Wieder einmal ist es ein Freiburger, der den richtigen Ton trifft. Sanft formuliert, in der Sache deutlich. "Ich bin Deutschland-Fan und ich bin ein großer Özil-Fan", sagt Nils Petersen, dem nachgesagt wird, dass er ein sehr reflektierter Mensch ist und dessen Trainer Christian Streich als emotionaler, aber überlegter Gesellschaftskritiker gilt. "Nachdem er jahrelang seine Knochen hingehalten hat, hätte er einen schöneren Abschied verdient." Ein Satz des Freiburger Stürmers, der keinen Widerspruch erlaubt. Niemandem kann gefallen, wie Mesut Özil seine Karriere in der Fußball-Nationalmannschaft am Sonntagabend beendet hatte: Tief verletzt rechnete er auf Twitter ab und konfrontierte die deutsche Gesellschaft dabei mit ihrer schmerzhaftesten Debatte. Mit Fehlern auf allen Seiten - beim Fußballer Özil, der sich mit dem Erdogan-Foto (nicht das erste übrigens) entgegen seiner stets betonten Überzeugungen doch zum politischen Menschen machte. Beim DFB, der den Spieler erst verteidigte, ihm Sonderrechte gewährte, dann hängenließ, über die Medien angriff und Attacken aussetzte.
Seit dem 14. Mai, seit die Partei des türkischen Staatspräsidenten, die AKP, das Bild des schüchtern lächelnden deutschen Fußballers und seines Nationalmannschaftskollegen Ilkay Gündogan an der Seite des international wegen seines aggressiven Vorgehens gegen Oppositionelle kritisierten Recep Tayyip Erdoğan veröffentlichte, vergeht kein Tag ohne Özil-Diskussion. In dieser bizarren Gemengelage wird sogar beachtet, was irgendwelche Social-Media-Influencer zu sagen haben. Je maßloser das Statement, desto besser, so scheint es.
Eine Dynamik, die die wirklich Betroffenen, seine Kollegen aus der Nationalmannschaft, zu der Frage führen muss: Was soll ich nun tun? Schweigen? Reden? Wenn ja, was sage ich? Und noch wichtiger: Wie wird es ausgelegt? Ein Richtig oder Falsch scheint es nicht mehr zu geben. Das erfährt nun auch DFB-Präsident Reinhard Grindel, der sich vier Tage nach Rücktritt und Verbal-Angriff von Özil und drei Tage nach einer ersten DFB-Erklärung in einem schriftlichen Statement geäußert hat.
Grindel trifft die Wucht der Interpretation
Außer der absolut unumstrittenen Meinung, dass die Erklärung viel zu spät kommt, sie verschriftlicht und nicht via öffentlichem Auftritt mit der Möglichkeit zur Nachfrage publiziert wird und der selbstverständlich richtigen Aussage, dass "jegliche Form rassistischer Anfeindungen unerträglich ist", gibt's in dem Text kaum etwas, auf das sich das gesellschaftliche Kollektiv einigen kann. Ob Grindels Sätze tatsächlich eine ehrliche Einsicht eigener Fehler, das geforderte Zeigen von Rückgrat und Verantwortung sind? Nur ein "übles Manöver" zur Schuldabweisung? Oder einfach nur kühl kalkuliert, um seinen Job und den Zuschlag für die Heim-EM 2024 zu retten? Das weiß nur Grindel selbst. Aus der Ferne lässt sich das nicht beurteilen, aber das Statement lässt viel Platz für die Interpretation seiner Worte.
Die Wucht, mit der in alle Richtungen interpretiert wird, muss Grindel aushalten. Er hat sie mit seinem nicht nachvollziehbaren Kurs im "Fall Özil" aus schneller Attacke, Verteidigung, gescheiterter Ausbootung und erneuter Attacke maßgeblich verursacht. Und er hat, wenn auch nicht allein, das Terrain vor seiner nun veröffentlichten Beschwichtigung für jede weitere Äußerung im "Fall Özil" zum Minenfeld gemacht. Es bleibt ja vor dem Hintergrund der bekannten Fakten weiterhin unerklärlich, wie die Foto-Affäre zu einer Staatsaffäre eskalieren konnte. Und warum der DFB seinen Spieler nicht öffentlich gegen Ressentiments und rassistische Anfeindungen konsequent verteidigt hat - wie er es zum Beispiel 2016 nach der Attacke von AfD-Rechtsausleger Alexander Gauland gegen Jérôme Boateng getan hatte.
Retourkutsche? Sonderrechte?
Auch deshalb ist nach der abgeebbten Beleidigungs-und-Glückwunsch-Welle zum Rücktritt des Spielers (je nach Interpretation und zugehörigem Meinungslager) eine Diskussion darüber losgebrochen, warum so viele Mitspieler aus der Nationalmannschaft, Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Teammanager Oliver Bierhoff beharrlich schweigen.
Vor Petersen, der Özil in der Zeit im Vorbereitungs-Trainingslager der DFB-Elf in Eppan erlebt hatte, ehe er nicht für den endgültigen WM-Kader nominiert worden war, hatten sich nur Jérôme Boateng, Julian Draxler und Antonio Rüdiger per "Danke"-Tweets und Matthias Ginter vom Spielmacher verabschiedet. Von der gesamten Riege der DFB-Führungsspieler (neben Boateng) um Mats Hummels, Thomas Müller, Toni Kroos und Manuel Neuer ist nichts zu hören. Immerhin hat Kapitän Neuer der "Bild" über sein Management ausrichten lassen, etwas sagen zu wollen. Zeitpunkt? Unklar.
Gar keine Regung gibt's auch von Joachim Löw, der doch immer als großer Verehrer und Verteidiger Özils galt. Über die Gründe des allgemeinen Schweigens wird viel spekuliert, die nächste Konsequenz der unkontrollierbaren Interpretationsdebatte. Ist die Zurückhaltung womöglich eine Retourkutsche der DFB-Kollegen für die 69-tägige Stille von Özil zum Erdogan-Foto, wie die "Süddeutsche Zeitung" fragt? Oder waren es die Sonderrechte im (Nicht)-Umgang mit den Medien, die der DFB seinem Spielmacher einräumte - und die die Mitspieler so nervten, dass sie sich nun nicht äußern? Alles Mutmaßungen.
Nur zwei Erklärungen für das fast-kollektive Schweigen der DFB-Elf und ihrer sportlichen Chefs schließen sich aus: Urlaub und Social-Media-Pause.
Quelle: n-tv.de
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