„Der Menschenhandel wird oft als moderne Sklaverei bezeichnet, aber das Phänomen, mit dem wir es zu tun haben, unterscheidet sich stark vom transatlantischen Sklavenhandel der alten Zeiten“, sagte die Exekutivsekretärin der Expertengruppe für Vorbeugung des Menschenhandels beim Europarat (Greta), Petya Nestorova. „Sklaven tragen inzwischen keine Ketten und Fesseln und gelten nicht mehr als Eigentum der Menschen, von denen sie ausgebeutet werden. In den meisten Fällen sind die Opfer selbst bereit, unter schrecklichen Bedingungen zu arbeiten und dafür kaum bezahlt zu werden.“
So erzählte ein 33-jähriger Einwanderer, der mit seiner Familie in Ungarn gearbeitet hatte, dass er jeden Tag erniedrigt und am Ende gar nicht bezahlt worden sei. Und sein Sohn sei brutal verprügelt worden – jedes Mal, wenn er die Arbeit selbst für eine Minute unterbrach.
Ebenfalls in Ungarn soll sogar ein 85-jähriger Zuwanderer zur Arbeit gezwungen worden sein. Und eine 15-jährige junge Frau aus Togo kam als Touristin nach Paris. Ihr soll versprochen worden sein, die nötigen Unterlagen auszufertigen, und für ihr Flugticket und andere Hilfe sollte sie einige Zeit als Haushaltshilfe arbeiten. Am Ende aber nahm man ihr ihren Pass weg und zwang sie, kostenlos als Dienerin und Kindermädchen zu arbeiten. Sie musste 15 Stunden am Tag ohne Ruhetage arbeiten, durfte das Haus nicht verlassen, und nur als die Nachbarn ihrer „Hausherren“ Anzeige erstatteten, wurde sie befreit. Noch mehr als das: Die Hausherren wurden von einem französischen Gericht freigesprochen, und erst das Europäische Menschenrechtsgericht verfügte, dass das Opfer entschädigt werden soll.
Europaweit gebe es Tausende solche Geschichten, behaupten die GRETA-Expertin Nestorova und Jacqueline Larsen von der Menschenrechtsorganisation Walk Free Foundation. Die Menschen werden belogen, eingeschüchtert und erpresst, um zur Arbeit gezwungen zu werden. Oft bleiben die Migranten ihren Beförderern nach Europa schuldig und müssen diese Schulden quasi begleichen.
Der Menschenschmuggel nach Europa hat Experten zufolge seinen Höhepunkt erreicht. Das 2016 gegründete Europäische Zentrum für Vorbeugung der Schlepperei (EMSC) berichtet über mindestens 65.000 Schmuggler, die Menschen aus Nordafrika über das Mittelmeer nach Europa befördern. Das soll zweimal so viel wie 2015 sein.
„Der Menschenschmuggel und Menschenhandel sind zwar zwei verschiedene Verbrechen, aber in Wahrheit gehen sie oft Hand in Hand“, sagte Petya Nestorova. „Flüchtlinge gibt es sehr viele. Sie alle sind sehr anfällig und können leicht zu modernen Sklaven gemacht werden. Denn was wir genau wissen, ist offenbar nur die Spitze des Eisbergs.“
„Besonders anfällig sind in dieser Hinsicht arme Menschen, Minderjährige und Frauen“, sagte ihrerseits Jacqueline Larsen. Es seien viele Fälle bekannt, wo kriminelle Gruppierungen extra Kinder jagten, die als Flüchtlinge registriert waren, um diese Kinder zu Sexsklaven zu machen. Viele mussten auch in der Landwirtschaft, in Fabriken arbeiten und mussten mit Drogen handeln.
„Frauen aus Zentralafrika arbeiten üblicherweise als Haushaltshilfe oder sind Prostituierte. Nigerianerinnen tun das beispielsweise in Italien, Belgien, Frankreich, Spanien, Schweden und den Niederlanden“, führte Larsen an.
Die Sexsklaverei sei und bleibe das größte Ziel des Menschenhandels, geht aus dem jüngsten Greta-Bericht hervor. Aber auch Männer werden immer häufiger versklavt und arbeiten in der Landwirtschaft, beim Fischfang, in Fabriken usw. Besonders beunruhigend sei die Situation in Ländern wie Rumänien, Griechenland, Italien, Bulgarien, Zypern, Portugal, Serbien und Großbritannien.
sputnik.de
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