Achillesferse im Visier: Nato schießt unweit von Kaliningrad

  30 Mai 2018    Gelesen: 1065
Achillesferse im Visier: Nato schießt unweit von Kaliningrad

Was würde Russland dazu bringen, die baltischen Staaten anzugreifen? Höchstens ein Grund: Dass die Nato es will. Ein Szenario solcher Art trainiert die Allianz ab dem kommenden Sonntag in der Ostseeregion.

Wie durch einen kräftigen Säbelschlag soll die Schnelle Eingreiftruppe der Nato das Vorrücken des fiktiven Gegners aufhalten und ihn von allen Transport- und Kommunikationswegen abschneiden – bis größere Kräfte nachrücken, um den Feind vollends zu zerschlagen. So sieht die Übungslage eines großen Nato-Manövers aus, das am kommenden Sonntag in den vier Ostseeanrainern Polen, Litauen, Lettland und Estland beginnt. Dann ziehen 18.000 Soldaten und 5.000 technische Geräte aus 19 Staaten zu Lande, zu Wasser und in der Luft ins fiktive Gefecht. „Saber Strike“ – Säbelschlag eben – heißt die Übung.

Der fiktive Gegner – laut der Übungslage der „Aggressor“ – ist, wie sich unschwer erkennen lässt, Russland. Klar ist aber auch, dass dieses Szenario einer realistischen Grundlage entbehrt – aus dem einfachen Grund, dass Russland niemanden angreifen will, schon gar nicht die baltischen Staaten. Erstens würde so ein Angriff gegen unsere Grundsätze verstoßen. Zweitens sind diese Staaten für uns überhaupt nicht von Interesse: Die Ostseehäfen in Litauen, Lettland und Estland sind längst schon aus den russischen Logistikketten ausgegliedert, die Wirtschaften dieser Länder sind mit der russischen nach dem Zerfall der Sowjetunion auch nicht mehr verflochten.

Was die strategische Bedeutung der baltischen Region anbelangt, so erfüllt die Exklave Kaliningrad die Funktion eines russischen Vorpostens im Westen bereits bestens. Und eben dies – es gibt allen Grund zu dieser Annahme – ist für die Nato der Anlass, die Ostseeregion in eine permanente Spannungszone, wenn nicht in ein Schlachtfeld verwandeln zu wollen.

Sehr bezeichnend in dieser Hinsicht ist ein Artikel im US-amerikanischen Fachblatt „The National Interest“. Im Vorfeld der anstehenden Übung im Baltikum heißt es dort, die „bis auf die Zähne bewaffnete Oblast Kaliningrad“ sei der schlimmste Albtraum der Nato. Die auf dem russischen Gebiet stationierten Raketen und die Flotte würden den Aktionsraum amerikanischer und europäischer Truppen maßgeblich einschränken. Und die vielen Flugplätze in der Oblast würden es der russischen Luftwaffe ermöglichen, ihr gesamtes Potential einzusetzen – einschließlich Lenkwaffen Ch-55 und Ch-101.

Was der Artikel aber nicht sagt, ist, dass die russischen Truppen in Kaliningrad eine sehr entscheidende Schwachstelle haben: Sie sind vom russischen Kernland abgeschnitten – eine Achillesferse. Alle Landwege, die Kaliningrad mit dem restlichen Russland verbinden, führen über Litauen. Eine Blockade dieser Exklave könnte die russische Führung in eine Zwickmühle bringen: Entweder die vom Westen diktierten Bedingungen (eine Demilitarisierung des Gebiets etwa) akzeptieren oder einen Versorgungskorridor durch Litauen bis nach Kaliningrad schlagen. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass dort nicht nur russisches Militär stationiert ist, sondern auch rund eine Million russische Staatsbürger leben.

Dass es unter bestimmten Voraussetzungen das Hauptziel der Nato- und US-Truppen im Baltikum sein kann, Russland in eine Lage zu bringen, die die Einrichtung eines derartigen Versorgungskorridors erfordern würde, kann insofern nicht ausgeschlossen werden. Natürlich könnte Russland dann der Aggression gegen Nato-Länder beschuldigt werden, was als Kriegsgrund oder zumindest als Rechtfertigung einer internationalen Isolation des Landes benutzt würde. Nun könnte man einwenden, die russische Exklave und die Wege dorthin stünden unter dem Schutz völkerrechtlicher Verträge. Doch wir beobachten ja, wie die USA und ihre Satelliten das Völkerrecht allenthalben ungehemmt brechen. Es ist nicht darauf zu bauen, dass sie sich ausgerechnet in diesem Fall an Vereinbarungen halten würden.

Erschwerend kommt der Umstand hinzu, dass die Nato seit etlichen Jahren der Weltöffentlichkeit einzureden versucht, Russland sei für die baltischen Staaten eine Gefahr. Das heißt, das „Saber Strike“-Manöver erfüllt nicht nur rein militärische Zwecke – es dient auch dazu, unser Land zu Gegenschritten zu bewegen. Eine Truppenverstärkung an der Nordwest-Grenze etwa würde dann als „Russlands aggressives Streben“ ausgelegt werden. Das gleiche Ziel verfolgen auch ranghohe EU-Politiker in den baltischen Staaten, wenn sie sich beleidigende Ausfälle gegen die russische Führung erlauben oder diskriminierende Maßnahmen gegen die russischsprachige Minderheit im Baltikum ergreifen.

Darauf spielte der russische Präsident Wladimir Putin an, als er die Länder des Westens aufforderte, die „rote Linie“ im Verhältnis zu Moskau nicht zu überschreiten. Damit dieser Aufruf aber von jenen erhört wird, die diese Linie eventuell überschreiten wollen, muss ihnen vermittelt werden, welche Folgen der Übertritt haben würde – und dass diese Folgen unausweichlich und unverzüglich eintreten würden.

sputnik.de


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