Ein halbes Jahr nach seiner Festnahme beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Johanna. Das klingt nach einer schnellen juristischen Aufarbeitung, doch der Fall beschäftigte die Ermittler über Jahre. Denn die Achtjährige aus Ranstadt-Bobenhausen im hessischen Wetteraukreis starb bereits im September 1999 nach einem sexuellen Missbrauch. Johannas Leiche wurde ein halbes Jahr später in einem rund 100 Kilometer entfernten Waldstück gefunden. Doch dem Täter kamen die Ermittler nicht auf die Spur. Der Fall war damit längst ein "cold case", also einer, in dem die Ermittlungen auch nach mehr als einem Jahr kein Ergebnis gebracht haben. 95 Prozent aller Tötungsverbrechen in Deutschland werden aufgeklärt, doch es bleiben fünf Prozent, in denen es auch über Jahre nicht gelingt, die Täter zu fassen.
Inzwischen haben mehrere Bundesländer spezielle Kommissariate für diese sogenannten Altfälle eingerichtet. In Berlin leitet Norbert Preuschoff die entsprechende Abteilung: das LKA 11 - Sonderermittlungen. Den Auslöser für dessen Gründung lieferten vor mehr als zehn Jahren zwei Reporter, erzählt Preuschoff n-tv.de. Sie hatten in einem Fall immer wieder neue Theorien ins Spiel gebracht. Daraufhin entschloss sich die Berliner Polizei, ihn noch einmal komplett aufzurollen. Am Ende wurde geklärt, was passiert ist. Auch wenn es nicht für eine Anklage reichte - das LKA 11 - Sonderermittlungen war ins Leben gerufen.
Die Liste der Berliner enthält inzwischen 269 Fälle, der älteste stammt aus dem Jahr 1968, der jüngste aus dem Jahr 2014. Allein die Erstellung der Liste hat mehrere Jahre in Anspruch genommen. "Wir haben auch Vermisstenfälle dazugenommen, bei denen die Möglichkeit eines Tötungsdeliktes besteht", sagt Preuschoff.
Der Erste Kriminalhauptkommissar leitete selbst viele Jahre eine Mordkommission, das war allerdings schon in den 1990er-Jahren. Da gab es bereits Computer und auch die Tatortarbeit war weitgehend mit der von heute identisch. Bei älteren Fällen sieht das anders aus. Oft gibt es nur die Tagebücher der Mordkommissionen, vergilbte Akten, in denen die Ermittler damals ihre Beobachtungen, Erkenntnisse und Zeugenaussagen festhielten. Die Kleidung der Opfer wurde einfach zusammen in einen Sack gesteckt.
Zeugen kann man vergessen
"Ein Kollege liest erstmal alles, dann suchen wir nach Ansatzpunkten, wo wir mit den Ermittlungen noch weiterkommen können", beschreibt Preuschoff das Vorgehen. Die erneute Vorladung von Zeugen ist selten sinnvoll. "Wenn es ein Fall aus den 1970er-Jahren ist, kann man das vergessen." Nach so vielen Jahren ist die Erinnerung verblasst - was hat man wirklich gesehen, was später gelesen? Das kann kaum jemand zuverlässig auseinanderhalten.
Ähnlich gingen Sonderermittler der Landespolizeidirektion Jena zuletzt im Fall Stephanie vor. Die 10-Jährige verschwand im August 1991 in Jena, nachdem sie von einem fremden Mann angesprochen worden war. Zwei Tage später wurde ihre Leiche unterhalb der Teufelstalbrücke der Autobahn 4 gefunden.
Nach jahrelangen erfolglosen Ermittlungen setzte die Thüringer Polizei in dem Fall eine neue Fallbearbeitungssoftware ein. 20 Aktenordner mit zum Teil bereits stark verblichener Schrift wurden in das neue System eingegeben. Zum Teil mussten die Seiten abgeschrieben werden. Dabei rückte ein Verdächtiger aus einem anderen Fall ins Blickfeld der Beamten. Anfang März wurde der Mann in Berlin festgenommen, den sexuellen Missbrauch an Stephanie hat er gestanden. Ihm droht eine Mordanklage.
Winzige DNA-Spuren als Beweis
"In der Regel sind es aber die alten Asservate, die uns weiterbringen", sagt der Berliner Ermittler. "Also schauen wir: Was haben wir an Kleidung oder möglichen Tatwaffen und gibt es DNA-Spuren?" Beinahe in allen Altfällen, die in den vergangenen Jahren bundesweit gelöst wurden, brachten DNA-Spuren schließlich den Durchbruch. Im Fall Johanna war es die winzige Spur eines Fingerabdrucks, der jedoch lange keinem Verdächtigen zugeordnet werden konnte. Erst ein anderer Missbrauchsfall 2016 brachte die Wende. Bei den Ermittlungen stießen die Beamten auf Ähnlichkeiten zum Fall Johanna. Schließlich stellte sich heraus, der damals sichergestellte Fingerabdruck passt zum Verdächtigen in dem aktuellen Fall.
Ähnliche Fälle gibt es bei den Berliner Sonderermittlern. "Wir haben auch schon DNA-Spuren des Täters feststellen können", erzählt Preuschoff. "Aber wir hatten in der DNA-Analysedatei des BKA keinen Treffer, sprich: Der Täter ist noch nicht in der Datei. Dann bleibt uns noch die Hoffnung, dass er irgendwann etwas macht, wo er mit seiner DNA erfasst wird." Darauf können die Ermittler nur warten, ebenso wie auf die Ergebnisse der Kriminaltechniker. Denn aktuelle Fälle haben natürlich immer Vorrang.
Und auch ein DNA-Treffer ist keine Garantie für eine spätere Verurteilung. "Bei manchen Altfällen schlagen wir natürlich die Hände über dem Kopf zusammen", sagt der Berliner Mordermittler. "Allein was die Spurenbehandlung angeht." Heutzutage wird jedes Kleidungsstück des Opfers einzeln verpackt und getrocknet, damit es gar nicht erst zu einer Spurenkontamination kommen kann. "Früher hat man das genommen und in einen Sack geschmissen." Geht ein solcher Fall vor Gericht, kann man heute argumentieren, dass die entscheidende Spur dabei möglicherweise übertragen worden ist. "Das kratzt dann am Beweiswert."
Trotzdem ist es für Preuschoff und sein Team jedes Mal eine Genugtuung, wenn sie oder die Kollegen in anderen Bundesländern Erfolg haben. Der Fall Johanna aus Hessen ist dafür nur ein Beispiel. Mit neuen und immer feineren Methoden der DNA-Analyse und moderner Computertechnik können auch nach fast 30 Jahren schwere Gewaltverbrechen aufgeklärt und Täter überführt werden. "Wir versuchen es immer wieder", sagt Preuschoff fast schon ein bisschen trotzig. Denn Mord verjährt nie.
Quelle: n-tv.de
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