Andrej Hunko (Linke): Wenn Katalonien in Russland oder Venezuela läge …

  04 April 2018    Gelesen: 2520
Andrej Hunko (Linke): Wenn Katalonien in Russland oder Venezuela läge …

Der katalanische Ex-Präsident Carles Puigdemont soll aus der deutschen Haft nach Spanien abgeschoben werden. Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, war selbst beim katalanischen Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017 dabei und kritisiert im Sputnik-Interview das Verhalten der EU und der Bundesregierung.

Herr Hunko, der katalanische Ex-Präsident Carles Puigdemont soll von Deutschland an die spanische Justiz übergeben werden. Ist das soweit erst einmal rechtens?

Grundlage ist der Europäische Haftbefehl. Der wurde Anfang der 2000er Jahre eingeführt mit der Vorstellung, dass alle EU-Staaten vollendete Rechtsstaaten sind. Das ist also die Rechtsgrundlage für diese Abschiebung. Aber, wie auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages auf eine Anfrage von mir im November verlautbaren ließ: Wenn politische Verfolgung droht oder Grundrechte in Gefahr sind, muss nicht ausgeliefert werden.

Wie Belgien bewies, das Puigdemont nicht auslieferte. Warum nun von Deutschland?

Es ist offensichtlich so, dass verschiedene EU-Staaten anders mit dem Europäischen Haftbefehl umgehen. Belgien, Finnland, Dänemark, Schweden, auch die Schweiz haben katalanische Politiker, die mit Europäischem Haftbefehl gesucht werden, nicht ins Gefängnis gesteckt. In Belgien wurde im Falle Puigdemonts argumentiert, dass der Straftatbestand der Rebellion, auf den in Spanien dreißig Jahre Haft stehen, in Belgien kein Straftatbestand ist, wie übrigens auch in keinem anderen EU-Land. In Deutschland hat man nun eine Hilfskonstruktion gebildet, dass dies analog wäre zum deutschen Straftatbestand des Hochverrats. Mir scheint, in Deutschland ist dies eine politische Entscheidung, weil die Bundesregierung mit der spanischen Regierung sehr eng kooperiert.

Wenn Deutschland so eng mit Spanien kooperiert, wäre der Katalonienkonflikt doch eine gute Gelegenheit, als Vermittler aktiv zu werden? Zumal Deutschland wieder ein Global Player werden will.

Das fordere ich bereits seit dem 1. Oktober, als ich das Referendum in Katalonien vor Ort beobachtet habe und auch Zeuge wurde des doch recht martialischen Einsatzes der spanischen Polizei gegen die Menschen, die abstimmen wollten. Aber offensichtlich behandelt die Bundesregierung dies nur sehr widerwillig. Die deutsche Regierung stellte sich voll auf die Seite von Rajoy (Mariano Rajoy, Ministerpräsident Spaniens — Anm. d. Red.) und war nicht einmal bereit, diesen Polizeieinsatz zu verurteilen. Man sieht dies als innerspanische Angelegenheit.

Solche Gewaltanwendung wird nun mit dem Vorwurf der „Rebellion“ indirekt Puigdemont selbst vorgehalten. Wird er in Spanien ein faires Verfahren erwarten?

Ich fürchte, eher nicht. Die Anklage fußt in erster Linie auf dem Vorwurf der „Rebellion“. Das ist ein spezifisch spanischer Straftatbestand. Das nun gegen die friedliche Bewegung in Katalonien anzuwenden, halte ich für völlig unangebracht, da es zu keiner Gewaltanwendung seitens der Katalanen kam. Das wird auch in Spanien kritisiert.

Ich traue der spanischen Justiz hier nicht ganz. Man muss sagen, Spanien ist nur eingeschränkt ein Rechtsstaat. Spanien ist in Bezug auf die Unabhängigkeit seiner Justiz oft vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden und liegt im World Justice Index auf den hinteren Plätzen in Europa.

Auch die EU hält sich bisher als Vermittler in diesem Konflikt zurück. Europa scheint Separatismus zu fürchten wie die Pest…

Ja, es gibt eine große Nervosität. Ich konnte das auch auf europäischer Ebene beobachten, als ich das Thema im Europarat ansprach. Wir haben hier einen Konflikt mitten in Europa, der schwelt. Wenn der in Russland oder Venezuela stattfinden würde, würde man sicher ganz aktiv werden. Aber mitten in Europa versucht man, das zu ignorieren.

Die Angst, die dahinter steht, ist, einen Präzedenzfall zu schaffen. Es gibt noch mehr Unabhängigkeitskonflikte, im Baskenland, in Korsika oder in Schottland. Man fürchtet, wenn man den Katalanen entgegenkommt, kann man den Prozess nicht mehr kontrollieren.

Wir stellen die Grenzen in Europa nicht infrage. Aber wenn die Menschen sie selbst infrage stellen, müssen wir uns dazu politisch verhalten und Lösungen suchen und nicht versuchen, diese Konflikte mit autoritären Mitteln zu unterdrücken.

sputniknews


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