Was tun gegen Terror bei Massen-Events?

  07 Februar 2018    Gelesen: 1236
Was tun gegen Terror bei Massen-Events?
Terroranschläge auf Fußballspiele und Konzerte mit Tausenden Zuschauern sind ein Schreckensszenario für Sicherheitsbehörden. In Berlin zeigen Experten auf, was sie technisch für möglich und taktisch für nötig halten, um der Gefahr zu begegnen.  

Wie war noch der Endstand? Auf dem Europäischen Polizeikongress in Berlin spricht niemand über das Ergebnis des Champions-League-Finales in Cardiff. Das Spiel zwischen Real Madrid und Juventus Turin ist hier vor allem eines: eine Sicherheitsfrage. Aus Angst vor einem Terroranschlag mit einer Drohne entschied der zuständige walisische Fußballverband FAW im Sommer 2017, das Dach des Millenium Stadiums zu schließen. Derartiges passierte noch nie in der Geschichte dieses Sports.

Cardiff, Paris, Manchester - nach den dramatischen Ereignissen der vergangenen Jahre ist es kein Wunder, dass potenzielle oder tatsächliche Angriffe auf Großveranstaltungen ein bestimmendes Thema unter den Sicherheitsexperten auf dem Kongress darstellen.

Hendrik Große Lefert, Sicherheitsbeauftragter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), macht mit einem einfachen Zahlenspiel deutlich, welch gewaltige Herausforderung vor ihm und seinen Kollegen liegt. Jedes Wochenende gebe es in Deutschland 80.000 Fußballspiele. Allein in erster, zweiter und dritter Liga würden dabei mehr als 21 Millionen Menschen mitfiebern. Lefert setzt vor diesem Hintergrund vor allem auf die Qualifizierung von geeignetem Sicherheitspersonal. Bisher, sagt er, könne sich in Deutschland jeder zum Veranstaltungsleiter erklären - ohne irgendeine Qualifikation. Der DFB setzt darauf, bis in den Nachwuchsbereich ein Zertifizierungssystem von Veranstaltern zu etablieren.

Wie umgehen mit organisierter Ideologie?


Dakar Eilat vom International Institute for Counter Terrorism setzt einen ähnlichen Akzent. "Vor 20 Jahren waren die ersten Profis an einem Anschlagsort Polizisten, jetzt sind es Angestellte von Sicherheitsfirmen." Eilat, der 25 Jahre in den Behörden und der Armee Israels Erfahrung mit Anschlägen sammeln konnte, beschreibt, wie sich insbesondere der islamistische Terrorismus in dieser Zeit gewandelt hat: von "ideologischen Organisationen mit starken Führungsfiguren" hin zu "organisierter Ideologie", die den "individuellen Dschihad" befördern.

Ausschließen ließen sich auch angesichts dieses Phänomens Anschläge nie. Für umso wichtiger hält er es deshalb, darauf gefasst zu sein. Eilat zeigt ein Video des Testspiels der deutschen Nationalmannschaft gegen Frankreich - jenes vom 13. November 2015, als Paris von einer Serie von terroristischen Anschlägen erschüttert wurde. In der Nähe des Stade de France kam es damals zu drei Explosionen, von denen die Zuschauer einige hören konnten.

Panik brach aus, auch weil es keine klaren Verhaltensanweisungen durch die Veranstalter und das Sicherheitsteam gab. Eilat spricht von einem Negativbeispiel und pocht darauf, dass die Veranstalter von Fußballspielen und Konzerten in Abstimmung mit Polizei, Militär und Ersthelfern viel stärker auf standardisierte Vorgehensweisen setzen müssten, um im Fall der Fälle die Situation schnell in den Griff zu bekommen.

Drohnenabwehr für die Großstadt


Viel Raum nehmen auf dem Polizeikongress technische Lösungen ein. Zohar Halachmi von Israel Aerospace Industries (IAI) präsentiert ein System, dass künftig verhindern soll, dass je wieder ein Champions-League-Finale aus Angst vor Drohnen überdacht stattfinden muss. Das System, so verspricht es Halachami, kann in einem Umkreis von 4,5 Kilometern mehrere Drohnen gleichzeitig orten, die Kontrolle über sie übernehmen oder ihre Funktionen blockieren. Mobilfunk-, WLAN- und andere Netze würden dabei nicht gestört. Anders als rein militärische Systeme sei das Modell deshalb auch für den Einsatz in Städten geeignet. Die vollständige Kontrollübernahme einer feindlichen Drohne dauere nur vier Sekunden. Das System ist laut Halachami dazu geeignet, ganze Drohnenschwärme zu entschärfen. Die Möglichkeit des "Hard Kills", des Abschusses, sei selbstverständlich auch eine Option.

Canon präsentiert indes eine Netzwerk-Videokamera mit einer Lichtempfindlichkeit von vier Millionen ISO und zeigt Nachtaufnahmen in einem Wald, die aussehen, als wären sie an einem bedeckten Nachmittag gedreht worden. Selbst in einem düsteren Konzertsaal dürften sich damit einzelne Personen erkennen lassen.

Günther Mull, Geschäftsführer von Dermalog Identification Systems, versucht, die Möglichkeiten und Grenzen der Biometrie aufzuzeigen. Für die Gesichtserkennung reiche es mittlerweile, wenn Augen- und Nasenpartie freilägen, sagt er. Solange sie keine Sonnenbrille tragen, ließen sich so auch vermummte Gefährder identifizieren.

Deutschland ist kein Biometrie-Paradies


Ein ausreichend gutes Foto oder Video vorausgesetzt, wäre auch die Iriserkennung eine Option. Diese sei in etwa doppelt so präzise wie der klassische Fingerabdruck. Mull schwärmt davon, dass sich heutzutage binnen einer Sekunde eine Millionen Augen von Personen abgleichen ließen - auf einem Laptop. Bisher fehlten für einen breiter gefassten Einsatz der Iriserkennung auf Großveranstaltungen aber noch die geeigneten Kameras zu erschwinglichen Preisen. Ihr Potenzial spiele die Technik bisher nur in kontrollierten Licht- und Aufnahmesituationen aus.

Mull klagt jedoch, so wie viele andere Sicherheitsexperten angesichts der gewaltigen technischen Möglichkeiten, über die begrenzten rechtlichen Optionen in Deutschland. "Deutschland ist kein Biometrie-Paradies", sagt er. "Deshalb müssen wir 97 Prozent unserer Geschäfte im Export machen." Mull führt Indonesien, Singapur und Kambodscha als Beispiele dafür an, dass in einigen Ländern schon angewandt wird, worüber in Deutschland wohl noch lange diskutiert werden dürfte. Allerdings nimmt Kambodscha auf dem Rechtstaatlichkeitsindex des World Justice Project auch Rang 112 von 113 ein.

Einige der Experten setzen verstärkt auf Technik und mehr juristischen Freiraum, andere vor allem auf Strategien und Personal - die meisten auf beides. Einig sind sie sich, dass Terrorgefahr kein Anlass sein darf, grundsätzlich auf Großveranstaltungen zu verzichten. Lefert, der Sicherheitsbeauftragte des DFB, nutzt wohl auch deshalb seine Redezeit auf dem Podium, um seine Unterstützung für die Bewerbung Deutschlands um die Austragung der Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2024 zu untermauern.

Quelle: n-tv.de


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