Wien/Baku – Ein gleißendes Licht schreckt die Bewohner des Dorfes Aroos kurz nach sieben Uhr auf. Sie sehen einen Feuerball, der sich durch den wolkenverhangenen Morgenhimmel bohrt. Begleitet wird die Leuchterscheinung von einem nachfolgenden Donner. Der Bolide bewegt sich vom Iran kommend Richtung Nordosten, schließlich stürzen mehrere Objekte mit einem pfeifenden Geräusch wie von einem Düsenflugzeug oder einer Rakete zu Boden.
Was die Dorfbewohner im Bezirk Yardımlı im Süden der aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik an diesem 24. November des Jahres 1959 beobachteten, war der Impakt eines Eisenmeteoriten – ein höchst seltenes Ereignis. Seit kurzem ist nun im Naturhistorischen Museum Wien (NHM) ein Stück des Yardymly-Meteoriten zu sehen. Dabei handelt es sich um ein Geschenk der Republik Aserbaidschan anlässlich des hundertsten Jahrestags der Gründung der Demokratischen Republik Aserbaidschan. Aserbaidschans Botschafter in Wien, Galib Israfilov, übergab eine Scheibe des Meteoriten an das Museum.
Unikum
Nicht einmal 1.200 Eisenmeteorite sind der Wissenschaft bisher bekannt, eine sehr kleine Zahl angesichts der Tatsache, dass bisher rund 65.000 verschiedene Meteorite untersucht wurden. Von den Eisenmeteoriten konnten gar nur 48 beim Fall beobachtet werden. In seiner chemischen Klasse ist der Yardymly-Meteorit überhaupt ein Unikum: Er ist der einzige der 66 Meteoriten der Klassifizierung "Iron IAB complex", dessen Fall beobachtet wurde.
Dies ist insofern von Bedeutung, als bei Meteoriten, die direkt nach ihrem Fall geborgen werden können, ihre Schmelzkruste noch in unverändertem Zustand erhalten ist, während bei lange zurückliegenden Impakten die Verwitterung die Zusammensetzung der Oberfläche erheblich verändert. Deshalb ist die Schenkung Aserbaidschans für das NHM von besonderer Bedeutung: Es handelt sich nicht nur um einen schönen Zugang für die älteste und weltweit größte Schausammlung von Meteoriten, sondern bietet auch die Möglichkeit für wissenschaftliche Untersuchungen.
Dünne Kruste
Die Schmelzkruste entsteht, wenn ein Asteroid oder Meteoroid in die Atmosphäre eintritt. Innerhalb kürzester Zeit schmilzt die Oberfläche auf. In dieser Schmelzkruste sind daher Informationen über die Bedingungen in der äußeren Atmosphäre zum Zeitpunkt des Eintritts gespeichert – eine Art klimatisches Archiv. Im Fall des Yardymly-Meteoriten ist die Schmelzkruste nur etwa 150 Mikrometer dick.
Das NHM verfügt über zahlreiche Meteoriten, die direkt nach ihrem Fall in die Sammlung aufgenommen wurden und daher eine weitgehend unverändert Kruste aufweisen. Der Kokurator der NHM-Meteoritensammlung, Ludovic Ferrière, erhofft sich, dass Untersuchungen der Schmelzkrusten Aufschlüsse über Veränderungen in der Atmosphäre in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten liefern werden. So könnte zum Beispiel der Ozongehalt der äußeren Atmosphäre längst vergangener Tage bestimmt werden.
25 Deka Meteorit
Um den Yardymly-Meteoriten bemühte sich Ferrière mehrere Jahre. Gerade aus der jüngeren Vergangenheit ist die NHM-Sammlung eher lückenhaft, vor allem aus Gründen eines nur schmalen Ankaufsbudgets. Die Möglichkeit eines Erwerbs auf dem Markt besteht bei Yardymly aber ohnehin nicht, deshalb nutzte der Forscher wissenschaftliche Kontakte und diplomatische Verbindungen, um für das NHM ein Stück zu bekommen. Ferrière reiste schließlich nach Baku, um persönlich eine Scheibe von der Hauptmasse des Eisenmeteoriten abzusägen – fünf Stunden benötigte er für diese Arbeit. Die Hauptmasse brachte ursprünglich 127 Kilogramm auf die Waage, insgesamt wurden nach dem Fall im November 1959 fünf Stücke mit einer Gesamtmasse von etwas mehr als 150 Kilogramm geborgen. Das NHM erhielt eine Scheibe mit knapp mehr als 250 Gramm für die Schausammlung und ein paar Proben für weitere wissenschaftliche Untersuchungen. Damit befindet sich in Wien eines der größten, wenn nicht überhaupt das größte Stück des Yardymly-Meteoriten außerhalb der ehemaligen Sowjetunion – nur wenige Institutionen weltweit verfügen über Belege dieses Meteoriten.
Die Scheibe wurde poliert, und erste Untersuchungen lieferten auch schon Überraschungen. So konnte – erstmals für den Yardymly-Meteoriten – das höchst seltene Mineral Cohenit nachgewiesen werden. Dieses liegt in umgewandelter Form als Graphit und Kamacit vor. (Michael Vosatka, 5.6.2018)
Quelle: derstandard
Tags: