Im Süden Mexikos, Anfang Februar. Als der Zug in Pichucalco an Fahrt verliert, kommt die Immigrationspolizei. Die Beamten greifen sich Steine und werfen sie nach den Flüchtlingen auf den Waggons. Carlos* weicht den Brocken aus. Den Ast, der in die Spur des Zuges ragt, übersieht er. Der Flüchtling aus Honduras fällt - fünf Meter in die Tiefe. Sein Bein bricht an drei Stellen. Kinn, Nase und Stirn erleiden heftige Prellungen. Bis Mitarbeiter des Roten Kreuzes Carlos bergen, liegt er neun Stunden im Busch und leidet.
2014 legte die mexikanische Regierung das sogenannte Programa Frontera Sur (deutsch: Programm südliche Grenze) auf. Seither setzen die Migrationsbehörden, Polizei und Militär alles daran, illegale Fahrten von Migranten auf Frachtzügen zu unterbinden. Sie erhöhten die Zahl der Kontrollen. Die Unternehmen, die über Jahre eine kostenlose Infrastruktur für Reisen in Richtung USA für Mexikaner und Migranten aus Zentralamerika stellten, zogen mit. Sie sorgten dafür, dass die Züge schneller fahren, um es den Menschen schwerer zu machen, aufzuspringen. Viele verzichteten auch auf Signaltöne, um den Migranten keine Hinweise auf ihre Ankunft zu geben.
Die Folge: Hilfsorganisationen klagen über einen drastischen Anstieg der schweren Verletzungen und Todesfälle auf den Zügen. Dabei wurden diese schon zuvor "La Bestia" getauft, "die Bestie". Die Organisationen berichten aber auch von einem deutlichen Rückgang der Passagierzahlen. Von der Flüchtlingsunterkunft "La 72", in deren Nähe eine der Hauptrouten beginnt, heißt es, dass vor dem neuen Grenzprogramm der Regierung mitunter 400 Personen auf den Zug aufgesprungen seien. Mittlerweile liege die Zahl bei 50, höchstens 60 Leuten. Was für Menschen wagen den Ritt auf dem Biest noch?
Selbstversuch auf einem Waggon
Ich treffe Carlos in der Unterkunft "La 72". Während die anderen Migranten, die dort Zuflucht gefunden haben, Fußball spielen, lehnt er am Rande des Spielfeldes an einer Wand, den Fuß eingegipst, die Krücken daneben. "Ich hab Morddrohungen bekommen", sagt Carlos. Wie in vielen zentralamerikanischen Staaten wüten auch in Honduras die berüchtigten Banden der Mara Salvatrucha (MS 13). Sie wollten Carlos zwingen, Drogen für sie zu verkaufen. Ich frage Carlos, ob er nicht gewusst hätte, wie gefährlich die Fahrt auf der "Bestie" ist. Er muss schmunzeln, als er antwortet. Vielleicht, weil er selbst weiß, dass er mit seinen 29 Jahren eigentlich zu alt für derartigen Leichtsinn ist: "Klar wusste ich das", sagt Carlos. "Aber ich hätte nie gedacht, dass es mich erwischt." Carlos setzt jetzt alles daran, in Mexiko Papiere zu bekommen. Ein Angebot, in einer Recycling-Anlage zu arbeiten, habe er schon. Aber erstmal muss sein Bein wieder heilen.
Ein Stück weiter nördlich auf der Strecke steige ich selbst auf einen Waggon. Ich will wissen, wie sich das anfühlt. Nicht in voller Fahrt. Vor dem Zementwerk von Macuspane stehen einige der Wagen. Zum Beladen, vermute ich. Solange sie trocken sind, ist es kein Problem, die Metallleitern hinaufzusteigen. Auch die Fläche oben auf den Waggons ist griffig und viel breiter als gedacht. Als etwas später Regen einsetzt, fühlt sich alles schon nicht mehr so sicher an. Und ich kann mir gut vorstellen, wie Stress und Gedränge die Sache verändern, vor allem im müden, ausgehungerten Zustand.
Die Ärmsten unter den Armen
Auf einem der Waggons treffe ich José und seine Kumpel. Sie alle sind Kaffee-, Bohnen- und Maisbauern aus Honduras. Und sie berichten übereinstimmend von den dramatischen Zuständen in ihrer Heimat. Dass Düngemittel teurer wäre als der Ertrag ihrer Ernte zum Beispiel, dass sie Schutzgeld zahlen müssen und in ihrer Heimat schlicht verhungert wären. So arm wie sie sind, könnten sie sich Alternativen zur Bestie einfach nicht leisten, sagen sie. Etwas wohlhabendere und besser vernetzte Migranten setzen auf Busse, Autos und Trucks, um in den Norden zu kommen. Ich habe den Eindruck: Auf der Bestie sind nur noch die Ärmsten unter den Armen unterwegs. Und die Verzweifelten.
Bei meinen Recherchen an den Gleisen treffe ich auch einen Mann, dem das Biest die halbe Hand abgerissen hat. Anders als Carlos mit dem gebrochenen Bein denkt der aber gar nicht daran, sich jetzt in Mexiko einzurichten. Sein Stumpf ist so frisch, dass er ihn noch in Bandagen hüllt. Trotzdem spricht er schon von seinem nächsten Sprung auf die "Bestie". Nach 22 Jahren in den USA wurde er abgeschoben. Seine Frau und Kinder durften bleiben. Der Mann will sie einfach nur wiedersehen.
*Die Redaktion hat die Namen der Flüchtlinge geändert.
Quelle: n-tv.de
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