In Freiburg hat die örtliche CDU nicht einmal mehr einen eigenen Kandidaten aufgestellt. Stattdessen rief man bei der Oberbürgermeister-Wahl dazu auf, für den Grünen-Kandidaten zu stimmen.
Aber nicht einmal das hat Dieter Salomon mehr helfen können, am Sonntag wurde er als Rathauschef der badischen 230.000-Einwohner-Metropole abgewählt. Nach 16 Jahren. Damals war Salomon der erste grüne Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt.
Ist damit auch die grün-schwarze Landesregierung am Ende? Nein. Dafür ist Freiburg im Breisgau ein zu spezieller Fall, dieses öko-liberale Biotop am Rande des Schwarzwalds, in dem zumal der Amtsinhaber die Bürger schlicht nicht mehr davon überzeugen konnte, warum sie ihn wiederwählen sollten. "Die Wahl war in erster Linie eine Persönlichkeitswahl", heißt es aus der baden-württembergischen Grünen-Zentrale.
Die Krise von Grün-Schwarz, die schon vor dem zweiten Freiburger Wahlgang akut war, hat die Abwahl Salomons dennoch weiter verschärft. Denn warum sie miteinander regieren wollen, das konnten Grüne und Christdemokraten inhaltlich ja noch nie wirklich befriedigend erklären. Dafür ist die Partei von Winfried Kretschmann trotz der Tatsache, dass dieser seit ziemlich genau sieben Jahren als Ministerpräsident amtiert und dabei weit in die gesellschaftliche Mitte gezogen ist, noch immer eine zu linke Partei - und die CDU trotz aller Liberalisierungsversuche ihres Vorsitzenden Thomas Strobl eine konservative.
Sie haben vor zwei Jahren trotzdem eine Koalition gebildet - aber wegen der Schwundsucht der Sozialdemokraten und der Verweigerung der FDP an ein Ampel-Bündnis mit Grünen und SPD eher aus Mangel an Alternativen. Und weil irgendjemand dieses schöne, große und wohlhabende Bundesland, Kosewort "Ländle", ja regieren muss.
Komplementärkoalition nannten sie ihre Regierung. Doch es hat sich inzwischen gezeigt, dass beim Addieren widersprüchlicher Inhalte eben vor allem eines herauskommt: Widersprüche.
Zwei Koalitionsverstöße binnen weniger Tage
Zuletzt war das binnen weniger Tage besonders eindrucksvoll zu erleben: Erst ließ die CDU-Landtagsfraktion eine gemeinsam vereinbarte Wahlrechtsreform platzen, die auf Initiative der Grünen den äußerst niedrigen Frauenanteil im Parlament erhöhen sollte. Sogar Kretschmann sprach von "einer klaren Verletzung des Koalitionsvertrags". Die grünen Abgeordneten revanchierten sich prompt, in dem sie einer CDU-Politikerin und evangelikalen Christin im ersten Wahlgang zur Landtags-Vizepräsidentin weitestgehend die Stimme verweigerten. Die Christdemokratin schaffte es in Durchgang zwei, 19 Stimmen aus der Koalition fehlten weiterhin.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke ätzte daraufhin, nun sei nur noch die Frage, wann die Koalition "formal bricht". Doch seine Hoffnung dürfte sich nicht erfüllen, auch wenn Rülke die CDU mit dem Angebot einer "Deutschland-Koalition" lockt, einem Bündnis von Schwarzen, SPD und seinen Liberalen: Diese Koalition hätte nur eine Mehrheit von zwei Stimmen, zudem hat die SPD bereits abgewinkt, Vize-Ministerpräsident Strobl warnte auf dem CDU-Landesparteitag am Wochenende vor solchen "Spielchen".
Damit mag er Recht haben. Allerdings sollte Landesvater Kretschmann eine Botschaft aus Freiburg dann doch verstanden haben: Einfach nur weiterregieren mag ihm selbst und inzwischen sogar Teilen der eigenen Partei reichen - den Wählern irgendwann jedoch nicht mehr. Manchen grünen Stammwählern gilt Kretschmann schon jetzt als zu bräsig. So wie Salomon in Freiburg. Die grün-schwarze Führungsriege scheint Teilen der Anhängerschaft offenbar zu schwarz und zu wenig grün.
Noch sind Kretschmanns persönliche Umfragewerte prima, auch seine Partei liegt weiterhin deutlich vor der CDU. Kretschmann, der kommende Woche seinen 70. Geburtstag feiert, ist bürgerlich genug, um die Menschen im Land von Daimler, Bosch und Porsche ruhig schlafen zu lassen - und mit seiner Verschrobenheit gleichzeitig auch für jene Milieus akzeptabel, in denen man früher einmal wie er selbst von der Revolution träumte.
Kretschmann und seine Strategen in der Regierungszentrale sehen deshalb überhaupt keinen Grund darin, Grün-Schwarz in Frage zu stellen. Und weil sich mit Salomon, einst Vorgänger von Kretschmann als Fraktionschef im Landtag, nun sein wahrscheinlichster Kronprinz aus der Politik verabschiedet, müssen die Nachfolge-Pläne erst mal vom Tisch. Weitermachen, auch wenn es nur noch Durchwurschteln bedeutet, lautet die Devise des Ministerpräsidenten und seinen Grünen.
Für den Koalitionspartner ist das keine schöne Perspektive, weil die CDU wohl erst in der Nach-Kretschmann-Ära wieder auf die Füße kommen könnte - andererseits sind die Christdemokraten aktuell so verheerend aufgestellt, dass ihnen außer Weitermachen und Durchwurschteln auch nichts Besseres einfällt. Innenminister Strobl und Fraktionschef Wolfgang Reinhart trauen sich nicht über den Weg, einen satisfaktionsfähigen Herausforderer für Kretschmann würde im Falle von Neuwahlen wohl keiner von beiden darstellen. Zudem schadete ein Koalitionsbruch der CDU mit Sicherheit beim Wähler.
Also bleibt alles, wie es ist. Wie in einer schlechten Ehe. Die Koalitionäre können nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander.
Ein Weilchen wird das noch funktionieren. Sich durchzuwurschteln gilt im Ländle zudem eher als Tugend - sowohl im schwäbischen wie im badischen Teil. Nur: Zu viel Streit mag man hierzulande dann auch wieder nicht.
spiegel
Tags: