Emmanuel Macron wurde enttäuscht, mal wieder. So sehr Frankreichs Präsident auch gehofft haben mag, Angela Merkel würde heute, bei der Verleihung des Karlspreises an Frankreichs Präsidenten, endlich zu erkennen geben, bei welchen seiner Ideen zur Reform der EU sie mitziehen will - er wurde vertröstet, einmal mehr.
Sicher, eine Preisverleihung mag kein Anlass sein für eine Regierungserklärung, noch dazu für ganz Europa. Doch die Steilvorlage für Merkel war da. Das Aachener Preiskomitee hatte im Kanzleramt reichlich selbstbewusst hinterlegt, dass man sich ausdrücklich keine klassische Laudatio wünsche, sondern eine inhaltliche Rede. Und Oberbürgermeister Marcel Philipp verstand es zu Beginn des Festakts im Krönungssaal in seine kurze Ansprache soviel Weltpolitik und europäische Probleme einzubauen, dass Merkel eigentlich nur noch daran hätte anknüpfen müssen.
Allein, die deutsche Kanzlerin wollte nicht. Merkel spricht lieber vom "Zauber Europas, wie ich ihn in der Zusammenarbeit mit Dir in diesem Jahr immer wieder erlebt habe". Merkel wendet sich direkt an den Preisträger: "Du bist 1977 geboren" sagt sie in Richtung Macron, "als der kalte Krieg vorbei war, warst Du zwölf, 13 Jahre alt." Und weiter: "Deine Begeisterung reißt andere mit", sagt sie, "Du sprühst vor Ideen."
Merkel meint das natürlich nett, aber leider wirkt es ein wenig so als ob würde eine kampferprobte Veteranin europäischer Schlachten ihrem Lehrling Zensuren erteilen. Werd' erstmal erwachsen, Kleiner.
Die Sache wird nicht besser dadurch, dass Merkel inhaltlich im Vagen bleibt. Bei der Flüchtlingspolitik müsse es vorangehen, sagt sie, und auch was die Investitionen in Krisenländern angeht, wolle man was machen. Einen Vorschlag soll es offenbar schon beim EU-Gipfel in Sofia kommende Woche geben.
Und das Kernstück von Macrons Forderungen, die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion? "Schwierige Diskussionen" gebe es da, raunt die Kanzlerin. Im Juni wolle man etwas vorlegen. Merkel, die Zauderin, alles wie gehabt.
Beinahe jedenfalls, denn: Macron macht nicht mehr mit. "Wir müssen jetzt handeln", sagt er gleich mehrfach, als er nach Merkel spricht. "Die Nationalisten, die Demagogen sind klar und haben eine klare Sprache. Europa muss genauso klar sein." Damit das klappt, stellt er "vier Gebote" für Europas Zukunft vor, wie er sagt. "Seien wir nicht schwach, spalten wir uns nicht, seien wir nicht ängstlich, warten wir nicht ab."
Das ist zwar auch nicht viel konkreter als Merkels Wischiwaschi zuvor, doch Macron weiß eben, wie man eine Botschaft hübsch verpackt. Und er trägt es mit Energie vor. Anders als noch vor dem Europaparlament in Straßburg vor ein paar Wochen, schont er Merkel und die Deutschen dabei nicht mehr. Er packt seine Reformideen nicht in Watte und plappert nicht mehr die Merkel-Rhetorik von "Zeitplänen" nach. Er will alles und er will es jetzt.
"Wir müssen mit Ländern, in denen die Jugendarbeitslosigkeit bis zu 50 Prozent beträgt, solidarisch sein", sagt Macron und wiederholt eine seiner in Deutschland umstrittensten Ideen: Daher brauche man "eine stärker integrierte Eurozone mit einem eigenen Haushalt, der Konvergenz voranbringt".
Macron spricht Merkel mehrfach direkt an, "Chere Angela", sagt er, im Ton höflich, in der Sache aber zunehmend bestimmt. "Wir brauchen eine Vision für 30 Jahre, dann kann man mit kleinen Schritten weiter gehen." Und weiter: "Wir brauchen eine wirkliche Reform, nicht eine in Anführungszeichen."
Macron kritisiert die einstige Reformmüdigkeit der Franzosen, schimpft aber auch über den "Fetischismus" der Deutschen in Sachen Budget- und Handelsüberschüsse. "Das erfolgt stets auf Kosten anderer." Auch eine Änderung der europäischen Verträge dürfe kein Tabu sein. "Wir müssen bereit sein, die Verträge zu ändern, teilweise über den Haufen zu werfen, und durch bessere zu ersetzen, wir brauchen einen tiefgreifenden Wandel."
Das europhile Karlspreispublikum dankt es ihm mit stehenden Ovationen und auch Merkel kriegt in ihrer Rede ausgerechnet immer dann starken Applaus, wenn sie Macron zitiert. Auch sonst entwickelt sich Macrons Stippvisite nach Aachen zu einer gelungenen PR-Aktion für den Franzosen. Am Mittwochabend plauderte er mit Bürgern beim Spaziergang durch die Altstadt, nach der Preisverleihung schaut er an der RWTH vorbei, der Aachner Uni. In weißen Hemd ohne Jackett schlendert er Richtung Eingang. In der Diskussion mit Studenten wettert er dann gegen das "Europa des Sozial-, Steuer- und Demokratiedumpings". Stünde Macron hier zur Wahl, er würde Merkel schlagen.
Der Witz, der beim Karlspreis am Ende unter den Honoratioren die Runde macht, passt zu dieser Stimmung ganz gut. "Es gab heute zwei gute Reden", sagt einer der Honoratioren, bevor er sich in den Dienstwagen fallen lässt: "Die Macrons und die des Aachener Oberbürgermeisters."
spiegel
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