Viktor Orbán in Wien: Annäherung zwischen Österreich und Ungarn, oder nicht?

  01 Februar 2018    Gelesen: 1366
Viktor Orbán in Wien: Annäherung zwischen Österreich und Ungarn, oder nicht?
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz hat am Dienstag den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Wien empfangen. Der Politologe Stefan Brocza sieht aber keine Annäherung Österreichs an Ungarn, oder eine von der Opposition beschworene „Orbanisierung Österreichs“.

Im Zug von Budapest nach Wien, mit dem er am Montag angereist ist, ließ Orbán noch ein Video von sich machen, in dem er ankündigte, beide Länder wollten eine Vereinbarung zur Migration treffen. „Wir helfen einander“, heißt es in der Aufnahme, die er auf Facebook veröffentlichte.

Bei dem gemeinsamen Pressetermin, der nach dem Arbeitsessen anberaumt war, sah Orbán Ungarn als Vorbild für ganz Europa: „Bei uns gibt es keine Migranten, Ungarn nimmt niemanden auf. Und dort in Europa, wo es illegale Migranten gibt, müssen sie weg! Wir, Ungarn, stehen zur Verfügung, dabei zu helfen.“

Nähert sich Österreich den Visegrád-Staaten an?


Kurz schloss sich einmal mehr dem Standpunkt Ungarns und der übrigen Visegrád-Staaten an, welche die Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU ablehnen. „Das System funktioniert nicht“, sagte der Kanzler und plädierte für einen verstärkten Kampf gegen illegale Migration und für mehr Hilfe in den Herkunftsländern. Der Wiener Experte für Europapolitik, Brocza, glaubt nicht wirklich daran, dass sich Wien und Budapest bei dem Treffen angenähert haben. Im Gespräch mit Sputnik sagt er:

„Ich glaube, dass die Interessen zwischen Ungarn und Österreich noch immer diametral entgegenstehen. Es ist zwar auf den ersten Blick so, als ob sowohl Ungarn und Orbán als auch Österreich, jetzt unter dem neuen Bundeskanzler Sebastian Kurz, eine Art strenge Anti-Migrationslinie verfahren, Tatsache ist aber, dass Österreich weiterhin als sogenanntes Zielland angesehen wird, also als Land, wo Flüchtlinge – Wirtschaftsflüchtlinge, politische Flüchtlinge – Asyl suchen. Sie wollen eher nach Österreich, sie wollen definitiv nach Deutschland und sie wollen nicht nach Ungarn. Das heißt, wenn ein Migrationsdruck besteht, dann ist Ungarn allenfalls ein Transitland und Österreich ist ein Empfängerland und diese beiden Kriterien kann man nicht wirklich unter einen Hut bringen.“

Natürlich interessiere einen christlich-sozialen und wirtschaftlich orientierten Bundeskanzler die Region der sogenannten Viségrad-Staaten, erklärt Brocza weiter. Österreich habe einige Konzerne, die in dieser Region sehr umtriebig seien: große Versicherungskonzerne, Interessen von großen Banken, die der konservativen Partei nahestehen. „Da sind schwere Wirtschaftsinteressen in diesem Raum drinnen. Natürlich muss er da sagen, er sieht sich als Brückenbauer. Die Frage ist, was will er denn wirklich bauen?”

Wenn man sich die nackten Zahlen anschaue, so Brocza, dann sei Österreich ganz klar westorientiert – wirtschaftlich und auch politisch – und Ungarn eben ein Staat, der bei der letzten Osterweiterung in die EU aufgenommen wurde und aus dem ostkommunistischen Block kommt.

Opposition und Aktivisten kritisieren Orbán-Besuch


Orbáns Umgang mit demokratischen Institutionen brachte der rechtsnationalen ungarischen Regierung  internationale Kritik ein. Auch österreichische Europaabgeordnete von SPÖ und Grünen kommentierten den Besuch kritisch. Für den sozialdemokratischen Fraktionsvize Josef Weidenholzer ist es „kein gutes Signal“, das „Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache den ungarischen Premierminister Victor Orbán als einen der ersten Regierungschefs empfangen und um seine Gunst buhlen.“ Der Europaabgeordnete fragt:

„Ist Ungarn wirklich ein Vorbild für Österreich? Es ist erschreckend, dass Kurz und Strache aus ihrer Bewunderung für den autoritären Regierungschef keinen Hehl machen. Dabei hat Orbán den Bogen längst überspannt.“

Die ungarische Regierung hänge seit Jahren am europäischen Finanztropf. „Die Menschen werden immer ärmer, die Korruption wächst ins Unermessliche und es dominiert eine Politik der Angst.“ Weidenholzer verwies auch auf die Prüfung eines Grundrechteverfahrens nach Artikel 7 gegen Ungarn im EU-Parlament.

Der Politologe Brocza sieht hier auch parteipolitische Interessen am Werke:

„Ungarn ist auf EU-Ebene nicht Everybody‘s Darling und Victor Orbán ist nicht unbedingt die erste Wahl, die man sich aussuchen sollte, um europapolitisch aktiv zu werden. Man bedenke, der Kommissionspräsident Juncker hat Victor Orbán im EU-Rat schon mit ‚Hallo, Diktator‘ begrüßt. Es ist also ganz klar, dass der sozialdemokratische Abgeordnete im Europaparlament Weidenholzer den Besuch jetzt nicht so furchtbar toll findet. Ein Sozialdemokrat aus Wien im EU-Parlament wird natürlich einen christlich-sozialen Kanzler mit einer Mitte-Rechts-Regierung kritisieren.“

Der Delegationsleiter der Grünen im EU-Parlament, Michel Reimon, erklärte:

„Wir haben allen Grund zu befürchten, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz die Orbanisierung Österreichs weiter vorantreibt. Kurz hat sich schon in der Entscheidung der Flüchtlingsaufteilung in Europa auf Seiten der Nationalstaats-Fanatiker geschlagen und dem gemeinsamen Europa den Rücken gekehrt. Unter Kurz und Strache wird die österreichische Ratspräsidentschaft nur auf Abschottung und Rückkehr in die Nationalstaaten abzielen.“

Auch NEOS-Parteichef Matthias Strolz kündigte an, „entschlossen gegen die Orbanisierung Österreichs“ aufzutreten. Am Ballhausplatz protestierten Abgeordnete der Partei mit riesigen EU-Flaggen gegen die Europapolitik Ungarns.

Keine Orbanisierung Österreichs

Brocza sieht keine Orbanisierung Österreichs. Allein die politischen Systeme seien grundverschieden. Es sei auch der Job der Opposition, die Dinge zu dramatisieren. Er verweist ein weiteres Mal auf die unterschiedlichen politischen Interessen: Ungarn sei der höchste Zahlungsempfänger der EU-Mitgliedstaaten. Ungefähr drei bis dreieinhalb Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes (BIP) bekomme Budapest aus Brüssel überwiesen. Österreich sei auf der anderen Seite Nettozahler, es zahle also mehr in das EU-Budget ein als es bekomme. Der Politologe betont:

„Ungarn fordert also, das EU-Budget zu erhöhen, Österreich geht in die EU-Budget-Verhandlungen mit der klaren politischen Ansage, es will weniger einzahlen. Diesen Unterschied kann man nicht durch schöne Sonntagsreden, Bekenntnisse zur Migrationsbekämpfung, —prävention, oder auch in einer gemeinsamen Grundsatzkritik an Angela Merkel überwinden kann. Beim Geld hat noch allemal die Freundschaft zwischen Staatschefs aufgehört. Dazu kommen noch die bilateralen Probleme, die Österreich und Ungarn haben in der letzten Zeit, über die man bei diesem Besuch wohlwollend hinwegschaut.“

Das komplette Interview mit Stefan Brocza zum Nachhören:

Quelle : sputnik.de


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