Die Kosten wachsen schneller als der Bau

  26 Januar 2018    Gelesen: 1099
Die Kosten wachsen schneller als der Bau

Das Jahrhundertprojekt Stuttgart 21 wird immer teurer. Die für diesen Freitag geplante Kostensteigerung wird wohl noch höher ausfallen als bislang bekannt. Zudem läuft der Terminplan aus dem Ruder.

 

Die Aufsichtsräte der Deutschen Bahn kommen an diesen Freitag zusammen, um über abermalige Kostensteigerungen und Terminverzögerung bei einem von Deutschlands bekanntesten Bauprojekten zu beraten: Stuttgart 21. Der Umbau des Bahnknotens im Südwesten, der fast 60 Kilometer neue Tunnel unter der baden-württembergischen Landeshauptstadt sowie vier neue Bahnhöfe umfasst, soll nach jüngsten Prognosen 7,7 Milliarden Euro kosten. Erst 2024 sollen die ersten Züge rollen - und damit drei Jahre später als zuletzt von der Bahn prognostiziert. Aber auch das Inbetriebnahmedatum 2021 war Ergebnis mehrerer Terminverschiebungen. Doch damit nicht genug: Nach Informationen der "Stuttgarter Zeitung" und des "Spiegel" sollen sich sowohl die Kosten noch stärker erhöhen, also auch der Zeitplan noch weiter verschoben werden.

Das Magazin berichtet, Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla wolle bei der Aufsichtsratssitzung vorschlagen, den Finanzierungsrahmen um einen Risikopuffer in Höhe von 500 Millionen auf 8,2 Milliarden Euro zu erhöhen. Außerdem solle die Fertigstellung auf das Jahr 2025 terminiert werden. Damit wolle Pofalla ein realistisches Bild der Lage zeigen.

Woher das Geld kommt, ist unklar

In jedem Fall dürfte die Bahnaufseher am Freitag ein Déjà-Vu-Gefühl beschleichen. Es war der Dezember 2012, als die Bahn einräumen musste, dass das bis dato auf 4,5 Milliarden Euro taxierte Projekt 6,5 Milliarden kosten werde. Damals dauerte es bis zur Aufsichtsratssitzung im März 2013, ehe die Aufsichtsräte den neuen Kostenrahmen akzeptierten - allerdings mit der Maßgabe, die Mehrkosten anteilig bei den Projektpartnern einzutreiben. Dazu gehören das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt sowie der Verband Region Stuttgart. Sie alle beteiligen sich mit unterschiedlichen Summen an dem Milliardenvorhaben und sie alle sind der Ansicht, nicht mehr bezahlen zu müssen, als in der 2009 geschlossenen Finanzierungsvereinbarung festgehalten wurde.

Die Bahn ist anderer Ansicht und hat, um die von ihr unterstellten Ansprüche nicht verjähren zu lassen, Ende 2016 die übrigen Projektpartner auf Beteiligung an den Mehrkosten verklagt. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart ist allerdings noch nicht richtig in die Gänge gekommen. Das Gericht räumte den Beklagten eine verlängerte Frist zur Klageerwiderung ein. Fünf Tage nach der Sitzung des DB-Aufsichtsrats läuft diese ab.

Die Politik hält sich bedeckt


In Stuttgart fielen die Wortmeldungen nach dem Bekanntwerden der neuerlichen Kostenexplosion zurückhaltend aus, wohl auch, weil vor Gericht die Frage ausschlaggebend sein dürfte, inwieweit Projektpartner durch öffentliche Äußerungen den Fortgang des Vorhabens erschwert oder gar verschleppt haben. Man sei besorgt und dringe auf eine alsbaldige Fertigstellung, um die von den Bauarbeiten ausgehenden Belastungen für die Bevölkerung zu begrenzen, waren noch die schärfsten Töne, die aus dem grün geführten Rathaus und dem Landesverkehrsministerium zu vernehmen gewesen sind. Auch die Projektgegner, die sich nach wie vor jeden Montag zur Demonstration gegen Stuttgart 21 versammeln, verzeichneten nach Bekanntwerden der Kostensteigerung kaum erhöhten Zulauf bei ihren Veranstaltungen. Zur 400. Auflage der Montagsdemo am 15. Januar kamen immerhin, je nach Zählweise, 1500 (Polizeiangabe) oder 4000 (Veranstalterangabe) Teilnehmer. Zu Hochzeiten des Protests mobilisierten die Demos fünfstellige Zahlen.

Der Kampf gegen das in Teilen der Bevölkerung ungeliebte Vorhaben geht aber nicht nur auf der Straße, sondern auch auf juristischem Wege weiter. Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, hat wiederholt Strafanzeige gegen Verantwortliche in Vorstand und Aufsichtstat des Bahnkonzerns erhoben, weil er im Festhalten am Projekt Untreue erkennt. Zwar hat die Berliner Staatsanwaltschaft auch nach der jüngsten Anzeige die Ermittlungen eingestellt. Doch das will der streitbare Jurist nicht auf sich sitzen lassen. Mitte Januar hat er Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt.

Juristische und geologische Probleme bremsen den Bau


Die Bahn selbst baut unterdessen, da wo sie es darf, weiter an dem Vorhaben. So sind mittlerweile 60 Prozent der Tunnelstrecken vorgetrieben. Schwierigkeiten bereitet ihr aber der Bau der eigentlichen Bahnsteighalle, deren Dach von kühn geschwungenen Betonstützen getragen werden sollen. Weil eine Genehmigung zur Umgestaltung der Fluchtwege fehlt, kann sie an diesen sogenannten Kelchstützen nicht weiterarbeiten. In einigen Tunnelabschnitten, die durch schwierige geologische Formationen führen, geht es langsamer voran als geplant. Und auch die Vorgaben des Artenschutzes bereiten den Planern Probleme. So wartet die Bauherrin auf grünes Licht von der EU, um Bäume fällen zu können, in denen der streng geschützte und durch Stuttgart 21 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordene Juchtenkäfer sitzt. In einem anderen Abschnitt des Projekts harren mehrere Tausend geschützte Eidechsen der Umsiedlung. Weil die Ersatzflächen dafür innerhalb der Stadtgrenzen Stuttgarts liegen müssen, weiß die Bahn nicht, wohin mit diesen Tieren. Und im Abschnitt rund um den Flughafen gehen Umweltschützer und Bürgerinitiativen rechtlich gegen die Baugenehmigung vor.

Kostensteigerungen und Terminverschiebungen haben bei Stuttgart 21 schon fast eine traurige Tradition. Im Jahr 2004 war man noch davon ausgegangen, dass das Projekt am Ende 2,8 Milliarden Euro kosten würde. In der Finanzierungsvereinbarung von 2009 waren dann 4,5 Milliarden Euro Projektkosten fixiert. Die ersten Züge waren schon mal für 2019, dann 2021 und 2023 angekündigt. Nun soll es frühestens 2024 soweit sein. Ob bei den Kosten das Ende der Fahnenstange erreicht ist, ist längst nicht ausgemacht. Ein von S21-Kritikern beauftragtes Planungsbüro sagt Kosten von zehn Milliarden Euro voraus und bewegt sich damit in etwa in dem Bereich, den auch der Bundesrechnungshof für möglich hält.

Die Probleme sind also gewaltig. Die Bahn hofft darauf, dass ein neuer Technikchef das Projekt entscheidend voranbringt. Olaf Drescher, beim Schienenkonzern zuletzt für die Neubaustrecke zwischen München und Berlin zuständig, wechselt in den kommenden Wochen nach Stuttgart. Der Mann ist nicht zu beneiden.

Quelle: n-tv.de


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