Macron zeigt Berlin, wie es geht

  06 April 2018    Gelesen: 1713
Macron zeigt Berlin, wie es geht

Der neue Bundestag ist größer und teurer als jemals zuvor, aber ist er auch besser? Daran gibt es Zweifel. Mit einer Reform tun sich die deutschen Parteien bisher jedoch schwer. Die französische Regierung ist weiter.

 

Nicht nur in Hintergrundgesprächen betonen viele Abgeordnete des deutschen Bundestags eines besonders gern: Der parlamentarische Treiben im Bundestag hat mit der Lage und den Problemen draußen in ihren Wahlkreisen oft nur wenig zu tun. Käseglocke Berlin. Es gibt viele Klischees über den Politikbetrieb in der Hauptstadt. Bei vielen Wählern gibt es eine gewisse Neigung, sich von der Politik negativ bestätigt zu sehen. Dazu gab es auch zuletzt Anlass. Mehr Abgeordnete, mehr Mitarbeiter, höhere Diäten - alles wird immer teurer. Ein aufgeblähter Apparat.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble kündigte zuletzt an, dass er das Wahlrecht reformieren wolle. Seinem Vorgänger Norbert Lammert gelang dies nicht, er scheiterte an der mangelnden Bereitschaft der Parteien. Berlin könnte sich ein Beispiel an Emmanuel Macron nehmen. Der französische Präsident war nicht nur mit seiner Europa-Initiative einen Schritt schneller, er ist es auch in anderer Hinsicht. Macron will das Wahlrecht seines Landes grundlegend ändern. Ab der nächsten Parlamentswahl 2022 soll die Anzahl der Abgeordneten um 30 Prozent sinken. In der Nationalversammlung würden dann statt bisher 577 nur noch 400 Volksvertreter sitzen, im Senat 244 statt 348. Abgeordnete und Bürgermeister sollen außerdem maximal dreimal in Folge gewählt werden können.

Macron will auf diese Weise die politische Kultur Frankreichs verändern. Mit dem Präsidenten des von der Opposition dominierten Senats hat er sich bereits verständigt. Wenn die Reform gelingen sollte, würde Macron eines seiner Wahlversprechen einlösen. Auch wenn die Pläne im Nachbarland noch nicht umgesetzt sind, in der Bundesrepublik dürften sie aufmerksam zur Kenntnis genommen werden. Der Bundestag hatte bis 1990 weniger als 500 Parlamentarier. 1996 wurde die Soll-Größe auf 598 beziffert. Nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 kletterte die Zahl von 630 auf 709. Die Gründe waren die zwei neuen Fraktionen von AfD und FDP sowie Überhang- und Ausgleichsmandate.

Angst vor "Reise nach Jerusalem"


Laut dem Bund der Steuerzahler entstehen damit zusätzliche Kosten von 75 Millionen Euro pro Jahr und insgesamt mehr als 200 Millionen bis 2021. Schäuble hat die Kritik an den steigenden Kosten zuletzt zurückgewiesen. Wenn das Parlament seine Aufgaben gut erfülle, sei es das wert. Sein Vorgänger Norbert Lammert hatte eine andere Meinung. Mit der wachsenden Zahl der Sitze verbessere sich nicht die Funktionsfähigkeit des Parlaments, sagte er. Dass der Bundestag erheblich wachsen und der größte aller Zeiten werden würde, hat sich seit Langem angekündigt.

Lammert wollte deshalb eine Kappungsgrenze im Grundgesetz verankern und die Zahl der Sitze auf 630 begrenzen. Er stellte einen Reformvorschlag vor, scheiterte damit jedoch. Schon im Frühjahr 2016, knapp eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl, betonten die ersten Vertreter der Parteien, dass es in der laufenden Legislaturperiode eng werden könnte. Union und Sozialdemokraten machten sich schließlich gegenseitig für das Scheitern verantwortlich. Der damalige SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann plädierte dafür, das Wahlrecht nach der Bundestagswahl zu reformieren.

Kann Schäuble schaffen, woran sein Vorgänger scheiterte, sind die Parteien dafür überhaupt bereit? Die größte Schwierigkeit ist offensichtlich: Eine Reform erfordert eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit. Mindestens 470 der 709 Abgeordneten müssten etwas beschließen, was das Risiko des Mandatsverlusts jedes Einzelnen bei der nächsten Bundestagswahl erheblich erhöhen würde. Die Existenzangst der Parlamentarier wäre dann vergleichbar mit dem Spiel "Reise nach Jerusalem". Eine Reform des Wahlrechts könnte nicht nur die Größe des Parlaments neu regeln, sondern auch die Amtsperioden des Regierungschefs begrenzen, wie dies in den USA bereits der Fall ist. Jetzt hätten Union und SPD Zeit, sich auf ein Modell zu verständigen. Der Spielraum für eine Einigung sei relativ klein, deutete Schäuble zuletzt an.

Die alten und neuen Regierungsparteien wurden bei der Wahl im September erheblich abgestraft. Nicht "Weiter so", sondern "Wir haben verstanden" - das ist das inoffizielle Motto der Koalitionäre. Eine Wahlrechtsreform könnte da eine passende Geste sein. Sie würde zugleich Stärke und Bescheidenheit demonstrieren und könnte helfen, bei den Wählern Vertrauen zurückzugewinnen.

Quelle: n-tv.de

 


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