Ein Fahnenmeer aus Rot, Weiß, Grün, jubelnde Menschenmassen, laute Musik - ein pompöser Aufmarsch. Der ungarische Ministerpräsident hat zur zentralen Wahlkampfveranstaltung am bedeutendsten Nationalfeiertag Ungarns, dem 15. März, eingeladen. Auf dem Kossuth Platz in Budapest drängen sich tausende seiner Anhänger und erwarten gespannt seine Worte. Dann gehört die Bühne nur noch einem: Viktor Orbán.
Mit kämpferischer Rhetorik und viel Pathos prophezeit der Regierungschef den Untergang des Landes, falls es sich nicht gegen die "bösartigen und listigen Feinde" wehre: EU-Bürokraten, ausländische Medien und ein angebliches Netzwerk aus Spekulanten, Aktivisten und NGOs. Die Bedrohung sieht er in einer "Invasion von Flüchtlingen", die von US-Milliardär George Soros gesteuert sein soll.
Orbáns eindringliche Rede fasst den Kern der Wahlkampfstrategie seiner rechts-nationalistischen Fidesz-Partei für die bevorstehende Parlamentswahl am 8. April zusammen. Orbán setzt für den Machterhalt auf die bewährte Mischung aus Anti-Flüchtlings-Kampagnen, EU-Kritik und Angstmacherei. Er gibt den aufopfernden Beschützer christlicher und ungarischer Werte, erweitert aber gleichzeitig seinen Einflussbereich und gestaltet Ungarns Gesellschaft, Medien und Wahlrecht in seinem Sinne um. Wie viele autoritäre Machthaber, beschneidet er politische Freiheitsrechte, um seinen Machtapparat weiter auszubauen. Dass Ungarn zumindest an der Schwelle zu einem autokratischen System steht, dämmert mittlerweile dem letzten Skeptiker.
Das Land ist tief gespalten und trotzdem ist Orbán kaum noch von der Führungsspitze Ungarns wegzudenken. Dennoch steht seine Regierung wenige Tage vor der Wahl unter Druck. Korruptionsvorwürfe, eine verlorene Bürgermeisterwahl und immer lauter werdende Proteste lassen Orbán und seine Fidesz-Partei um ihre Mehrheit bangen.
Orbáns "Lieblingsfeind"
Seit 2010 höhlt Orbán stetig den ungarischen Rechtsstaat aus und setzt die Hebel an den Grundfesten der Demokratie: Er schrieb die Verfassung um und gestaltete das Rechtssystem neu. Demnach darf zum Beispiel das Verfassungsgericht Gesetze nur noch formal prüfen, aber nicht auf ihren Inhalt hin. Zudem veränderte er ein Jahr nach Regierungsantritt das Wahlsystem zugunsten seiner Fidesz-Partei. Das neue System begünstigt klar die größte Partei, indem 106 der 199 Sitze im Parlament durch Direktmandate vergeben werden. So erhielt Fidesz 2014 dank der 96 gewonnenen Direktmandate eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, obwohl die Partei bei der Wahl nur insgesamt 44,11 Prozent der Stimmen erhalten hatte.
Auch die Pressefreiheit hat Orbán rigoros beschnitten, indem er die meisten Medien weitgehend unter staatliche Kontrolle gebracht hat. Redaktionen und Sender sind zu großen Teilen in Besitz politischer Freunde. Kritische Stimmen werden so einfach mundtot gemacht. Die internationale NGO Freedom House stufte Ungarns Pressefreiheit bereits 2011 herunter, nachdem das restriktive Mediengesetz verabschiedet worden ist. Seitdem berichten die Staatsmedien sehr einseitig über muslimische Flüchtlinge und unverhältnismäßig viel über eine mögliche Terrorgefahr. Fast täglich ist in den regierungsnahen Zeitungen zu lesen, wie Immigranten Unschuldige angeblich bedrohen, vergewaltigen und ermorden sollen.
Neben Flüchtlingen werden auch vermeintliche Gegner und Andersdenkende mithilfe der Orbán-freundlichen Medien diskreditiert und als Feinde stigmatisiert. Den ungarisch-stämmigen US-Milliardär George Soros hat Orbán dabei zu seinem "Lieblingsfeind" auserkoren. Dem 87-Jährigen wirft Orban in einer Verschwörungstheorie vor, er wolle mit seinem "Soros-Plan" Europa mit Millionen illegaler Migranten überfluten. Wenn Organisationen, die von Soros Finanzhilfe erhalten, der Regierung Korruption oder Menschrechtsverletzungen vorwerfen, dann werden sie sogleich als "Agenten" oder als "Mafia-Netzwerk" geschmäht. Plakate, Fernsehkampagnen, Radioprogramme: Alle berichten über Soros' "diabolische Pläne", mithilfe seines Reichtums Ungarn und Europa vernichten zu wollen.
Aus Freunden werden Feinde
Während Orbán gegen Soros und verhasste Spekulanten und Oligarchen wettert, machen immer mehr Enthüllungen Schlagzeilen, die ihn und seine Vertrauten in eben deren Reihen rücken lassen. Ein Skandal folgt dem anderen: Der Wohlstand in Orbáns Heimatgemeinde soll sich auf wundersame Weise vermehrt haben, sein Vertrauter Lörinc Mészáros sei zu enormen Reichtum gelangt und Staatssekretär Zsolt Szabó verfüge über ein millionenschweres Offshore-Konto, berichten kritische Medien.
Zuletzt erhebt die ungarische Tageszeitung "Magyar Nemzet" (Das Ungarische Volk) Anfang der Woche schwere Vorwürfe gegen die Regierung: Sie soll Milliarden von EU-Geldern veruntreut haben. Der Bericht stützt sich dabei auf Erkenntnisse der US-Bundespolizei FBI. Mittelsmänner sollen in den vergangenen Jahren drei bis vier Milliarden Euro an EU-Geldern von ungarischen Banken abgehoben und dann in Form von Diamanten außer Land gebracht haben.
Das konservative Blatt gehört zum Imperium von Lajos Simicska. Der ungarische Medienmogul und Orbán waren ursprünglich ein enges Team, sind inzwischen aber zu Intimfeinden geworden. Die Zeitung hat in den vergangenen Wochen immer wieder mit Enthüllungsberichten für Aufsehen gesorgt. So berichtete sie über eine Luxusrentierjagd von Vizepremier Zsolt Semjén.
Die Korruptionsvorwürfe reichen sogar bis in den engsten Familienkreis Orbáns. Die Spuren führen zu einer Firma namens Elios, an der früher Orbáns Schwiegersohn beteiligt war. Sie soll von 2009 bis 2014 regelwidrig Dutzende Aufträge für die von der EU geförderte Erneuerung der Straßenbeleuchtung erhalten haben. Medienberichten zufolge spricht die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf von "einem organisierten Betrugsmuster" und empfiehlt der EU-Kommission die Rückforderung von mehr als 40 Millionen Euro.
Risse in der Fassade
Die schiere Masse und Schwere der Vorwürfe entwickelte reichlich Sprengkraft: Das von den regierungsnahen Medien sorgsam gepflegte Image Orbáns als besorgter Landesvater beginnt allmählich zu bröckeln. Und für Staatschef wird es immer schwieriger, das aufkommende Bild eines gierigen und korrupten Machthabers zu entkräften. Für die Wähler entsteht mehr und mehr der Eindruck eines Landes, in dem sich eine kleine Gruppe um den Regierungschef bereichert.
Dieses Bild schlug sich auch in der Bürgermeisterwahl in Hódmezövásárhely nieder. In der Fidesz-Hochburg setzte sich die Opposition überraschend gegen den Kandidaten der Regierungspartei durch. Ein Tiefschlag für den Ministerpräsidenten - nicht zuletzt weil Hódmezövásárhely die Heimatstadt von Orbáns engem Vertrauten und Bürochef János Lazár ist. Zudem sehr beunruhigend für seine Partei, da die Bürgermeisterwahl als Stimmungsbarometer für die anstehende Parlamentswahl gilt. Fidesz rechneten fest mit einem Sieg, doch dann stieg die Wahlbeteiligung sprunghaft an und ihr Kandidat verlor. Das Lager der Nichtwähler hatte sich offenbar mehrheitlich für den Oppositionskandidaten entschieden.
Beim Urnengang am 8. April könnte also nicht nur das angeschlagene Image, sondern auch der Faktor der Wahlbeteiligung entscheidend für Orbán sein. Wenn sich Teile der Nichtwähler (in Ungarn sind das ungefähr 30 Prozent) auf die Seite der Oppositionsparteien stellen sollten, könnte es für den Ministerpräsidenten eng werden. Denn die Wahl in Hódmezövásárhely hat gezeigt, dass auf die Umfragen der heimischen Meinungsforschungsinstitute anscheinend nicht unbedingt Verlass ist und sie sich auch durchaus bei der kommenden Wahl irren können – die meisten sehen Fidesz an diesem Sonntag bei soliden 50 Prozent.
Ob die Partei eine Zweidrittelmehrheit, wie bei den Wahlen 2010 und 2014 holen wird, bleibt daher ungewiss. Die Korruptionsvorwürfe und Enthüllungen über mögliche illegale Machenschaften seiner Freunde, dürften auch an einem Viktor Orbán nicht spurlos vorbeigegangen sein. Denn während er Oligarchen und Spekulanten in seiner letzten wichtigen Rede vor dem entscheidenden Sonntag scharf kritisiert und verurteilt, fällt es dem ungarischen Ministerpräsidenten zunehmend schwer sich von eben diesen Kreisen zu distanzieren.
Quelle: n-tv.de
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