Gabriel ist derzeit nur geschäftsführender Außenminister. Wenn die SPD auf ihrem Parteitag in dieser Woche beschließt, mit der Union über die Bildung einer Regierung zu sprechen, könnte es darauf hinauslaufen, dass er sein Amt behält. Man täte ihm allerdings Unrecht, verstünde man die Rede als Bewerbung. Gabriel skizziert darin, wie Europa im Spiel der Großen mitmischen sollte, wie er sich das europäische und deutsche Verhältnis zu den USA und Russland vorstellt und wie Deutschland auf Frankreich reagieren sollte. Ein Überblick.
Europa
An den Anfang seiner Rede stellt Gabriel eine Diagnose. Europa sei nicht als weltpolitischer Akteur gegründet worden, sondern um Frieden und Wohlstand im Inneren zu bewahren. Und noch immer sei die EU "kein echter Faktor in der Welt". Doch "nun merken wir, dass es selbst bei großer wirtschaftlicher Prosperität in unserem Land keinen bequemen Platz an der Seitenlinie internationaler Politik mehr gibt". Deutschland und Europa müssten einsehen: "Entweder wir versuchen selbst, in dieser Welt zu gestalten, oder wir werden vom Rest der Welt gestaltet."
Um ihre Macht entfalten zu können, müsse die EU ihre Interessen klar definieren. Einer allein deutschen Außenpolitik erteilt Gabriel eine Absage. Es sei ein Fehler zu glauben, die EU führe zum Verlust nationaler Souveränität. "Diese Form der nationalen Souveränität gibt es in der Welt von heute und von morgen nicht, wir erringen sie zurück über den Umweg der Europäischen Union." Es sei kaum zu ertragen, "in welcher Art und Weise sich in Deutschland die berühmte Nettozahler-Diskussion verfestigt hat". In Wahrheit sei die Bundesrepublik ein Netto-Gewinner.
Gabriel verschweigt nicht, dass die neue Rolle Europas ungemütlich werden kann. "Wir müssen handeln, auch wenn jedes aktive Vorgehen ein Risiko in sich birgt: das Risiko des Scheiterns. Dieses Risiko werden wir uns nicht länger ersparen können. In der Vergangenheit haben wir es den USA überlassen. Wenn's schief ging, hatten wir jemanden, auf den wir mit dem Finger zeigen konnten."
USA
Über die Vereinigten Staaten sagt Gabriel, deren globale Dominanz werde "langsam Geschichte". Für die USA unter Donald Trump sei die Welt keine globale Gemeinschaft, "sondern eine Arena, eine Kampfbahn, in der Nationen, nichtstaatliche Akteure und Unternehmen um Vorteile ringen". Aber auch nach Trump werde das Verhältnis der USA zu Europa nicht wieder das werden, was es einmal war, argumentiert Gabriel, dafür werde schon die Veränderung der Demographie in den USA sorgen: In absehbarer Zeit werde die Mehrheit der Amerikaner keine europäischen, sondern lateinamerikanische, asiatische oder afrikanische Wurzeln haben.
Drei Beispiele führt Gabriel an, bei denen Europa mit den USA über Kreuz liegen, darunter das Atom-Abkommen mit dem Iran und die Frage, ob Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt werden solle. An erster Stelle nennt Gabriel jedoch die Sanktionen gegen Russland, die der US-Kongress im Sommer verabschiedet hat. Diese zielten auch auf Gas-Pipelines von Russland nach Deutschland. "Diese Sanktionen gefährden unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen existenziell."
Russland
Gabriel erwähnt in seiner Rede nicht, dass auch osteuropäische EU-Staaten diese Pipelines als Problem ansehen. Aber mit Blick auf Russland sagt er: "Es kann keine deutsche Ostpolitik mehr geben, es muss zwingend eine europäische Ostpolitik sein. Wir können erfolgreiche Ostpolitik nur gestalten, wenn unsere neuen Nato- und EU-Partner in Mittel- und Osteuropa mit an Bord sind."
Russland wirft er vor, im Ukraine-Konflikt das Völkerrecht gebrochen zu haben. Zugleich wirbt er für eine neue Entspannungspolitik, für Rüstungskontrolle und Abrüstung. "Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Frage, ob wir Russland für die Rückkehr zu einer regelgestützten Ordnung gewinnen können, die in Europa so lange den Frieden gesichert hat."
Die europäischen Sanktionen gegen Russland sieht Gabriel als richtig an, ebenso jedoch Gespräche mit Moskau. "Es wäre zum Beispiel ein großer Fortschritt, wenn wir uns mit Russland auf eine tragfähige Blauhelmmission der Vereinten Nationen verständigen könnten, um endlich in der Ostukraine einen dauerhaften Waffenstillstand und den Rückzug schwerer Waffen durchzusetzen." Gabriel betont, erst nach der Durchsetzung eines dauerhaften Waffenstillstandes könne Europa "erste Schritte für den Abbau von Sanktionen auf den Weg bringen".
Das Beispiel Syrien
Dass heute noch fehlende "Machtprojekt" der EU habe dazu geführt, dass überall dort, wo sich die USA zurückgezogen hätten, keine Hinwendung zu Europa erfolgt sei, sondern zu anderen Staaten, "von denen operationalisierte Macht weit eher erwartet wird". Im Nahen Osten sei dies Russland, in Afrika China.
Bezogen auf Syrien heißt das nicht, dass Gabriel für ein militärisches Eingreifen Europas plädiert - er nutzt die Situation dort als Beispiel, dass auch ein europäisches Nicht-Handeln Folgen hat. Es sei richtig, dass Europa in Syrien auf eine politische Lösung poche, so der Außenminister. "Dennoch: Nach fast sieben Jahren Krieg können wir nicht die Augen davor verschließen, dass andere Akteure währenddessen am Boden Fakten geschaffen haben, oftmals jenseits aller etablierter Normen und im Widerspruch zu unserer Moral, aber leider mit hoher Effektivität."
Frankreich
Die Welt sehe Europa als "reich, aber schwach" an. "Das verlockt zu Internationen und Manipulationen." Erste Schritte, um dies zu ändern, seien unternommen worden: die verstärkte verteidigungspolitische Zusammenarbeit, der gemeinsame europäische Grenzschutz. Weitere Schritte müssten folgen. "Ich denke vor allem an die Heilung des oft zitierten Geburtsfehlers der Wirtschafts- und Währungsunion: eine Währung, neunzehn Wirtschafts- und Finanzpolitiken."
Vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron habe hier Vorstöße gemacht. "Die deutsche Haltung zu diesen Initiativen muss die nächste Bundesregierung festlegen. Völlig egal, wie sie aussieht: Das wird im Zentrum der Regierungspolitik stehen müssen."
Gabriel erwähnt Bundeskanzlerin Angela Merkel in seiner Rede nicht, aber er weist darauf hin, dass es mit Blick auf europapolitische Initiativen "zehn zu null für Frankreich" stehe. Das mag so klingen, als unterstütze Gabriel vorbehaltlos, was Macron fordert. Doch so ist es nicht: "Vielleicht muss Frankreich dafür in Finanzfragen etwas deutscher und Deutschland in der Sicherheitspolitik etwas französischer werden."
Quelle: n-tv.de
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