Herr Prof. Diederich, in Berlin sind die Verhandlungen zu einer neuen großen Koalition zu Ende gegangen. Sind Sie erleichtert?
Ich bin weder erleichtert, noch bin ich besorgt. Die Verhandlungen waren ein normaler Prozess. Dass der sich so lang hingezogen hat, war den langen Jamaika-Sondierungen geschuldet. Da hatte die FDP die Flucht ergriffen und einen Scherbenhaufen hinterlassen.
Allerdings muss man jetzt sagen: Drei Parteien, die die letzte Bundestagswahl verloren hatten, haben jetzt einen Vertrag für weitere Jahre geschlossen. Ob man deswegen erleichtert sein sollte, weiß ich nicht. Für die Stabilität der Bundesrepublik ist das zunächst einmal wichtig, aber für die weitere Perspektive der verschiedenen Regierungsparteien ist das mit einem großen Fragezeichen versehen.
In den Ministerien hat es nun einige Verschiebungen gegeben. Das Auswärtige Amt wird laut Medienberichten von einem Außenminister Martin Schulz geleitet werden. Wie sehen Sie diese Personalie?
Zwiespältig. Es ist logisch, dass Schulz, wenn er in die Regierung eintritt, dieses Amt übernimmt. Er hatte die Europafrage bereits im Wahlkampf ganz besonders betont. Andererseits: Wer so vehement immer wieder gesagt hat, unter Frau Merkel werde er in keine Regierung eintreten und jetzt so leichtfertig in eine Regierung geht – das ist problematisch. Ich glaube, dass Schulz mit sehr verminderter Glaubwürdigkeit in dieses Amt hineingeht.
Im Gespräch ist auch, dass Martin Schulz den Parteivorsitz an SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles abgibt. Sie ist auch ehemalige Juso-Vorsitzende. Soll das ein versöhnliches Zeichen an die Jungsozialisten sein?
Wenn es so weit kommt, bedeutet das eine grundlegende Veränderung und eine radikale Verjüngung. Es wäre auch das erste Mal, dass bei der SPD eine Frau an der Spitze stehen würde. Das ist ein Signal an viele jüngere Menschen und führt vielleicht zu der bisher noch nicht vorhandenen Aufbruchstimmung.
Das Finanzministerium geht ebenfalls an die SPD. Hier soll Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz das Spitzenamt bekleiden. Laut Medienberichten könnte er sogar gleichzeitig Vizekanzler werden…
Das ist eine interessante Entscheidung. Aber angesichts des Spektrums der Fähigkeiten im SPD-Personal auch eine richtige Entscheidung. Wenn Scholz bereit ist, das ehrenvolle Amt des Hamburger Ersten Bürgermeisters aufzugeben, ist das ein großes Signal an seine Partei. Es zeigt aber auch, wie hoch die Bedeutung des Finanzministeriums in der Bundesrepublik eingeschätzt wird. Es ist ein großer Zugewinn, wenn die SPD über dieses Ministerium verfügt.
Die Innere Sicherheit ist künftig nicht mehr Sache der CDU, sondern der CSU. Das Innenministerium soll von Horst Seehofer geführt werden und wird zum Superministerium „Inneres, Bau und Heimat“ erweitert.
Es ist keine Überraschung, dass Horst Seehofer nach Berlin wechselt. Er ist kein bayerischer Ministerpräsident mehr. Es war klar, dass er nach den Koalitionsverhandlungen in eine Bundesregierung eintreten möchte. Dass er gerade das aufgewertete Innenministerium bekommt, spricht dafür, dass die CSU bei den Verhandlungen außerordentlich Druck gemacht hat. Was aber das Heimatministerium für Kompetenzen haben wird, ist noch völlig unklar. Es soll der CSU die Möglichkeit geben, dem Wähler zu erzählen: Seht mal, wir sind die Partei, die sich den Deutschen in ihrer Heimat zuwendet. Mit fehlt aber die Phantasie, mir die Aufgabe dieses Ministeriums vorzustellen. Das kann die finanzielle Förderung von Volkstanzgruppen sein – oder aber auch der Aufbau eines Heimatschutzes nach US-amerikanischem Vorbild.
Das Wirtschaftsministerium geht wiederum von der SPD an die CDU. Den Chefposten hier soll Peter Altmaier übernehmen, der bisher Leiter des Bundeskanzleramts war. Genug Erfahrung dürfte er haben, oder?
Definitiv. Außerdem muss die CDU auch langfristig überlegen, wer Angela Merkel einmal ablösen soll. Und zu dem engeren Kreis derjenigen, die es sein könnten, gehört auch Herr Altmaier. Insofern ist es schon gut, dass er ein wichtiges Ministerium bekommt. Man muss aber auch sehen, dass das Wirtschaftsministerium gar nicht so sehr viele inhaltliche Kompetenzen hat. Es ist mehr ein ideologisches Ministerium, das die Beziehungen zur Wirtschaft aufrechtzuerhalten hat. Da ist Peter Altmaier am richtigen Platz.
Entgegen allen Annahmen wird die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht ins Bundeskabinett wechseln. Sie galt als aussichtsreiche Kandidatin, auch als mögliche Kanzlerkandidatin der Union in einigen Jahren. Ist das nun passé?
Das heißt jetzt noch nicht, dass sie dafür ausgeschlossen ist. Die Zahl der Ministerämter ist begrenzt. Und da die CDU wichtige Ämter an SPD und CSU abgeben musste, ist es verständlich, dass erst einmal der innere Kreis um Frau Merkel bedient wird. Das ist aber keine Abwertung gegenüber Frau Kramp-Karrenbauer. Außerdem müssen Sie sehen, dass auch wichtige Kanzlerschaften in der Bundesrepublik aus den Ländern in den Bund gekommen sind, etwa Helmut Kohl. Insofern bleibt Annegret Kramp-Karrenbauer auch Führungsreserve.
Es gibt auch Personal, das die Regierungsbank verlassen muss, so zum Beispiel Außenminister Sigmar Gabriel und Innenminister Thomas de Maizière. Ist es Ihnen schade um diese beiden Personen?
Schade nicht. Aber beide haben in ihrer Art ihre Ämter ordentlich verwaltet. Gabriel hat man geradezu gelobt, nachdem er ins Außenministerium gewechselt ist. Viele Leute trauern jetzt schon seinem Ausscheiden hinterher. Aber Sigmar Gabriel bleibt meines Erachtens Führungsreserve in der SPD. Und er wird in der Bundestagsfraktion sicherlich eine herausgehobene Rolle spielen.
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