Für Leverkusen heißt es in Barcelona: jetzt oder nie

  28 September 2015    Gelesen: 552
Für Leverkusen heißt es in Barcelona: jetzt oder nie
Rudi Völler ist Fußballer und Sportsmann, bis heute geblieben. Also äußerte Leverkusens Sportdirektor fair sein Bedauern, dass Lionel Messi den Besuch der Deutschen in Barcelona am Dienstag zum Gruppenspiel der Champions League verpassen wird: "Das tut weh, denn immer wenn ich ihn spielen sehe, geht mir das Herz auf". Allerdings dürfte so mancher in Leverkusen auch ein bisschen aufgeatmet haben ob der Nachrichten aus Katalonien. Kaum eine Mannschaft hat schließlich schon so unter dem vierfachen Weltfußballer gelitten wie die Rheinländer.
Mit fünf Toren – Rekord für ein K.o.-Runden-Spiel der Champions League – gab Messi die Deutschen bei der letzten Begegnung im Achtelfinale 2012 der Lächerlichkeit preis. Auf der Anzeigentafel im Camp Nou stand am Ende ein 7:1. Aber der Ärger hatte schon beim 3:1 der Katalanen im Hinspiel begonnen. Völler jedenfalls war weniger mitfühlend gestimmt, als seinen Verteidigern Manuel Friedrich und Michal Kadlec das Herz bei der Begegnung mit Messi ein bisschen arg weit aufging. Das Abwehr-Duo balgte sich wie Autogrammjäger um das Trikot des Superstars. Die erbeuteten Hemdchen, eines in der Halbzeitpause, eines nach Schlusspfiff, ließ der Manager zur Strafe versteigern.

Barca muss die Messi-Pause überstehen

Für ähnliche Possen wird es diesmal maximal beim Rückspiel im Dezember eine Gelegenheit geben, wenn Messis Innenbandabriss im linken Knie verheilt sein dürfte – die Prognosen gehen von rund zwei Monaten Pause aus. Die müssen sie in Barcelona jetzt irgendwie überstehen. "Nichts wird dasselbe sein", schreibt "Sport".

Messis Verletzung sandte am Wochenende Schockwellen durch das Camp Nou. Die Fans erinnern sich etwa zu gut, wie ein deprimiertes Barca ohne seinen im Hinspiel angeschlagenen und im Rückspiel unpässlichen Superstar im Champions-League-Halbfinale 2012/2013 gegen Bayern München unterging (0:4, 0:3). In der darauffolgenden Saison sorgte dann eine rund zweimonatige Pause des Argentiniers wegen einer Muskelverletzung zwar für keinen spektakulären Abfall – das aber auch nur, weil die ganze Saison zum Vergessen war: Messi erreichte nie sein gewohntes Format, und Barca blieb zum ersten Mal seit 2008 ohne wichtigen Titel.

Im Vergleich zu damals wirkt das Team heute wettkampfhärter, dafür sorgt schon der ambitionierte Trainer Luis Enrique. "Jetzt kann die Mannschaft zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt ist“, kommentiert er die Lage nach Messis Verletzung. Allerdings ist dessen Ausfall bei weitem nicht das einzige Problem. Schon die Tage vor dem fatalen Zusammenprall mit Las-Palmas-Verteidiger Britos erlebten die Barça-Anhänger als eine Verkettung von Pech, Pannen und anderen Unglücken.

Mangelnde Treffsicherheit

Kurzer Abriss: Bereits 17 Gegentore in zehn Spielen, darunter gleich dreimal vier Stück in einer Partie; die Debatte um Spielstil und Unsicherheiten von Torwart Marc-André ter Stegen sowie die Verletzung seines Konkurrenten Claudio Bravo; erstaunliche Effizienzprobleme der Starangreifer, die bisher nur einmal öfter trafen als ihre Gegner und es sogar schafften, drei von vier Elfmetern zu verschießen; mangelnde Frische in Partien von hoher Intensität; der Kreuzbandriss von Offensivalternative Rafinha und das Verbot der FIFA, die neuverpflichteten Arda Turan und Aleix Vidal einschreiben zu dürfen; sowie zuletzt die neuesten Enthüllungen in der Daueraffäre um den Transfer von Neymar – dem ein Vermögen von rund 42 Millionen Euro von der brasilianischen Justiz konfisziert wurde.

Leverkusen, kurzum, erwischt Barça in einem so günstigen Moment, wie es ihn gegen Barca nur geben kann. Am Samstag gegen Aufsteiger Las Palmas rappelten sich die Katalanen zwar nach dem Schock der Messi-Auswechslung in der 8. Minute zu einem 2:1-Sieg auf, wirkten dabei aber insbesondere in der Abwehr erneut nicht souverän. Leverkusens in Spanien besonders ungewohnter Spielstil könnte zudem für einen Überraschungseffekt sorgen; wenn er mit so viel Mut durchgezogen wird, wie ihn etwa Celta de Vigo vorige Woche beim 4:1 über Barca in der Liga an den Tag legte.

"Now or never", jetzt oder nie: Die Rheinländer stehen vor einer spannenden Chance, ihrem Image in Europa einen Schub zu geben – und jenes in Deutschland zu widerlegen, wonach sie kein Klub für die großen Matches sind.

Es fehlen die Alternativen

Ohne Messi fehlen Barca nicht nur die Tore, sondern vor allem auch etliche Angriffsoptionen. Zuletzt agierte der Rekordtorschütze der spanischen Ligageschichte nicht mehr vornehmlich aus der Stürmerposition, sondern zunehmend aus der Tiefe heraus, wurde so noch unberechenbarer und brachte sein grenzenloses Repertoire noch besser zur Aufführung: Antritte und Solos, aber auch Doppelpässe, Steilpässe, Diagonalpässe, die sich als perfekter Öffner gegnerischen Abwehrriegel erwiesen. "Alle kennen das besondere Gewicht, dass er für diese Mannschaft hat", räumt auch Luis Enrique ein, dessen einzige Sturmalternativen nach dem Verkauf von Pedro die international unerfahrenen und auch in der Liga bei ihren letzten Einsätzen zumeist glanzlosen Nachwuchsprofis Munir und Sandro sind.

Munir etwa schoss sein einziges Tor am ersten Spieltag der Vorsaison, wurde danach bereits als nächster großer Star gefeiert und sogar in die Nationalelf berufen. Mit Ablauf der Biss-Sperre gegen Luis Suárez verlor er viel Einsatzzeit und jede Unbekümmertheit. Gegen Las Palmas zeigte er sich nach der Einwechslung für Messi immerhin wieder etwas präsenter und war an der Entstehung beider Tore beteiligt.

Neymar ist gefordert

Barca ist ohne Messi vielleicht nicht das Barca, aber immer noch ziemlich viel Barca. Als es ohne Messi oder mit einem blassen Messi in der Depression versank, gab es beispielsweise noch keinen Luis Suárez, der gegen Las Palmas beide Tore erzielte und auch mal ein Tor mit der Brechstange erzwingen kann – was ihm das Publikum hier so hoch anrechnet, dass es dafür auch mal Abstriche bei der B-Note macht.

Und es gab noch keinen Neymar oder, während Messis zweiter längerer Pause, noch keinen eingewöhnten Neymar. Sollte der Brasilianer trotz seines Ärgers mit der Steuerfahndung den Kopf frei haben und nicht nur die Haare abrasiert – gegen Las Palmas überraschte er mit Glatze –, kann er den Argentinier am ehesten ersetzen. Dann könnte er in den nächsten Wochen schon mal probeweise den Platz als neuer König einnehmen, den ihm viele für die Post-Messi-Ära dauerhaft prognostizieren, bei Barca wie im Weltfußball.

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