Vor dem Hintergrund eines in Schottland weltweit erstmals eingeführten Mindestpreises für Alkohol fordern Suchtexperten, Krankenkassen und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung höhere Preise für Alkohol auch in Deutschland. "Wer den Alkoholkonsum reduzieren will, muss dafür sorgen, dass die in Deutschland unverhältnismäßig niedrigen Preise für alkoholische Getränke angehoben werden", sagte der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, Raphael Gaßmann, den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Freitag.
Ein Mindestpreis für Alkohol sei der erste, wichtige Schritt, um den Alkoholkonsum zu senken. Es sei nachgewiesen, dass "insgesamt umso mehr Alkohol getrunken wird, je niedriger sein Preis ist", sagte Gaßmann.
Auch der Suchtexperte des AOK-Bundesverbands, Kai Kolpatzik, ist für höhere Verkaufspreise. Deutschland zähle zu den "Hochkonsumländern". Deshalb plädiere er dafür, "auch hierzulande stärker über höhere Preise von Alkohol nachzudenken." Die vor 14 Jahren eingeführte Steuer auf sogenannte Alkopops habe gezeigt, "wie wirksam man über gezielte Besteuerung eine positive Lebensstiländerung auf breiter Front einleiten" könne.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), sagte den Funke-Zeitungen, Billigalkoholika zum Discountpreis hätten "nichts mehr mit Genuss zu tun", sondern zielten auf Masse. Gerade Jüngere mit wenig Einkommen würden dadurch zum "Saufen" animiert. Mortler weiter: "Das Problem ist doch, dass Alkohol in unserer Gesellschaft viel zu allgegenwärtig, viel zu selbstverständlich ist."
In Schottland gilt seit dem 1. Mai ein Mindestpreis für Alkohol. Mit dem Mindestpreis von 50 Pence (57 Cent) pro zehn Milliliter purem Alkohol soll vor allem die Zahl der Alkoholtoten gesenkt werden. Von Ärzten und Gesundheitsverbänden wurde die Einführung des Mindestpreises als größter Durchbruch seit dem Rauchverbot in öffentlichen Räumen gefeiert. "Dieses Gesetz wird Leben retten", sagte die Chefin der Organisation Alcohol Focus Scotland, Alison Douglas. Sie rechnet damit, dass die Zahl der Alkoholtoten allein im ersten Jahr um 58 Todesfälle sinken wird.
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Ein internationales Forscherteam war erst vor kurzem in einer großen Übersichtsstudie zu dem Schluss gekommen, dass die bisherigen Richtwerte für den Konsum von Alkohol in vielen Ländern zu hoch sind - auch in Deutschland. Im Fachblatt "The Lancet" schrieben sie, dass bereits der Konsum von mehr als 100 Gramm reinem Alkohol pro Woche - das entspricht etwa 2,5 Litern Bier oder etwa einem Liter Wein - die Lebenserwartung verkürzt. Höherer Alkoholkonsum war der Untersuchung zufolge mit einem höheren Risiko für Schlaganfall, Herzschwäche, Bluthochdruck und einem tödlichen Aorten-Aneurysma verbunden.
In Deutschland gelten nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung 140 Gramm für Männer und 70 Gramm für Frauen als tolerierbar. Laut "Jahrbuch Sucht" konsumieren Bundesbürger über 15 Jahre im Schnitt 10,7 Liter reinen Alkohol im Jahr - in Form von knapp 134 Litern alkoholischer Getränke. Das entspricht rund 165 Gramm pro Woche.
spiegel
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