„Deutschland ist ein Unternehmerstaat“ – Alternatives Wirtschaftsgutachten

  26 April 2018    Gelesen: 1205
„Deutschland ist ein Unternehmerstaat“ – Alternatives Wirtschaftsgutachten

Die Bundesregierung hat ihre übliche Konjunkturprognose vorgelegt, die von Optimismus über die ökonomischen Entwicklungen bis 2019 strotzt. Viele Menschen fühlen sich dabei an die Jubelberichterstattung der DDR erinnert, denn sie erleben ihren Alltag komplett anders. Sie liegen nicht komplett falsch damit, sagen Alternative Wirtschaftsprognosen.

Es war vorhersehbar, dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier der Versuchung nicht widerstehen konnte, erneut zu orakeln, dass die Beschäftigung massiv zu- und die Arbeitslosigkeit abnehmen werde. Damit wird der Öffentlichkeit suggeriert, alles sei in bester Ordnung, die Miesmacher sind im Unrecht.

Zu diesen Miesmachern gehört auch die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“, ein loser Zusammenschluss von Wirtschaftswissenschaftlern und Gewerkschaftsvertretern, die seit 43 Jahren mit Memoranden den offiziösen wirtschaftspolitischen Verlautbarungen der Bundesregierung etwas anderen ökonomischen Sachverstand entgegensetzen wollen. Dieser Tage erschien das „Memorandum 2018“, das von rund 900 Ökonomen und Gewerkschaftsfunktionären aus der ganzen Bundesrepublik durch ihre Unterschrift unterstützt und damit autorisiert wurde.

Arbeitslosenquote mit Absicht geschönt
Mitautor des Memorandums ist Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup von der Westfälischen Hochschule, der das Buch in Berlin vorstellte. Er kann mit den veröffentlichten Zahlen der Bundesregierung und ihr nahestehender Wirtschaftsforschungsinstitute nur wenig anfangen. Er hält sie für grob beschönigend. Zum Beispiel die Arbeitslosenstatistik. Offiziell liegt sie bei 5,7 Prozent und soll bis nächstes Jahr auf 5,2 Prozent sinken, sagt jedenfalls Bundeswirtschaftsminister Altmaier. Bontrup sagt, dass hier massiv schöngerechnet wird. Er und seine Kolleginnen und Kollegen haben eine ganz andere Quote errechnet:

„Wir haben hier eine Arbeitslosenquote von 13,8 Prozent ermittelt, weil man schlicht und ergreifend viele Arbeitslose wegdefiniert und Unterbeschäftigte, die lieber gestern als heute Vollzeit arbeiten würden, nicht adäquat berücksichtigt. Und auch in der Quote ist der Nenner manipuliert, indem nicht nur die Betroffenen, nämlich die abhängig Beschäftigten aufgenommen werden, sondern die zivilen Erwerbspersonen. Dann kommt es natürlich künstlich zu einer niedrigen Quote, wie sie von der Bundesregierung, aber auch von Instituten ausgewiesen werden.“

Die Bundesregierung lässt in die Berechnungsformel für die Arbeitslosenquote auch die mehr als 1,8 Millionen Beamten einfließen, die de facto gar nicht arbeitslos werden können. Ebenso verzerrt die Statistik ganz gezielt die Tatsache, dass weit über 2 Millionen Menschen in Teilzeit arbeiten, obwohl sie dies eigentlich nicht wollen. Die meisten Teilzeitbeschäftigten arbeiten im Durchschnitt die Hälfte der normalen Arbeitszeit, also im Regelfall 20 Stunden pro Woche. In der Arbeitslosenstatistik tauchen aber nur Menschen auf, die weniger als 15 Wochenstunden arbeiten. Für die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ein klarer Fall von Trickserei.

Weg mit der „schwarzen Null“

Für einen Propagandatrick hält die Arbeitsgruppe auch das Mantra der „schwarzen Null“. Die habe nur dazu geführt, dass öffentliche Infrastruktur in Deutschland zum Teil erschreckend vernachlässigt wurde. Deshalb fordern die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe auch ein großes öffentliches Infrastrukturprogramm, das mit Schulden finanziert wird. Der Staat müsse investieren. Vor allem auch in Löhne und Gehälter. Beispielsweise sei es inakzeptabel, dass die staatliche Finanzverwaltung unter Personalmangel leidet. Dabei ist erwiesen, dass jeder zusätzliche Betriebsprüfer auch Unmengen an zusätzlichen Steuereinnahmen erwirtschaftet.

De facto würden derzeit mit dem Credo der schwarzen Null Kosten, die eigentlich der Staat, die Gemeinschaft der Steuerzahler, die Solidargemeinschaft zu tragen habe, auf einzelne Individuen abgewälzt. Der häufige Einwand, wir könnten uns dies oder das nicht leisten, wird faktisch ad absurdum geführt: Einerseits sind enorme Steuermehreinnahmen vorhanden, andererseits werden große Kapitaleinkünfte und Vermögen nicht angemessen besteuert.

Für gerechte Steuern

Deshalb ist ein dritter großer Kritik- und Forderungspunkt der Arbeitsgruppe an die Politik die Steuern. Hier konstatieren die Wissenschaftler eine geradezu obszöne Schieflage zugunsten von Kapitaleinkommen und zu Lasten der Einkommen normaler Lohn- und Gehaltsempfänger. Seit der Wiedervereinigung, so rechnet die Arbeitsgruppe vor, hätten die sogenannten abhängig Beschäftigten in Deutschland mehr als 1,8 Billionen Euro Einkommensverluste realisieren müssen.

Diese abnorme Summe ist in die Taschen derjenigen geflossen, die ohnehin schon große oder riesige Vermögen besitzen. Deshalb sei es höchste Zeit, endlich durch eine gerechte Besteuerung diesen Rahm abzuschöpfen, um ihn für dringend notwendige Ausgaben zugunsten der Allgemeinheit wie Bildung, Pflege, Infrastruktur usw. einzusetzen. Bontrups Forderungskatalog wird die Reichen und Schönen Deutschlands wahrscheinlich das Gruseln lehren:

„Wir sagen auch in der Steuerpolitik ganz konkret: Wir fordern die Erhöhung des Spitzensteuersatzes wieder auf mindestens 53 Prozent. Wir fordern eine Erhöhung der Körperschaftssteuer. Das muss man sich langsam mal durch den Kopf gehen lassen: Von den Profiten, die die deutschen Unternehmen erzielen, zahlen sie einen Körperschaftssteuersatz von lächerlichen 15 Prozent, dass wir da wieder auf 30 Prozent rauf wollen. Und dass vor allen Dingen Veräußerungsgewinne steuerrechtlich auf null gesetzt worden sind, das bezeichnen wir als Treppenwitz der Geschichte. Kapitaleinkünfte sind mit den jeweiligen individuellen Steuersätzen und nicht mit einer Abgeltungssteuer von 25 Prozent entsprechend zu belegen.“

Macht-Asymmetrie im Unternehmerstaat

Um dem Schreckensszenario für Deutschlands Eliten noch die Krone aufzusetzen, fordert Bontrup namens seiner Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppe etwas ganz und gar Unerhörtes und Empörendes:

„Man kann in Deutschland davon reden, aber auch in anderen Staaten, dass wir längst einen Unternehmerstaat haben, dass Politik, egal welcher Regierung, von Unternehmern geradezu in Geiselhaft genommen werden kann, erpresserisch eine entsprechende Politik zu fahren, einseitig zugunsten des Kapitals. Wir brauchen endlich einen nachhaltigen Paradigmenwechsel in Sachen mehr Wirtschaftsdemokratie. Es muss zu einem Ausgleich kommen zwischen Kapital und Arbeit. Wir brauchen einen massiven Ausbau der Mitbestimmung, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, gegen diese Macht-Asymmetrie zwischen Kapital und Arbeit, die letztlich auch mitverantwortlich ist für die gigantische Umverteilung.“

sputnik.de


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