Virtueller Hass, säuberlich sortiert

  17 April 2018    Gelesen: 1272
Virtueller Hass, säuberlich sortiert

Das Bundesamt für Justiz soll dafür sorgen, dass Facebook und Twitter Hasskommentare tatsächlich löschen. Doch die Beamten haben wenig zu tun - und das tun sie erstaunlich undigital. Ein Ortstermin.

Ein Amt ist ein Amt ist ein Amt, egal, ob darin Führerscheine vergeben und Bauanträge genehmigt werden, oder die digitale Industrie reguliert wird. In einer Behörde kann selbst die virtuelle Welt sehr dinglich erscheinen.

Das gilt jedenfalls für das Bundesamt für Justiz, das seit Jahresbeginn in den Kampf gegen strafbare Verlautbarungen auf Facebook oder Twitter, Instagramoder YouTube eingestiegen ist. Die Behörde mit Sitz in Bonn ist Anlaufstelle für alle Internetnutzer, die rechtswidrige Posts in sozialen Netzwerken entdeckt und vergeblich versucht haben, den jeweiligen Internetriesen zu einer Löschung zu bewegen. Wer sich dagegen zu Unrecht gelöscht fühlt, ist in Bonn an der falschen Adresse.

Die Nutzerbeschwerden, ob sie nun per Post oder über das behördliche Online-Meldeformular kommen, werden im Amt erst mal in Form gebracht. Sie landen in einer der blauen Aktenmappen, wie sie Thomas W. Ottersbach an diesem Nachmittag aus einem Metallregal zieht. "Die Einführung der elektronischen Akte lässt leider auf sich warten", sagt er. Bis es soweit ist, führt das Bundesamt die Nutzerbeschwerden auf Papier. Kleine gelbe Klebzettel an den Regalen markieren, wo die Aktenreihe für "Instagram" endet und die für "Twitter" beginnt. Virtueller Hass, säuberlich sortiert in Din-A4.

Sicherheitseinweisung für den Paternoster

Ottersbach ist Pressesprecher der Behörde, er trägt eine Krawatte mit kleinen Paragrafenzeichen unter einer Weste mit Uhrenkette. Er ist Beamter, zugleich Leiter des Organisationsreferats, und er weiß, dass die konsequente Einhaltung des Rechts schon im Alltag beginnt, etwa bei der Nutzung des Paternosters seiner Behörde: Ohne vorherige Sicherheitseinweisung darf kein externer Besucher eine der auf und ab gleitenden Kabinen besteigen.

Ottersbach ist es auch, der Journalisten vorführt, wie die 17 Mitarbeiter des Bundesamts Nutzerbeschwerden bearbeiten. Nein, diese Kollegen wollten lieber nicht direkt mit Journalisten sprechen, sagt der Pressesprecher. Warum nicht? "Na, überlegen Sie mal, mit was für Kundschaft die es zu tun haben."

Mit Leuten nämlich, die andere im Netz als "Hurensohn" bezeichnen, oder deren Profilbilder ein Hakenkreuz schmückt. Leute wie Paul Müller* (Name geändert), der auf Facebook schrieb: "Wünsche allen Kameradinen (sic!) und Kameraden ein gesundes und Merkel freies Jahr! Deutscher Gruß an Euch alle!" Dazu ein Foto eines SS-Manns, der eine Schnapsflasche ansetzt.

"Deutscher Gruß" - mit dieser NS-Formel habe Herr Müller die Straftat des "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" begangen, erklärt Ottersbach. Und Facebook eine Ordnungswidrigkeit, weil der Post trotz Meldung nicht gelöscht wurde.

Wie viele Verstöße sind nötig?

Die Sachbearbeiter des Bundesamtes, darunter Rechtspfleger und Diplom-Verwaltungswirte, melden die strafbaren Inhalte an die Staatsanwaltschaft. Aber ansonsten geschieht erst mal: nichts. Denn das Amt hat keine Lizenz zum Löschen oder Sperren, und darf Facebook und Co. auch nicht zu solchen Schritten verdonnern. Man sammelt die Fälle bloß - und wenn sich irgendwann zeigt, dass ein Internetkonzern systematisch darin versagt, seine Plattform von Straftätern sauber zu halten, kann das Amt ein Bußgeld verhängen.

In Bonn betrachtet man also das System, nicht den Einzelfall. Wie viele Verstöße für eine Buße nötig sind, und über welchen Zeitraum, das ist unklar. Hier werden die 27-seitigen Bußgeldleitlinien etwas vage.

Weniger Beschwerden als erwartet

Als Justizminister Heiko Maas 2017 sein Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vorlegte, war die Aufregung groß: Vor allem die rechte Netzgemeinde schmähte Maas als "Zensurminister", aber auch politisch unverdächtige Rechtsexperten warnten vor dem Ende der Meinungsfreiheit im Netz. Alle im neuen Bundestag vertretenen Parteien wollen das Gesetz entweder überarbeiten oder abschaffen. So wird beispielsweise bemängelt, dass es keine Möglichkeit gibt, sich über womöglich unrechtmäßige Löschungen zu beschweren.

Das Bundesamt macht aber erst einmal weiter. Immer diese Berliner Aufgeregtheit, seufzt Ottersbach: "Wenn man ein Gesetz gemacht hat, ändert man es doch nicht gleich wieder." Allerdings wird sein Amt auch nicht gerade überflutet mit Fällen: In den ersten 100 Tagen gingen 253 Beschwerden ein - Heiko Maas hatte mit bis zu 25.000 im Jahr gerechnet.

"Die Zahlen zeigen doch, das Gesetz funktioniert", findet Ottersbach. Wirklich? Liegt die niedrige Zahl der Fälle vielleicht daran, dass die Internetriesen alle heiklen Posts einfach vorauseilend löschen? Facebook leistet sich in Deutschland schon 1200 Beschwerdeprüfer.

Wenig Verkehr auf der Amts-Webseite

Details zu Löschungen will Facebook nicht nennen. Man beteuert aber: "Die Zahl der Meldungen nach dem NetzDG ist überschaubar." Die meisten Beschwerden seien auch von dürftiger Qualität und erforderten keine Sanktionen. Viele Nutzer würden Inhalte melden, die mit dem NetzDG gar nichts zu tun hätten - etwa Restaurants, die kritische Bewertungen als "Diffamierung" löschen lassen wollten.

Amtssprecher Ottersbach berichtet allerdings, dass die große Mehrheit der Beschwerden an sein Amt begründet seien. In den meisten Fällen haben die Internetkonzerne also offenbar gegen ihre Löschpflicht verstoßen. Doch es bleibt dabei, dass die Zahl der blauen Beschwerdemappen nach den ersten Monaten klein ist.

Vielleicht, weil nur wenige Bürger das Bundesamt für Justiz kennen? "Mag sein", sagt der Sprecher kühl. Und verweist auf den benutzerfreundlichen Internetauftritt seiner Behörde, wo alle wichtigen Fragen leicht verständlich beantwortet würden.

Im Januar, zum vollständigen Inkrafttreten des NetzDG, verzeichnete die Seite 10.000 Zugriffe - ein Rekord für das Amt. Im März war man dann wieder bei 230 angelangt.

spiegel


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