bundestagswahlergebnis von 20,5 Prozent kategorisch ausgeschlossen.

Jan Korte von der Linken nahm die Vorlage danach dankbar auf. "Das war der Witz der Woche, dass ausgerechnet die FDP anderen vorwirft, ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zu haben, und sich davon frei sieht. So viel Humor muss man haben nach dem Wochenende." Da applaudiert auch die SPD-Fraktion. Zum Ausschuss kritisiert Korte, es sei nicht effizient, wenn ein Gremium von 47 Abgeordneten die Arbeit aller erledigen soll. Es stünden viele Entscheidungen an, in Klima und Außenpolitik etwa, die das Parlament nun parteiübergreifend übernehmen könne, solange es eine nur eingeschränkt handlungsfähige geschäftsführende Regierung gibt.

Interessant auch die Haltung der Grünen: Die hatten 2013, als erstmals ein solcher Ausschuss eingesetzt wurde, mit der Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt noch dagegen gestimmt. Die künftige Koalition verwandle das Parlament "zum Abnickverein, statt ordentliche parlamentarische Beratung zu ermöglichen", sagte Göring-Eckardt damals. Der Antrag auf den Hauptausschuss kam diesmal allerdings unter anderen von den Grünen - vor zwei Wochen, als sich die Partei noch Hoffnungen auf eine Jamaika-Koalition machte. Die wurden enttäuscht, weil die FDP ausstieg. Britta Haßelmann steht nun da und versucht sich in einer Erklärung: Der Ausschuss sei gar nicht die Präferenz der Grünen. Aber in der kommenden Woche, da werde ja eh neu diskutiert.

Quelle: n-tv.de

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