Leichtathletik setzt auf Volksfest in Berlin

  07 Auqust 2018    Gelesen: 1122
Leichtathletik setzt auf Volksfest in Berlin

So viele deutsche Athleten, so viele Zuschauer wie nie: Die EM der Leichtathleten in Berlin trumpft zum Start mit Superlativen auf. Es soll eine Woche mit viel Show und tollem Sport werden. Für den könnten auch Medaillenkandidaten des DLV sorgen.

Volksfest? Nein, Europameisterschaft in Berlin! Die Stimmung auf dem Breitscheidplatz direkt an der Gedächtniskirche ist allerdings vergleichbar mit der bei einem Straßenfest. Fröhlich, ausgelassen, laut, bunt. Die Leichtathletik zeigt sich den Zuschauern, mitten in der City-West am Kurfürstendamm. Die Kugelstoßer um die deutsche Medaillenhoffnung David Storl sorgen mit ihrer Qualifikation in der eigens für die Meisterschaftswoche aufgebauten Arena für einen glänzenden Auftakt auf der "Europäischen Meile".

Viele Zuschauer verfolgen am Montagabend bei freiem Eintritt, was die EM in dieser urbanen Kulisse zu bieten hat. So viele, dass Hunderte keinen Platz mehr auf der 3000 Zuschauer fassenden Tribüne bekommen. Wer es in das kleine Stadion schafft, wird von Storl belohnt: Als erster Athlet übertrifft er die Qualifikationsweite, um 23 Zentimeter - 20,63 Meter im ersten Versuch. Warmgemacht, Wurfgerät ausgepackt, gestoßen, gefreut, Wurfgerät eingepackt, bereit fürs Finale. Entsprechend groß ist der Jubel, trotz Kurzarbeit. Und auch Storl, der am diesem Dienstagabend sein viertes EM-Gold gewinnen möchte, ist zufrieden: "Hier ist halt Stimmung. Wenn du in einem Stadion die Quali stößt, guckst du dir meistens nur die Stühle an. Hier fiebern die Leute bei jedem Stoß mit."

Ortswechsel, nicht weniger gute Stimmung: Im Olympiastadion feiern die Fans von Lisa-Marie Kwayie. Noch schöner als die Freude der Zuschauer ist die Reaktion der Sprinterin selbst. Groß steht es auf den riesigen Leinwänden: Sie gewinnt ihren 100-Meter-Vorlauf in 10,30 Sekunden und darf im Halbfinale am Dienstag wieder antreten. Was macht die 21-Jährige auf der berühmten blauen Bahn? Sie strahlt, hopst, jubelt und schreit. "Das ist der Wahnsinn. Ich kam rein und hatte überall Gänsehaut, das hatte ich noch nie. Ich habe überall meinen Namen gehört, das hat mich so gepusht, ich dachte, die tragen mich bis zur Ziellinie. "Dabei bietet das Stadion am Montagnachmittag noch viel Platz, am von den Veranstaltern "Tag Q" genannten Event finden ausschließlich Qualifikationswettkämpfe statt - wie am Breitscheidplatz bei freiem Eintritt.

"Hot Seats" bei den Vorkämpfen


Die Veranstalter haben sich viel vorgenommen. "Wir wollen Leichtathletik in einer Attraktivität präsentieren, wie es noch nie geschehen ist", sagte Organisationschef Clemens Prokop. 270.000 Tickets wurden im Vorfeld verkauft - so viele wie nie zuvor für eine EM. "Ich kann’s mir noch gar nicht vorstellen. Schon schön", sagt Kwayie über das vermutlich recht volle Stadion zu ihrem Halbfinale um 19 Uhr. Wie am Ku’damm, wo allabendlich die Siegerehrungen stattfinden und tagsüber ein Mitmach-Programm angeboten wird sowie die Geher und Marathonläufer ihre Wettbewerbe austragen, sollen die Besucher auch im Stadion eingebunden werden. Vor allem beim Skispringen haben sich die Veranstalter einiges abgeschaut: Laserlinien werden eingesetzt, um beim Weit- und Dreisprung Weiten anzuzeigen. Bei den Vorkämpfen gibt es "Hot Seats", auf denen diejenigen sitzen, die noch nicht fest qualifiziert sind und so von noch folgenden Athleten verdrängt werden können.

Die Leichtathletik und Berlin, das ist ein besonderes Verhältnis. In der deutschen Hauptstadt hat Usain Bolt bei den Weltmeisterschaften 2009 seine Fabel-Weltrekorde über 100 und 200 Meter aufgestellt. Und Berlin ist auch der Ort mit der schnellsten Marathonstrecke weltweit. Nun ist die Stadt neun Jahre nach der WM Austragungsort der EM. Nicht nur wegen der Rekorde passt die Sportart nach Berlin. Hier fühlen die Athleten sich wohl, ob groß, breit und laut oder klein, zierlich und quirlig. So wie Kugelstoßer Storl, Diskuswerfer Robert Harting und Gesa Krause, die Titelverteidigerin über 3000 Meter Hindernis. Selbstbewusst und offen wie Sprint-Hoffnung Gina Lückenkemper und Kugelstoß-Dominatorin Christina Schwanitz oder eher ruhig und zurückhaltend wie Dreispringerin Neele Eckhardt.

Bis Sonntag werden mehr als 1500 Athleten aus 49 Nationen in 48 Medaillenentscheidungen antreten. Die jüngste ist die 16 Jahre alte Bulgarin Alexandra Nacheva, die im Dreisprung antritt. Der Älteste ist fast 49 Jahre alt: Geher Jesus Angel Garcia aus Spanien. Mit dabei ist auch ein syrischer Flüchtling, der am Sonntag im Marathon starten wird. Nur Russen gibt es bei der EM nicht - zumindest nicht offiziell. Aufgrund der Doping-Sanktionen treten die russischen Athleten unter dem Code ANA an, das steht für "Authorised Neutral Athletes". Sollte jemand von ihnen, etwa die Hochsprung-Favoritin Mariya Lasitskene, eine Medaille gewinnen, wird die Hymne des Europäischen Leichtathletik-Verbandes gespielt, auch Fahnen und Landesfarben sind verboten.

Das größte Team stellt aber der Gastgeber: 125 Athleten tragen das deutsche Trikot. So viele waren noch nie gleichzeitig bei einer EM. Diskuswerfer Robert Harting will sich standesgemäß von der internationalen Bühne verabschieden - am liebsten mit einer Medaille. In seinem "Wohnzimmer" soll es trotz eines verletzten Knies noch einmal richtig weit hinaus gehen. Kwayies Sprintkollegin Lückenkemper hat sich zwei Medaillen vorgenommen, über 100 Meter und mit der Staffel. Und die Speerwerfer Johannes Vetter, Thomas Röhler und Andreas Hofmann? Sorgen sie für eine EM-Premiere? Noch nie haben drei Athleten eines Landes einen kompletten Medaillensatz eingeheimst. Die meisten Zuschauer haben sie im Olympiastadion sicherlich hinter sich. Und spätestens dann würde das Volksfest zu einer riesigen Party werden.

Quelle: n-tv.de


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