Sie sollte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nach diversen Berichten über chaotische Zustände in der Behörde zur Ruhe bringen. Doch nun muss Bamf-Chefin Jutta Cordt offenbar um ihren Posten fürchten. Innenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte am Dienstag mögliche personelle Konsequenzenaus der jüngsten Bamf-Affäre an.
Der Hintergrund: In der Bamf-Außenstelle in Bremen soll in mindestens 1176 Fällen zu Unrecht Asyl bewilligt worden sein. Die langjährige Leiterin Ulrike B. soll zudem über Jahre Asylverfahren an sich gezogen haben, für die ihre Bremer Dienststelle gar nicht zuständig war. Die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen B. sowie fünf weitere Beschuldigte - darunter Anwälte - wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung.
Bei der Frage nach der Verantwortlichkeit spielt nun auch der zeitliche Ablauf eine zentrale Rolle: Wer wusste wann was - und tat möglicherweise zu wenig?
8. November 2013
Die Bamf-Außenstelle in Oldenburg lehnt die Asylanträge zweier Jesiden als unbegründet ab. Der Anwalt der Flüchtlinge, Irfan C. aus Hildesheim, klagt vor Gericht gegen die Entscheidung. Im Sommer des folgenden Jahres schaltet sich die bislang nicht involvierte Bremer Außenstelle in das Verfahren ein und entscheidet, die beiden Iraker als Flüchtlinge anzuerkennen.
11. Juli 2014
Der Leiter der Außenstellen Friedland und Oldenburg schreibt eine erste Mail mit Details zu den Vorgängen in Bremen an die Bamf-Zentrale in Nürnberg. Weitere Mails an die dortigen Gruppen- und Abteilungsleiter folgen. Nach Recherchen des SPIEGEL führt er zudem im Sommer 2014 ein Krisengespräch mit Ulrike B. Diese soll sich aber uneinsichtig gezeigt haben.
25. Januar 2016
Der Ombudsmann des Bundesinnenministeriums bekommt anonyme Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in Bremen. Das gibt Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) später in einer Sitzung des Innenausschusses bekannt. Zunächst soll es sich nur um 26 Verdachtsfälle gehandelt haben.
21. Juli 2016
Nach einer durch ihre Behörde in letzter Minute gestoppten Abschiebung einer jesidischen Familie wird Ulrike B. als Außenstellenleiterin abgesetzt. Ein Disziplinarverfahren ist im März 2017 mit der Kürzung ihrer Bezüge abgeschlossen. Anschließend wird sie zunächst mit anderen Aufgaben in Bremen betraut. Erst ein Jahr später, nach einer Durchsuchung der Staatsanwaltschaft, wird die Beamtin suspendiert.
Februar 2017
Ein Bamf-Referent warnt Anfang 2017 in E-Mails vor einer Überprüfung von in Bremen ausgestellten Asylbescheiden durch niedersächsische Behörden. Er soll demnach vorgeschlagen haben, mit einer eigenen Untersuchung den niedersächsischen Beamten zuvorzukommen, bevor es "Politgetöse" gebe. Ein Gruppenleiter aus der Bamf-Zentrale soll dann entschieden haben, man solle "geräuschlos" vorgehen. Die Leitung des Bundesamts hat den kompletten Mailverkehr nach eigener Darstellung nicht erhalten. Die Leitung habe nur die Ursprungsmail erreicht.
Juli 2017
Ein leitender Beamter aus Bremen schildert die Unregelmäßigkeiten in seiner Außenstelle in einer Mail an die Zentrale in Nürnberg. Er belastet darin seine langjährige Chefin Ulrike B.: Sie habe "massenhaft" die Verfahren von einem ihr angeblich nahestehenden Anwalt "vorgezogen".
Oktober 2017
In Gießen taucht ein gefälschter Asylbescheid aus Bremen auf. Er wurde von einem Mitarbeiter bearbeitet, der zu dieser Zeit krank war. Die Staatsanwaltschaft beginnt mit ihren Ermittlungen.
14. März 2018
Die neue Leiterin in Bremen, Josefa Schmid, bittet im Ministerbüro um ein Telefonat mit Innenminister Horst Seehofer (CSU), um mit ihm über die Unregelmäßigkeiten vor Ort zu sprechen.
4. April 2018
Staatssekretär Stephan Mayer telefoniert mit Schmid. Sie soll noch am selben Tag eine Darstellung der Bremer Vorgänge an Mayers Abgeordnetenbüro geschickt haben. Laut der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" befasste sich Mayer jedoch erst am 14. Mai damit und leitete sie an eine Abteilung seines Hauses weiter, nicht aber an Seehofer.
19. April 2018
Seehofer erfährt von den Vorgängen in Bremen. Die Staatsanwaltschaft hatte am Vortag mit Durchsuchungen der Bremer Büros begonnen.
20. April 2018
Der Bamf-Skandal in Bremen wird öffentlich bekannt.
17. Mai 2018
Seehofer sagt eine sachgerechte Aufarbeitung zu und zeigt sich im Bundestag zugleich offen für einen möglichen Untersuchungsausschuss. Schmid wird von der Bremer Behörde wieder zurück nach Bayern versetzt.
18. Mai 2018
Behörden-Chefin Cordt meldet sich per Pressekonferenz zu Wort und verspricht eine umfassende Aufklärung der Affäre. Sie kündigt an, 18.000 in Bremen erlassene Asylbescheide noch einmal unter die Lupe nehmen zu lassen. Inzwischen durchleuchtet die Bundesbehörde aber auch zehn weitere Außenstellen: Sie fielen auf, weil sie über- oder unterdurchschnittlich oft Schutz gewährt haben.
21. Mai 2018
Innenminister Seehofer kündigt Konsequenzen der Affäre an. Er werde alles tun, "damit die Dinge ohne Ansehen von Personen oder Institutionen aufgeklärt werden, denn sie haben das Vertrauen in das Bamf beschädigt", sagte der CSU-Chef der "Mittelbayerischen Zeitung".
23. Mai 2018
Die Bremer Außenstelle darf als Folge des Skandals ab sofort keine Asylentscheidungen mehr treffen. Das teilte das Bundesinnenministerium mit. Minister Seehofer erklärte den Schritt damit, dass das Vertrauen in die Arbeit der Außenstelle "massiv geschädigt" worden sei.
spiegel
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