Einträchtig sitzen sie nebeneinander, der Kanzler und der Vizekanzler der Republik Österreich. Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache absolvieren dieser Tage gemeinsam einen Interview-Marathon, in Dutzenden TV-Sendungen und Zeitungen bilanzieren sie ihre ersten 100 Tage in der Regierung. Man kann sie alle schauen und lesen, ohne auch nur einen Hauch von Meinungsverschiedenheit oder gar Unfrieden zu spüren. Es ist ein sauber choreografierter Paarlauf ohne Fehler.
Dabei lagen in den ersten Wochen immer wieder Stolpersteine im Weg. Die meisten hat die FPÖ selbst dorthin gerollt: die Skandale um Antisemitismus in den Burschenschaften; die Affäre um eine fragwürdige Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz, die dem FPÖ-geführten Innenministerium einen Untersuchungsausschuss einbrocken wird; die heftige Debatte um das Ende des Rauchverbots, das Kurz den Freiheitlichen als Zuckerl für die Unterschrift unter den Koalitionsvertag schenkte. Doch der Kanzler, der sein Jura-Studium nicht beendet hat, hat längst seinen Meister in politischer Kommunikation gemacht: Die Skandale und Skandälchen streifen nicht an ihm an, die Erfolge heftet er sich weithin sichtbar an die Brust.
Und ganz nebenbei hat er die ersten 100 Tage fast unbemerkt für einen Umbau im Staatsapparat genutzt, der ihm eine Beinfreiheit verschafft, wie sie ein österreichischer Kanzler normalerweise nicht hat. Der bekannteste Fernsehjournalist Österreichs, Armin Wolf, verstieg sich in seiner Bilanz des schwarz-blauen Starts sogar zu einem wagemutigen Vergleich: Kurz sei der mächtigste Kanzler seit Bruno Kreisky - dem legendären Sozialdemokraten, der in den 70ern mit absoluter Mehrheit regierte und den sie den "Sonnenkanzler" nannten.
Die "Bewegung" macht unabhängig
Kurz' Ruf als politisches Ausnahmetalent gründet sich auch auf seinem strategischen Weitblick. Im Mai 2017 hatte er die ÖVP übernommen - unter seinen Bedingungen: Er sicherte sich ein Durchgriffsrecht bis in die Landeslisten, rief eine "Bewegung" aus und benannte die Partei um in "Liste Kurz - Die neue Volkspartei". Das ermöglichte dem Wahlkämpfer Kurz, der jahrelang der verhassten Großen Koalition angehörte, die Kampagne eines Außenseiters. Dem Kanzler Kurz garantiert es eine eigene Machtbasis, unabhängig von den ÖVP-Landesfürsten.
"Er hat als erster ÖVP-Kanzler ein handverlesenes Team", sagt Politikberater Daniel Kapp im Gespräch mit n-tv.de. Kapp war bis 2011 Sprecher von Kurz' Vor-Vor-Vorgänger als Parteichef, Josef Pröll. Er hat seine eigenen Erfahrungen gemacht mit Ministern, die lieber ihren Landes-Parteichefs folgten als ihren Kanzlern. Anders als in Deutschland hat der Regierungschef in Österreich keine Richtlinienkompetenz, Minister haben ein Vetorecht. Kurz berief nicht nach Länderproporz, sondern vor allem unerfahrene Quereinsteiger, eingehegt durch Kabinettchefs seines Vertrauens. "Kurz kann stärker koordinierte Politik machen, weil die Interessen der Länder nicht in den Bund durchschlagen", meint Kapp. Alleingänge a lá Spahn oder Seehofer sind in Wien ebenfalls völlig undenkbar. "Message Control" heißt das Zauberwort - angeblich gehen sogar alle Interviews von Ministern über den Tisch von Kurz' Presseleuten.
Auch im Parlament sitzen viele ÖVP-Abgeordnete von Kurz' Gnaden, die er auf absolute Koalitionstreue eingeschworen hat. Ihre Feuerprobe hat die Kanzlergarde in dieser Woche bei der Abstimmung zum Stopp des Rauchverbots bestanden: Obwohl einige Parlamentarier Bedenken angemeldet hatten, enthielt sich nur ein einziger ÖVP-Mann seiner Stimme, der Rest stimmte für das Herzensprojekt des Koalitionspartners von der FPÖ.
n-tv
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